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„Jeder hat Ziele, aber nur wenige sind bereit, dafür Opfer zu bringen und sich zu schinden.“

Ruder-Olympia­siegerin Katherine Grainger und der Internet­-Unternehmer Ben Medlock über das, was es außer Köpfchen und Muskelkraft braucht, um an die Spitze zu kommen

  • Januar 2017

Was haben Olympioniken und wegweisende Unternehmer gemeinsam? Als außergewöhnliche Leistungsträger teilen sie bestimmte persönliche Eigenschaften, allen voran den Willen, zu den Besten zu zählen. Katherine Grainger, Großbritanniens „Golden Girl“ des Ruderns, und der „Technopreneur“ Ben Medlock, Mitbegründer des erfolgreichen Start-Ups SwiftKey, diskutierten an einem heißen Sommertag im Marlow Rowing Club vor den Toren von London über Besessenheit, den Griff nach dem Gold und das Lennon-McCartney-Phänomen.

Ben Medlock: Eines interessiert mich brennend: Wie bringt man die schier übermenschliche Disziplin auf, sich jahrelang tagein, tagaus für eine Goldmedaille zu schinden?

Katherine Grainger: Wie du dir unschwer vorstellen kannst, ist das Training weder besonders aufregend noch besonders glamourös, sondern einfach nur knallhart. Das Einzige, was dich bei der Stange hält, ist der brennende Wunsch, dieses Ziel zu erreichen, das sich die meiste Zeit wie ein unerreichbarer Traum anfühlt. Das ist es, was dich antreibt, einfach weil es so besonders, so anders, so außergewöhnlich ist. Für mich geht es um Leidenschaft. Ich liebe Rudern über alles. Wenn man damit anfängt, wird einem ganz schnell klar, warum man unbedingt der Olympiamannschaft angehören und Olympiasieger werden will. Im Sport wimmelt es von Vorbildern und Helden, denen wir nacheifern. Die Goldmedaille ist das offensichtlichste Ziel, der ultimative Beweis dafür, dass du es wirklich draufhast in deiner Sportart. Realistisch betrachtet ist es allerdings unwahrscheinlich, dass du irgendwann auf dem Siegertreppchen stehen wirst. Schließlich hat das bislang nur eine verschwindend kleine Minderheit geschafft. Allerdings schaffen es in der Welt der Technologieunternehmen sicherlich auch nur wenige ganz nach oben – und das erfordert vermutlich genauso viel Willenskraft und Durchhaltevermögen.

Medlock: Ich muss zugeben, dass ich einen leicht obsessiven Charakter habe. Ich glaube, ich könnte mein Leben als eine Reihe von Obsessionen oder – schöner gesagt – Herausforderungen beschreiben. Ich definiere mich seit jeher über das, was ich tue, und das treibt mich zu Höchstleistungen an. Mein gesamtes Denken ist auf dieses aktuelle Ziel fokussiert und der Gedanke daran, dieses aufzugeben, ist für mich völlig unvorstellbar. Egal wie anstrengend es ist und egal ob ich entmutigt bin, denke ich nie wirklich ans Aufhören, weil Aufhören bedeuten würde, nicht ich zu sein.

