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Eine neue Dimension der Globalisierung

Weltweit gleichen sich die Praktiken guter Unternehmens­ührung zusehends an.

  • Januar 2017

In den Leitungsorganen großer Unternehmen vollzieht sich ein nachhaltiger Wandel. Es bilden sich weltweit ähnliche Praktiken guter Unter­nehmens­führung heraus, die faktisch wie ein globaler Standard wirken. Die Boards und ihre Mitglieder sind damit aufgefordert, in sechs Bereichen grundlegende Anpassungen vorzu­nehmen: Transparenz, Risikomanagement, Diversity, Internationalität, Unabhängigkeit und Professionalität.

KAUM WAHRGENOMMEN von der Öffentlichkeit, vollzieht sich in den Leitungsorganen großer Unternehmen gegenwärtig ein nachhaltiger Wandel: Weltweit folgen immer mehr Firmen vergleichbaren Regeln einer verantwortungsvollen Unternehmenssteuerung. War in den letzten Jahrzehnten in Bereichen wie der Informationstechnologie oder den Handelspraktiken eine zunehmende Harmonisierung von Standards zu beobachten, so erleben wir heute, wie sich einheitliche Praktiken guter Governance herausbilden.

Auslöser dieser Konvergenz sind weder internationale Institutionen noch übergreifende Vereinbarungen. Vielmehr geht sie auf mannigfaltige Einflüsse zurück, einige davon global, andere regional. Wichtige Treiber waren und sind zweifellos nationale Regelungen zur Corporate Governance, wie sie in den letzten Jahren in vielen Ländern eingeführt wurden. In ihrer Gesamtheit haben all diese Richtlinien und Bestimmungen heute faktisch die Wirkung eines Standards, den Unternehmensführungen in allen Teilen der Erde in ihrer Praxis zu erfüllen suchen.

Gute Gründe für Good Governance

Wenn damit immer mehr Firmen global akzeptierte Praktiken der Good Governance übernehmen, so tun sie dies zunächst, um ihre Attraktivität für Investoren zu stärken. Sie reagieren zudem auf den Druck zahlreicher Anspruchsgruppen – von Mitarbeitervertretungen und Kunden bis hin zu Regierungen und NGOs. In Ländern wie denUSA spielen dabei institutionelle Stakeholder wie die Pensionsfonds und die an diesen als Anteilseigner beteiligten Gewerkschaften eine besondere Rolle. In Deutschland wirkte etwa der Deutsche Gewerk­schaftsbund maßgeblich auf die Änderung des Deutschen Corporate- Governance-­Kodex hin, der 2009 eine stärkere Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen festschrieb.

Doch nicht nur der Druck der Anspruchsgruppen treibt die globale Ausrichtung an den Zielen einer verantwortungsvollen Unternehmenssteuerung voran. Auch Unternehmensskandale, Probleme im Bereich der Produktverantwortung sowie fragwürdige Handelspraktiken stärken den Trend. In einigen Rechtssystemen sehen sich die Verantwortlichen zudem immer strikteren Haftungsbestimmungen und in der Folge gerichtlichen Verfahren ausgesetzt. Hinzu kommt, dass den Aufsichtsräten heute zusätzliche Führungsverantwortung zuwächst. Ihnen obliegt es nicht nur, die Leistung des CEOs zu beurteilen, sie bestimmen auch über die Strategien und Prozesse für dessen Nachfolge. In jüngster Zeit schließlich gaben die Hintergründe und Folgen der Finanzkrise der Durchsetzung einheitlicher Governance-Praktiken weiteren Auftrieb.

Doch ganz gleich, aus welchen Gründen sich Unternehmenslenker in aller Welt heute um eine verbesserte Corporate Governance bemühen, die Wege, die sie dabei gehen, und die Herausforderungen, vor denen sie stehen, gleichen sich. Sie konzentrieren sich vor allem auf die folgenden sechs Bereiche.

Größere Transparenz

Zu den wichtigsten Governance-Aufgaben gehört es heute zweifellos, mehr Transparenz zu schaffen. Die Zeiten, in denen die Boards großer Unternehmen – wir verwenden den international gebräuchlichen Terminus „Board“ systemunabhängig für die Organe der Unternehmensführung und -aufsicht – ihre Arbeit weitgehend hinter verschlossenen Türen verrichteten, scheinen endgültig vorbei zu sein. Vor allem Investoren, aber auch weitere Stakeholder-Gruppen erwarten von den Unternehmensführungen heute deutlich mehr Offenheit. In vielen Ländern wächst der öffentliche Druck auf die Firmen, umfangreiche Informationen offenzulegen. Dabei geht es um Themen wie persönliche Verflechtungen von Aufsichtsräten mit dem jeweiligen Unternehmen, Vergütung, Nachfolgeplanung oder Diversity in der Zusammensetzung der Boards.

