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"Philanthropie ist Teil unserer Familientradition und in unserer DNA verankert."

Der Patriarch der britischen Linie der Familie Rothschild spricht über die Bedeutung eines am Gemeinwohl orientierten Wirkens.

  • Januar 2017

Der Begriff Philanthropie – „Menschen­freundlichkeit“ – stammt aus der griechischen Antike und steht heute im Allgemeinen für die private Förderung des Gemeinwohls. Nur wenige alteingesessene Familien haben eine so nachhaltige Tradition der Wohltätigkeit wie die Rothschilds. Als Oberhaupt des britischen Zweigs der Familie fühlt sich auch Jacob Rothschild der Familientradition verpflichtet. Seiner Überzeugung nach profitiert davon nicht nur die Nehmer-, sondern auch die Geberseite, denn Philanthropie festige die Familienbande und fördere ein generationenübergreifendes Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung.

WIE SEINE Familie, so genießt auch der Vierte Baron Rothschild in vielfältiger Hinsicht einen großen Bekanntheitsgrad: als Oberhaupt der britischen Linie der Rothschilds, als herausragender Bankier und anerkannter Kunstsammler, aber auch wegen seines bescheidenen Auftretens in eigener Sache. Am bekanntesten ist Baron Rothschild aber wohl für sein philanthropisches Wirken, in dem sich Bürgersinn und Freigiebigkeit der Familie fortschreiben.

Geschichten über Familien, die durch Zank und Ränke das Vermögen der Familie verspielen, gibt es zur Genüge. Die Rothschilds hingegen sind nicht nur ein gutes Beispiel für familiären Zusammenhalt, sondern auch dafür, wie dieser Zusammenhalt durch ein gemeinsames Werteverständnis gestärkt werden kann. „Philanthropie hat viel mit den Werten in unserer Familie zu tun“, erläutert Rothschild im FOCUS-Interview. „Vor allem seit dem 19. Jahrhundert wurden die Mitglieder meiner Familie von Kindheit an dazu erzogen, Bedürftige an ihrem Erfolg teilhaben zu lassen, sobald sie selbst zu Geld gekommen waren. Sie haben sehr viel für wohltätige Zwecke getan, sowohl hier in England als auch in Frankreich und Mitteleuropa.“

Auch Jacob Rothschild wurde gemäß dieser Maxime erzogen. Die Liste seiner wohltätigen Aktivitäten ist so lang, dass sie kaum auf eine Seite passt. Allen voran seien seine Funktionen als Chairman of the Trustees of the National Gallery, als Vorsitzender des National Heritage Memorial Fund sowie des British National Heritage Lottery Fund genannt, der bis dato mehr als 1,3 Milliarden Euro für Nationalparks, historische Kirchen, Museen, Kathedralen und für die Erhaltung natürlicher Lebensräume gespendet hat.

Eine Herzensangelegenheit

Zwei philanthropische Projekte, die Rothschild besonders am Herzen liegen, sind eng mit dem Wunsch verknüpft, langgehegte Familientraditionen fortzuführen: Da ist zum einen die Restaurierung von Waddesdon Manor, des im französischen Renaissance-Stil erbauten Schlosses der Familie in Buckinghamshire, das als Schenkung an den National Trust ging und alljährlich 350 000 Besucher anzieht, und zum anderen Yad Hanadiv, die Familienstiftung in Israel, die für den Bau der israelischen Knesset, des Obersten Gerichtshofs und seit kurzem auch der Nationalbibliothek verantwortlich zeichnet.

„Vor allem meine inzwischen verstorbene Cousine, Mrs. James Rothschild, hat mich stark geprägt. Sie hat mir die Verantwortung für die beiden Projekte übertragen, die ihr wirklich am Herzen lagen“, berichtet Rothschild. „Diese Verantwortung nehme ich seit nunmehr 20 Jahren aus ganzer Überzeugung wahr. Meine Cousine war es vor allem, die mir die Bedeutung philanthropischen Handelns vermittelt hat.“

Diese Art der Philanthropie muss man sich in der Tat aneignen und von Generation zu Generation weitertragen. „Die Familientradition, für die mir vor allem meine verstorbene Cousine das Bewusstsein geschärft hat, ist die eine Seite, die andere ist das Gefühl der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft, das über die Jahre in mir gewachsen ist und mich veranlasst, diesem Land etwas Sinnvolles zurückzugeben“, erläutert Rothschild.