Grainger: Aufzuhören ist sicherlich schwierig, aber es gibt auch Zeiten, wo Weitermachen die weitaus schwierigere Option zu sein scheint. Als ich bei den Olympischen Spielen in Beijing die Goldmedaille haarscharf verpasst hatte, musste ich lange und gründlich überlegen, ob ich mich wirklich weiter schinden sollte. Die verpasste Goldmedaille war ein harter Schlag für mich. Ich hatte das Gefühl, auf der ganzen Linie versagt zu haben. Stell dir vor, du widmest dein ganzes Leben einem einzigen Ziel, du richtest dein Leben völlig an diesem Ziel aus. Wenn dieser Traum platzt, ist das wirklich bitter. Die Niederlage führte dazu, dass ich mir die grundsätzliche Frage stellte, ob ich die ganze Plackerei wirklich noch einmal auf mich nehmen wollte.
Man hat mich damals gefragt, ob ich das Gefühl hätte, dass die letzten vier Jahre umsonst gewesen seien. Das Gefühl zu haben, dass man vier Jahre lang auf ein Ziel hingearbeitet hat, nur um es dann doch nicht zu erreichen, ließ mich innehalten und darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Ich hatte bis dato immer nur den Goldmedaillengewinn vor Augen gehabt. Irgendwann habe ich aber erkannt, dass die Medaille doch nicht alles ist, sondern dass der Weg dorthin, also das, was du in den vier Jahren, in denen du dich auf die Spiele vorbereitest, genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger und wertvoller ist als der Sieg. Wenn es mir also gelingen könnte, in den nächsten vier Jahren alles richtig zu machen, dann würden sich die Anstrengungen lohnen.

Medlock: Stimmt es, dass du zufällig zum Rudern gekommen bist?

Grainger: Ich habe in Edinburgh Jura studiert und hatte zunächst überhaupt nicht vor, auf Wettbewerbsebene zu rudern oder irgendeinen anderen Sport ernsthaft zu betreiben. Zunächst war es vor allem die Atmosphäre bei den Ruderern, die mich gereizt hat, und erst später dann der Sport selbst. Ruderer sind sehr ehrgeizig und voller Leidenschaft, aber immer für einen Spaß zu haben und teilweise auch echt schräg. Zwar wollte ich schon immer bei allem, was ich anpacke, möglichst gut sein, aber ich hätte nie gedacht, dass ich mal solchen Ehrgeiz auf diesem Niveau entwickeln könnte. Anfangs wollte ich die Beste bei den Anfängern sein, später dann die Beste unter den Erfahrenen im Team. In meinem dritten Jahr an der Uni wurde ich gefragt, ob ich für Schottland antreten wollte, und von da an war das dann mein Ziel. In meinem vierten Jahr in Edinburgh sagte man mir, ich solle mich doch für einen Platz in der Qualifikation für das britische Team bewerben. Ich war erst sehr skeptisch, ob ich es schaffen würde. Es war das Jahr nach den Olympischen Spielen, daher musste ich gegen das bisherige Olympiateam antreten und ich dachte, ich hätte nicht den Hauch einer Chance. In den Auswahlwettkämpfen merkte ich aber sehr schnell, dass weniger nach den bereits perfekt ausgeformten Athleten gesucht wurde, denn genau das wollen sie ja erst aus dir machen. Wichtiger waren vielmehr die richtigen Anlagen. Sie suchten Sportler, die nicht nur körperlich, sondern auch mental die richtigen Voraussetzungen mitbringen. Wenn sie jemand sehen, der über dieses Potenzial verfügt, sagen sie: „Die ist es!“ Genau so war das bei mir.

Medlock: Du hast also nicht von Anfang an gedacht: „Ich hab das Zeug zur Olympiasiegerin“?

Grainger: Nur wenige Olympioniken glauben von Anfang an, dass sie olympisches Gold holen können. Die meisten haben anfangs eine ganz andere Motivation und der Ehrgeiz kommt erst mit der Zeit. Viele denken, dass man nur ganz nach oben kommt, wenn man von Anfang an hochmotiviert ist und mit dem Gedanken auf die Welt kommt: „Ich bin vom Schicksal dazu bestimmt, olympisches Gold zu gewinnen.“ Wie war das denn bei dir? Bist du der geborene Unternehmer?

Medlock: Ja und nein. Unser Ausgangspunkt im Jahr 2008 war, dass die Smartphone-Nutzer unheimlich viel tippen müssen und man diese Tipperei doch vereinfachen könnte. Wir waren davon überzeugt, dass unsere Idee durchaus Potenzial hatte. Aber unsere Chance, gegenüber den Großen der Branche, die an der gleichen Sache dran waren, die Nase vorn zu haben, war vielleicht 1:1 000. Wir haben uns dann aber einfach darauf konzentriert, zu beweisen, dass unsere Idee besser war als die bisherige Technologie, und blieben einfach dran.