Ein weiteres wichtiges Thema rangiert nach unserer Erfahrung gegenwärtig weit oben auf der Agenda der Unternehmenslenker: der Umgang mit Risiken. Die Heraus­forderungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben viele Firmen veranlasst, dem Risikomanagement noch mehr Gewicht zu verleihen und die Expertise ihrer Boards auf diesem Gebiet auszubauen. Nicht nur bei den Finanzdienstleistern, sondern quer durch alle Branchen ist diese Entwicklung erkennbar. Sie ist Teil eines größeren Trends, der lange vor der Krise begann: Generell erwarten immer mehr Unternehmen von ihren Board-Mitgliedern ein ausgeprägtes Expertenwissen. Das gilt zum Beispiel auch für die Bereiche Informationstechnologie und Finanzen.

Ein umfassendes Diversity-Konzept

Auch das Thema Diversity gewinnt weiter an Bedeutung. Dabei setzt sich in immer mehr Unternehmen ein weitgefasstes Verständnis von Vielfalt durch, das auch die Verschiedenheit der beruflichen Wege und Erfahrungen, der nationalen Herkunft, ja selbst der Gedanken und Meinungen mit einbezieht – ein Trend, der die Boards nachhaltiger verändern könnte als jede willkürliche Quotenregelung. Gleichzeitig treiben nach wie vor auch gesetzliche Bestimmungen Diversity in der Unternehmenspraxis voran. So müssen Firmen, die an US-amerikanischen Börsen notiert sind, die Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission, SEC) darüber informieren, ob und wie sie Diversity bei der Zusammensetzung ihrer Boards berücksichtigen.

„Klassische“ Diversity-Themen wie die Mitwirkung von Frauen in den Spitzenpositionen der Unternehmensführung stehen auch künftig im Blickpunkt der Boards. Dabei entspricht es durchaus nicht nur dem gesellschaftlichen Klima, Vorstandspositionen und Aufsichtsgremien vermehrt mit Frauen zu besetzen. Die große Mehrheit der Unternehmenslenker hält dies vielmehr auch jenseits aller Gender-Erwägungen für notwendig – und vorteilhaft. In den meisten europäischen Ländern steigt die Zahl der Frauen in den Boards denn auch stetig an. Trotzdem liegt sie im europäischen Durchschnitt noch immer bei nur 12,2 Prozent, wobei die nationalen Werte zwischen 3,5 Prozent in Portugal und rund 30 Prozent in Schweden, Finnland und Norwegen schwanken.

Zu diesen Ergebnissen kommt die „European Board Diversity Analysis 2010“, für die Egon Zehnder über 300 der größten Unternehmen in 17 europäischen Ländern untersucht hat. Die Studie belegt auch, dass Deutschland im europäischen Vergleich weiterhin nur im Mittelfeld rangiert. So sind in deutschen Groß­unternehmen nur 8,7 Prozent der Board-Mitglieder Frauen. Besonders schwach vertreten sind sie in den Vorständen, wo sie lediglich 2,3 Prozent der Positionen innehaben, im Vergleich zu 4,2 Prozent im europäischen Mittel. An Überzeugung mangelt es auch in deutschen Unternehmen nicht, wie wir beobachten konnten, doch in der Umsetzung liegen viele noch weit zurück.

Multinationale Boards

Ein Aspekt von Diversity gewinnt speziell für die Boards jener Unternehmen an Bedeutung, die global tätig sind oder beabsichtigen, einen höheren Anteil ihrer Erträge in Auslandsmärkten zu erzielen: die Besetzung von Vorstandspositionen mit Managern unterschiedlicher Nationalität. Die intime Kenntnis der anderen Kultur, ihrer Märkte, Handelspraktiken und Betriebsbedingungen, über die Manager aus den betreffenden Ländern verfügen, haben sich als wichtige Treiber für den Erfolg in fremden Märkten erwiesen. Das belegt auch der „International Global Board Index“. Im Rahmen dieser Studie konnte Egon Zehnder den Zusammenhang zwischen der Internationalität der Board-Mitglieder und dem Unternehmenserfolg 2008 erstmals am Beispiel global tätiger US-amerikanischer Großunternehmen nachweisen.