„Unsere Familientradition habe ich auch meinen Kindern zu vermitteln versucht. Ich wollte, dass sie verstehen, wie wichtig die Orientierung am Gemeinwohl ist. Meine Bemühungen haben Früchte getragen. Meine Tochter Hannah ist heute Kuratoriumsmitglied der National Gallery und sehr aktiv beim Hay Literary Festival, meine zweite Tochter Beth engagiert sich stark für Gartenbau und Landschaftsschutz, und mein Sohn Nathaniel ist Kuratoriumsmitglied des Yad Hanadiv und ein wichtiger Stifter des Wadham College in Oxford.“

Herkunft und Erfolg

Begründet wurde die Rothschild-Dynastie von Mayer Amschel Rothschild (1744 –1812), der in Frankfurt im jüdischen Ghetto lebte. Er war der erste bedeutende Bankier in der Familie, nachdem er sich vor Ort die Gunst des deutschen Adels erworben hatte. Mit großer Weitsicht setzte er damals seine Söhne in den europäischen Metropolen London, Paris, Wien, Frankfurt und Neapel ein, um das Bankengeschäft der Familie zu diversifizieren und zu internationalisieren und dadurch das geistige und finanzielle Kapital der Familie zu wahren und zu mehren. Wo ein direkter Erbe fehlt, sehen sich die Rothschilds im Allgemeinen nach einem anderen Blutsverwandten in der Familie um. So war es auch damals im Fall von Jacob und der Ehefrau eines entfernten Cousins, Mrs. James Rothschild. Meyer Amschel Rothschild ist es zu danken, dass mehrere Linien – vor allem die englische und die französische – trotz der Weltwirtschaftskrise, zweier Weltkriege und des Holocaust überlebten und bis heute prosperieren. Sie besitzen bedeutende Investmenthäuser in England, Frankreich und der Schweiz, drei berühmte Weingüter in Frankreich sowie zahlreiche Kapitalbeteiligungen weltweit.

Nach Aussage von Jacob Rothschild hat der hohe Stellenwert philanthropischen Wirkens wesentlich dazu beigetragen, die Rothschild-Familie über all die Jahre und über Grenzen hinweg zusammenzuhalten und den herausragenden Ruf der Familie zu wahren.

„Der Leitspruch unserer Familie lautet Concordia, integritas, industria – Eintracht, Ehrbarkeit, Fleiß“, so Rothschild. „Was den Concordia-Aspekt angeht, so hat die Familie früher in der Tat sehr eng zusammengearbeitet. Inzwischen sind die Bande etwas lockerer geworden, was bei ihrer stetig wachsenden Größe nicht weiter verwundert. Vor einigen Jahren fand in Frankfurt anlässlich des 250. Geburtstags von Mayer Amschel ein großes Familientreffen statt, zu dem an die 125 Mitglieder der Rothschild-Familie kamen. Viele von ihnen gehen inzwischen eigene Wege, was nach acht Generationen ganz selbstverständlich ist. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass wir Teil eines großen Familien-Clans sind, und das ist es, was uns zusammenhält.