Grainger: Und in der Wirtschaft winkt ja keine Goldmedaille, und es gibt wohl auch nicht die eine Ziellinie.

Medlock: Richtig, bei uns ist das etwas schwerer zu fassen. Es geht um Fragen wie: Wann ist der Punkt, an dem wir es geschafft haben? Wenn wir anfangen, schwarze Zahlen zu schreiben? Wenn wir mehr als 50 Mitarbeiter haben oder eine erste Auszeichnung in der Branche bekommen haben? Alle diese Stufen sind Meilensteine. Aber so ganz genau weiß man wohl nie, ob man sich zurücklehnen und sagen kann: Das ist jetzt Erfolg.

Grainger: Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist für mich das Team, dem ich angehöre: die Partnerin, mit der ich im Boot sitze, und unser gemeinsamer Trainer Paul Thompson. Die beiden machen einen enormen Unterschied, wenn es darum geht, mich zu motivieren. Und Motivation ist das A und O. Wie hast du denn deinen Partner ausgewählt?

Medlock: Jon Reynolds und ich kennen uns schon von der Uni her. Diese Freundschaft spielt eine wichtige Rolle in unserer Beziehung. Sie hat uns geholfen, fokussiert bei der Sache zu bleiben und einander zu vertrauen, was uns beiden extrem wichtig ist. Wir hatten von Anfang an großen gegenseitigen Respekt füreinander und waren uns einig, dass wir uns hundertprozentig für unser Projekt einsetzen mussten. Sicherlich ist es beim Rudern auch so: Wenn es darum geht, ein schwieriges Ziel zu erreichen, musst du darauf bauen können, dass auch dein Partner dieses Ziel über alles andere stellt. Ich bin sehr froh darüber, dass wir zu zweit sind, denn wenn einer von uns einen Durchhänger hat, ist der andere meist in der Lage, ihn wieder aufzubauen. Für mich ist klar, dass diese Beziehung von grundlegender Bedeutung war und ist, vor allem am Anfang, als wir uns noch klein und ungenügend vorkamen.

Grainger: Am Anfang ist alles eine ziemlich krasse Mischung aus schierer Anstrengung und Learning by Doing.

Medlock: Ja, wir mussten wirklich viel lernen. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, alles, was an uns herangetragen wurde, aufzunehmen und sämtliche guten Ratschläge anzuhören. Keiner von uns hatte das Glück, einen echten Mentor an seiner Seite zu haben, aber viele haben uns geholfen, uns weiterzuentwickeln. Der einzige, der für mich so etwas wie ein persönlicher Mentor war, war mein Doktorvater in Cambridge, der auch schon sehr früh in unser Unternehmen investiert hat. Aber er ist nur einer von vielen Weggefährten, die für uns eine wichtige Rolle gespielt haben. Wenn du ein neues Unternehmen aufbaust, ist es unglaublich wichtig, ein gutes Netzwerk zu schaffen. Und das haben wir getan.

Grainger: Beim Rudern kann man sich nicht selbst aussuchen, mit wem man im Boot sitzt. So gesehen ist das ein bisschen schwieriger. Natürlich gibt es Konstellationen, von denen man denkt, dass sie passen könnten, aber wie du vorhin schon sagtest, kommt es sehr auf Vertrauen und die persönliche Einstellung an, auf die Kommunikation untereinander, auf die gleiche Einschätzung der Lage und wie es weitergehen soll. Auch wenn man die besten Athleten zusammen ins Boot setzt, kann es sein, dass es nicht optimal läuft. Es fehlt vielleicht nicht viel, dass es passt und die Leistung ist durchaus da, aber irgendetwas fehlt und oft kommt es auf diese Kleinigkeit an. Die Chemie muss stimmen. Natürlich kann man sich um der Sache willen zusammenreißen, aber wenn die Chemie von Anfang an stimmt, ist das sehr viel einfacher. Als Anna Watkins und ich vor drei Jahren zum ersten Mal in einem Boot saßen, hatten wir beide dem Team schon fünf Jahre lang angehört, hatten bis dato aber noch nie zusammen gerudert. Wir hatten schon damals großen Respekt vor der Leistung der jeweils anderen. Und bereits vom ersten Moment an passte alles.