Angesichts der Exportorientierung deutscher Unternehmen kann es nicht verwundern, dass der Anteil ausländischer Vorstände in denDAX-30-Konzernen in den letzten Jahren auf fast 30 Prozent angestiegen ist. Von den im Jahr 2009 neuberufenen Vorstandsmitgliedern stammen sogar rund 60 Prozent aus dem Ausland – und der Aufwärtstrend hält weiter an. Auf die weiblichen Top-Führungskräfte trifft dies allerdings nur eingeschränkt zu, wie unserer „European Board Diversity Analysis 2010“ zu entnehmen ist. Nicht mehr als ein Fünftel der Frauen in deutschen Vorständen und Aufsichtsräten kommen demnach aus dem Ausland – ein deutlicher Rückstand gegenüber der europäischen Situation, wo der Wert durchschnittlich bei 30 Prozent liegt. Hier müssen deutsche Unternehmen mithin große Anstrengungen unternehmen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Der Trend zur Internationalisierung der Boards hat überdies einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt: Er fördert den weltweiten Austausch von Best Practices und treibt damit die Konvergenz von Governance- Praktiken weiter voran.

Mehr Unabhängigkeit für die Aufsichtsfunktionen

Im Blick auf grundlegende Prinzipien und Strukturen der Governance lässt sich weltweit die Tendenz erkennen, der Leitungs- und Aufsichtsfunktion an der Unternehmensspitze mehr Unabhängigkeit gegenüber dem operativen Management zu verleihen. Die Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat, wie sie im deutschen System praktiziert wird, beweist in diesem Zusammenhang durchaus ihre Stärken. Allerdings vermag sie allein keine Unabhängigkeit zu garantieren. Zwar schreibt der Deutsche Corporate-Governance-Kodex die Unabhängigkeit der Arbeitgebervertreter im Aufsichtsrat vor. Doch – und dies ist zweifellos eine Schwachstelle im deutschen System – definiert er diese nur recht allgemein.

Hinzu kommt, dass gerade die Aufsichtsräte bisher nicht selten von einer Person, dem Aufsichtsratsvorsitzenden, dominiert wurden. Diese „Alleinherrschaft“ weicht unserer Erfahrung nach heute mehr und mehr einer sachbezogenen Diskussionskultur. Im angelsächsischen System finden wir eine ähnliche Problematik. Hier werden die Funktionen des CEO und des Chairman – vergleichbar dem deutschen Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden – häufig von ein und derselben Person wahrgenommen, der damit eine erhebliche Machtfülle zukommt. Auch das ändert sich jetzt: Immer mehr amerikanische und britische Unternehmen vergeben die beiden Funktionen heute an zwei Personen. Andere gehen dazu über, zusätzlich einen Lead Director zu benennen, der als nicht exekutives Mitglied im Board Steuerungsfunktionen übernimmt.

Generell erhöht sich in den Boards angelsächsischer Prägung heute der Anteil nicht exekutiver Leitungsfunktionen (Non-Executive Directors, NED), womit eine ausgewogenere Besetzung erreicht wird. Gleichzeitig erwartet man von den NEDs ein hohes Maß an Unabhängigkeit. Beides zusammen führt zu einer inhaltlichen Zweiteilung des Boards – eine Annäherung an das duale deutsche System, die einmal mehr auf dessen Vorzüge verweist.

Weitere Professionalisierung

Über all dies hinaus bleibt das Thema Professionalisierung eine wichtige Herausforderung. Kein Board kann sich heute noch darauf beschränken, einige Male im Jahr zu tagen und die Arbeit des Managements ohne großes Aufheben abzusegnen. Stattdessen üben die Board-Mitglieder eine immer intensivere Aufsicht und Kontrolle aus – und, wie erwähnt: Sie haften vermehrt für ihr Handeln. Dabei haben sie in den spezifischen Verantwortungsbereichen, die sie jeweils übernehmen, häufig kritische Entscheidungen zu treffen. All dies verlangt ein Höchstmaß an Professionalität und Engagement.

Die Anforderungen, vor denen die Boards aufgrund der globalen Konvergenz der Governance-Praktiken stehen, sind mithin enorm, und sie dürften sich künftig noch weiter verschärfen. Nur jene Boards, die ihre Zusammensetzung im Blick auf die gestiegenen Erwartungen überprüfen und anpassen, werden die Herausforderungen erfolgreich bewältigen. Sie stehen zudem vor der Aufgabe, die Governance-Prozesse und -Praktiken ihrer Unternehmen eingehend zu untersuchen und sie, wo nötig, zu verfeinern. Das alles verspricht durchaus greifbare Vorteile. Nicht zuletzt lassen sich Haftungsrisiken begrenzen und das Vertrauen der Kapitalgeber und weiterer Stakeholder stärken – wichtige Voraussetzungen für den nachhaltigen Unternehmenserfolg.

DIE AUTOREN

Dr. Berthold Leube ist seit 2002 Berater im Berliner Büro von Egon Zehnder. Er ist Mitglied der Financial Services Practice und leitet die Aktivi­täten der Board Consulting Practice in Deutschland.

George L. Davis ist seit 1997 Berater im Bostoner Büro von Egon Zehnder. Er ist Co-Leader der globalen Board Consulting Practice und Mitglied im Executive Committee der Firma.

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