„Uns eint das Ziel, aus der privilegierten Position unserer Herkunft und unseres Erfolges heraus Gutes zu tun.“

Philanthropisches Wirken ist eine Möglichkeit, die Familie zusammenzuhalten. Es gibt bestimmte Grundüberzeugungen, denen wir uns alle verpflichtet fühlen. Uns eint das Ziel, aus der privilegierten Position unserer Herkunft und unseres Erfolges heraus Gutes zu tun. Philanthropie ist uns ausgesprochen wichtig. Sie ist Teil unserer Familientradition und in unsere DNAeingeschrieben. Es ist ein Charakteristikum unserer Familie, aus der sozialen Verpflichtung des Vermögenden heraus mit einem Teil unseres Vermögens Gutes zu tun.“

Die Art und Weise, in der philanthropisches Wirken ein fester Bestandteil von Familienphilosophie ist, unterscheidet die Philanthropie in Europa, und hier insbesondere die der Rothschilds, von der Wohltätigkeit, wie sie in den USA praktiziert wird, so sieht es Rothschild. „In meiner Familie gibt es zwei bedeutende wohltätige Initiativen, die auch über meinen Tod hinaus Bestand haben werden. Ganz anders dagegen einige der großen Stiftungen in den USA – wie die Frick-, Mellon- und Carnegie-Stiftung. Was ist aus ihnen geworden? Es sind doch eigentlich gar keine Familienstiftungen im echten Sinne mehr. Sie sind heute bürokratische, wenn auch gut geführte Institutionen. Wenn ich mich nicht sehr täusche, ist kein Getty und kein Mellon mehr in der jeweiligen Stiftung tätig. Die europäische Tradition – und das gilt auch für unsere Familie – ist eine ganz andere. Wir versuchen in unseren Familienstiftungen, ungeachtet ihres Bürokratisierungsgrades, ganz klar den Charakter einer Rothschild-Stiftung zu wahren. Wir möchten damit ihren ewigen Bestand sichern. Wir wollen keine Stiftung sein, die von Familienfremden gelenkt wird und von der nur über einen begrenzten Zeitraum Zuwendungen ausgehen, sondern eine Stiftung, die, so hoffe ich, auch von meinen Kindern, Enkeln und Großenkeln weitergeführt wird.“

Von den Strukturen und Abläufen einer Familienstiftung einmal abgesehen, ist Rothschild der Überzeugung, dass angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage die Zeit heute reif ist für ein philanthropisches Wirken, vor allem in seinem eigenen Land. „Großbritannien durchlebt eine Durststrecke. Unser Land ist verschuldet, die Steuerlast wird immer drückender und in den nächsten zehn Jahren ist kaum ein wirtschaftliches Wachstum zu erwarten. Um bestehende und künftige Lücken zu schließen, können und sollen Vermögende mit wohltätigen Initiativen verstärkt in die Bresche springen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Philanthropie in zunehmendem Maße Verantwortung übernimmt, und ich hoffe, dass dieses Konzept in noch größerem Umfang in unserer Gesellschaft Schule macht.“

Das Gespräch mit Lord Jacob Rothschild in London führten
John J. Grumbar, Egon Zehnder, London, und
Ulrike Mertens, FOCUS.

Lord Jacob Rothschild

Lord Jacob Rothschild ist der Vierte Baron und derzeitiges Oberhaupt der britischen Linie des Hauses Rothschild. Seit fast 250 Jahren agieren die Rothschilds als verschwiegene Berater von einigen der wohlhabendsten europäischen Industriellen, Königen, Königinnen und Kaisern. Durch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Verantwortung und die großzügige Förderung des Gemeinwohls hat sich die Familie einen legendären Ruf erworben. Die Unterstützung der Künste, der Bedürftigen, Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung, der Bildung und das Engagement für jüdische Themen und Projekte haben in der Familie eine lange Tradition.
Nach Schule und Studium in Eton und Oxford verdiente sich Jacob Rothschild seine ersten Sporen im Bankengeschäft bei Morgan Stanley und in der Familienbank NM Rothschild. Mit der Gründung seiner eigenen erfolgreichen Aktiengesellschaft RIT bewies er auch im Investmentgeschäft seine Fähigkeiten. Rothschild ist ein herausragender Kunstmäzen in Großbritannien. Er fungiert als Vorsitzender des Kuratoriums der National Gallery, des National Heritage Memorial Fund und des British National Heritage Lottery Fund. Darüber hinaus kümmert er sich um Waddesdon Manor, das restaurierte Schloss der Familie in Buckinghamshire.

FOTO: © ANNA CLOPET/CORBIS

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