Medlock: Was war es denn genau, was sich so richtig angefühlt hat?

Grainger: Eigentlich sagt dir das Boot selbst, was es braucht. Du musst nur sensibel dafür sein. So gesehen waren wir wohl beide auf derselben Wellenlänge, denn wir sind nur so davongezogen. Anna sitzt hinter mir im Boot. Sie gibt die Anweisungen. Es war fast wie Gedankenübertragung: Sie sprach aus, was ich gerade gedacht hatte. Und wenn ich antwortete, sagte sie: „Genau das wollte ich auch gerade sagen.“ Es war einfach genial. Alles fühlte sich so richtig und so einfach an. Wir dachten uns beide: Wenn wir jetzt schon so gut harmonieren, wie genial wird das erst in drei Jahren sein? Dass die Chemie stimmt, ist also sehr wichtig, aber es ist nicht alles, denn du musst auch schnell sein. Nur wenn die Zeiten auch stimmen, kannst du mit deinem Wunschpartner rudern. Also sind wir ein paar Tage später auf Zeit gefahren und wir hatten in jedem Rennen die Nase vorn. Von diesem Moment an wussten wir, dass wir gemeinsam an den Start gehen würden.

„Glück, Zufriedenheit und Eintracht sind der Kreativität leider selten förderlich.“ – Ben Medlock

Medlock: Ich glaube, einer der Gründe für unseren geschäftlichen Erfolg liegt darin, dass mein Partner Jon und ich oft ganz unterschiedliche Sichtweisen haben. Da kommt es schon mal vor, dass es bei Gesprächen heiß hergeht, aber letztlich ist das gut für das Geschäft. Es hält uns auf Zack und schärft unser Denken. Es ist das klassische Lennon-McCartney-Phänomen: Sobald sich die Beatles aufgelöst hatten, fehlte irgendwie die kreative Spannung. Glück, Zufriedenheit und Eintracht gelten zwar oft als Idealzustand, doch leider sind sie der Kreativität selten förderlich.

Grainger: Beim Rudern geht es natürlich nicht um kreative Spannung, aber für unsere Zusammenarbeit ist es sicher positiv, dass Anna und ich in mancher Hinsicht gleich, in anderer Hinsicht aber völlig unterschiedlich sind. Anna ist von Haus aus Mathematikerin. Sie sieht die Dinge sehr logisch, ist sehr rational und genau und geht sehr analytisch an alles heran. Ich hingegen komme aus dem geisteswissenschaftlichen Lager und lasse mich sehr viel stärker von Gefühlen leiten. Das Großartige an unserer Beziehung ist, dass wir Dinge zwar aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, bei Entscheidungen letztlich aber meist doch zum gleichen Schluss kommen. Die Tatsache, dass wir trotz unterschiedlicher Herangehensweisen zum gleichen Ergebnis kommen, bestärkt uns zusätzlich darin. Und bei aller Verschiedenheit sind uns die gleichen Dinge wichtig. Wir wissen beide genau, was wir von unserem Boot erwarten und wie wir das erreichen wollen. Wir sind beide extrem ehrgeizig und haben jederzeit unser Ziel und den Weg dorthin klar vor Augen.

Medlock: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Persönlichkeit genauso wichtig ist wie Kompetenz. Wer Erfolg haben will, braucht beides.

„Worauf es wirklich ankommt, sind Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen – und zwar tagein, tagaus.“ – Katherine Grainger

Grainger: Stimmt. Unsere Scouts schauen bei potenziellen Kandidaten auf die Größe, messen die Spannweite der Arme und testen, was du an der Rudermaschine drauf hast. Was sich aber nicht so einfach messen lässt, sind die persönlichen Eigenschaften, also die mentale Seite eines Kandidaten. Selbst wenn du die talentierteste Ruderin der Welt bist, heißt das noch lange nicht, dass du gewinnen wirst, denn worauf es wirklich ankommt, sind Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen – und zwar tagein, tagaus. Jeder hat Ziele, aber nur wenige sind bereit, dafür Opfer zu bringen und sich zu schinden. Wer erfolgreich sein will, muss arbeiten, sich anpassen, Niederlagen wegstecken, hinzulernen und immer weiter an sich arbeiten … All das gehört dazu. Ohne die richtige Motivation wird der Traum nie Wirklichkeit.

Medlock: In meiner Branche ist Neugier eine entscheidende Motivationsquelle. Wenn dich etwas fasziniert und du es nicht mehr aus dem Kopf kriegst. Das ist der Punkt, an dem Neugier auf Besessenheit trifft und daraus wird Eigenmotivation. Ich habe da eine Theorie: Suche nach Menschen mit unstillbarer Neugier und du findest die Menschen mit dem wahrscheinlich größten Potenzial. Genau wie beim Rudern lassen sich auch in der Geschäftswelt die entwicklungsfähigen Kompetenzen messen, wenn es um die Auswahl geeigneter Kandidaten geht. In meiner Branche lassen wir die Kandidaten Programmieraufgaben lösen, geben ihnen Logikrätsel auf usw. Das ist der einfachere Teil. Wir arbeiten mit einem Online-Test. Dieser Test ist die erste Hürde, die ein Bewerber nehmen muss, bevor wir ihn zu uns einladen. Das gibt uns schon mal einen wichtigen Anhaltspunkt für die Problemlösungskompetenz des Kandidaten.

Grainger: Damit gibst du dich aber nicht zufrieden, oder? Der ideale Kandidat muss sicherlich mehr können. Du bist auf der Suche nach der ganz besonderen persönlichen Eigenschaft, die dir zeigt, dass der Kandidat nicht nur Grips hat …

Medlock: Das ist der Punkt, an dem du jemanden brauchst, der nicht nur Talent, sondern auch persönliche Eigenschaften erkennt. Wie gut passt diese Person zu unserer Unternehmenskultur? Wie gut wird er mit dem bestehenden Team zusammenarbeiten? Hier eine schlüssige Aussage zu treffen, ist sehr schwierig und es bedarf vielfältiger Überlegungen, um die unterschiedlichen Faktoren herausarbeiten. Als es darum ging, die Firma zu vergrößern, war eine meiner ersten Maßnahmen, jemanden einzustellen, der deutlich älter und erfahrener war als wir und dem ich guten Gewissens die Aufgabe übertragen konnte, ein für uns maßgeschneidertes Team von Ingenieuren zusammenzustellen. Das war ein nicht zu unterschätzender, wichtiger Schritt in unserer Unternehmensentwicklung.

Grainger: Hast du dir schon überlegt, was danach kommen könnte, wenn du mit SwiftKey alle Ziele erreicht hast? Bei mir ist klar, dass ich mir etwas Neues suchen muss, denn leider kann ich nicht ewig Top-Athletin bleiben. Im Moment kann ich mir noch nichts vorstellen, was das Rudern ersetzen könnte, denn ich suche natürlich etwas, was mich genauso fordert und erfüllt. Das brauche ich einfach. Im Moment habe ich noch keine Ahnung, was das sein könnte, und das ist schon ein seltsames Gefühl. Ich hatte jetzt so lange ein klares Ziel vor Augen, dass mir der Gedanke daran, dass das nicht mehr der Fall ist, sehr seltsam vorkommt.

Medlock: Was mir ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass die Dimensionen der Herausforderungen, denen ich mich stelle, mit zunehmendem Lebensalter immer größer werden, denn etwas in mir verlangt nach immer größeren Zielen. Also lautet auch bei mir die fortwährende Frage: Was kommt, wenn diese Herausforderung nicht mehr da ist? Womöglich kommt da ja dann nichts mehr, was mich völlig in den Bann zieht?

Grainger: Hast du denn schon im Hinterkopf, was dein nächstes großes Projekt werden könnte?

Medlock: Ein paar Ideen hätte ich schon, aber irgendwie ist es bei mir so, dass mich nie die gleiche Thematik zweimal fesselt. Als Kind wollte ich unbedingt Raumfahrer werden, später dann Fußballer. Mit der Zeit wurden meine Ideen etwas realistischer. Eine Weile lang wollte ich Musiker werden, dann Liedermacher, etwas später dann Wissenschaftler und irgendwann mal wollte ich unbedingt meine eigene Firma haben. Ich denke, die grobe Richtung wäre schon, noch mal ein Unternehmen zu gründen. Aber dann denke ich: „Könnte es wirklich wieder so genial sein wie früher?“ Für dich muss das ja noch viel stärker zutreffen. Du hast die Goldmedaille gewonnen – also genau das, wovon die meisten nur träumen. Du hast alles erreicht. Wie hältst du dein Selbstwertgefühl aufrecht, wenn du alles erreicht hast? Lässt sich der Erfolg wirklich toppen? Ich kann mir gut vorstellen, dass nach einem so ungeheuren Erfolg eine Phase der Trauer kommt.

Grainger: Viele trauern tatsächlich. Ich selbst hatte ja auch schon meine Trauerphase. Der Gewinn der Goldmedaille war aber ein so grandioses und emotionsgeladenes Ereignis, dass ich davon noch lange gezehrt habe und sich deshalb danach keine Trauer einstellte. Ich hatte wirklich fünf Monate lang ein permanentes Hoch. Überall wo ich hinkam, waren die Leute voll des Lobs und der Anerkennung für meine Leistung. Die Welt feierte mit mir, und ich wurde für viele zum Vorbild. Ich hatte das große Glück, Teil von etwas ganz Großem und Besonderem zu sein. Egal, wie es weitergeht, ich werde nicht versuchen, diesen Erfolg zu toppen.

Der Dialog von Katherine Grainger und Ben Medlock in Marlow wurde von Ulrike Krause, FOCUS, und James Martin, Egon Zehnder, London, moderiert.

Katherine Grainger

Katherine Grainger, 37, ist eine der berühmtesten Sportlerinnen Großbritanniens. Keine andere britische Athletin hat mehr olympische Medaillen gewonnen als sie. Sie ist dreifache Silbermedaillengewinnerin bei Olympischen Ruderwettbewerben und sechsfache Weltmeisterin. Der Höhepunkt ihrer Karriere war die hart erkämpfte Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2012 in London. 2006 wurde sie zum Member of the British Empire (MBE) und 2013 zum Commander of the British Empire ernannt. Grainger studierte zunächst Jura an der Universität Edinburgh. Anschließend erwarb sie den Abschluss eines MPhil in Medizinrecht an der Universität Glasgow. Vor kurzem hat sie ihre Promotion am King’s College London abgeschlossen.

Ben Medlock

Ben Medlock, 34, ist Mitgründer und CTO von SwiftKey. Das Londoner Unternehmen hat eine hochinnovative und komfortable Eingabehilfe für Smartphones entwickelt, die von Anfang an ein Riesenerfolg war: Bereits am Tag ihrer Einführung im Jahr 2010 wurde sie 50 000 Mal heruntergeladen, inzwischen sind mehr als 15 Millionen weitere Downloads hinzugekommen. 2012 hatte SwiftKey bei den Global Mobile Awards in der Kategorie Most Innovative Mobile App gegenüber Google die Nase vorne. Medlock promovierte an der Universität Cambridge im Fachbereich Natural Language and Information Processing und verfügt über einen MPhil-Abschluss in Computer Speech, Text and Internet Technology. Er studierte außerdem Betriebswirtschaft und Musik, beides Felder, die neben Fußball ebenfalls zu seinen Leidenschaften zählen.

FOTOS: FRITZ BECK

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