Dr. Kristina Hammer verantwortete das Marketing bei Autoherstellern, arbeitete als Coach und verfügt über keinerlei politische Zugehörigkeit. Am 1. Januar 2022 wurde sie die neue Präsidentin der Salzburger Festspiele. Warum dies ein Gewinn für die Welt der Kultur ist, zeigt ein Gespräch, das Kristina Hammer kurz nach ihrer Berufung mit Egon Zehnder führte.
Viele Beobachter:innen zeigten sich von Ihrer Wahl positiv überrascht. Und Sie selbst?
So recht begriffen habe ich das Geschehene erst, als mich das Kuratorium zu sich rief und die Mitglieder aufstanden und applaudierten. Dieser Moment fühlte sich an, als würde die Zeit stillstehen. Der Blick ging nach innen, und ich spürte vor allem Demut und Respekt. Aber ein wenig Stolz war auch dabei.
Wie sind Sie zu Kunst und Kultur gekommen?
Kunst und Kultur haben in der Familie immer eine große Rolle gespielt und begleiten mich seit der Kindheit. Meine Großmutter beispielsweise spielte drei Instrumente. Ich selbst habe Klavier spielen gelernt, und meine Eltern haben mich früh ins Theater und in die Oper mitgenommen. Wir sind regelmäßig auch zu den Salzburger Festspielen gefahren.
Perspektivenwechsel sind großartig.
Dr. Kristina Hammer
Inwieweit wirkt die Prägung nach?
Geblieben ist beispielsweise die Lust am Debattieren. Ich habe mich als 13-Jährige einmal sozusagen in die Salzburger Festspiele „zurückdiskutiert“. Meine Eltern hatten mich drei Jahre lang zu Hause gelassen, weil ich äußerte, dass mir eine Aufführung von Strawinskys „Sacre“ nicht gefiel. Irgendwann las ich, dass das Premierenpublikum vor Wut über dieses Ballett beinahe das Theater zerlegt hätte. Da durfte ich wieder mit.
Der Wunsch, Musik live zu erleben, scheint schon damals groß gewesen zu sein. Was bedeuten Ihnen Konzerte?
Musik und großes künstlerisches Können ergreifen mich. Das war schon beim allerersten Ereignis so, das ich bei den Festspielen erleben durfte. Ich war acht Jahre alt und durfte meine Großmutter zu einer öffentlichen Probe mit Herbert von Karajan begleiten. Mir steht noch lebhaft vor Augen, wie sich dieser charismatische Mann zum Publikum umdreht und sagt, er wolle uns eine Künstlerin vorstellen, an die er wirklich glaube. Und dann betrat ein Teenager namens Anne-Sophie Mutter die Bühne. Das hat einen ungeheuren Eindruck auf mich gemacht.
Außer dem hohen Qualitätsanspruch: Was macht die Salzburger Festspiele besonders?
Der Geist der Humanität. Diese Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen und die Förderung unterschiedlicher Interpretationen und Zugänge. Mich berührt es, dass schon die Gründer der Festspiele den Gedanken der Gemeinschaft in der Kultur betonten. Daran müssen wir uns erinnern, weil so viele Menschen einander heute mit Sprachlosigkeit und Feindseligkeit begegnen.
Treibt Sie das an?
Der Geist der Festspiele inspiriert und fasziniert mich. Schon im Vorstand der Freunde der Oper Zürich bestand eine meiner Aufgaben darin, Brücken zu bauen, beispielsweise zwischen den Generationen. Dazu bedarf es Ausdauer und einer gewissen Empathie. Man muss zuhören können und sollte Ansprüche nicht nur formulieren, sondern selbst erfüllen und vorleben. Auf dieser Basis habe ich gelernt, Menschen zu fördern, aber auch zu fordern. Und es bereitet mir Freude, wenn ich andere überzeugen kann, einen bestimmten Weg gemeinsam zu gehen. Gegen Widerstände, vielleicht auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, aber immer auf das richtige Ziel ausgerichtet.
Sie sagen „richtiges Ziel“. Was wäre unrichtig?
Mir sind Werte wichtig. Ein Ziel kann so lange richtig sein, wie Menschen es aufrichtig und in gegenseitigem Respekt anstreben. Falschheit und Untergriffigkeit ertrage ich nicht.
Woher kommt dieser Wertefokus?
Bei mir persönlich aus der Religion. Spiritualität bedeutet mir einiges. Ich war beispielsweise am Morgen der Wahl noch im Salzburger Dom, habe gebetet und eine Kerze angezündet.
Sie haben Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Branchen gesammelt. Spielen Werte in der Wirtschaft wirklich eine immer größere Rolle?
Gehen wir einmal chronologisch durch. Meine Karriere als Managerin begann im schönen Wien, im Kaufhaus Steffl. Während dieser Zeit konnte ich beobachten, wie der Handel seine Einstellungen änderte. Im Einkauf und bei jeder einzelnen Dienstleistung ging es mehr und mehr darum, Menschen in den Fokus stellen, hier speziell die Kund:innen. Das habe ich mir abgeschaut. Dann wechselte ich in die Automobilindustrie und nach England. Unter dem Dach der Ford Gruppe versammeln sich zahlreiche Marken aus unterschiedlichen Ländern, beispielsweise Land Rover aus England, Volvo aus Schweden und Lincoln aus den USA. Diese Konstellation verlangt nach interkultureller Kompetenz – und die habe ich bei Ford gestärkt. Danach durfte ich die globale Markenkommunikation von Mercedes Benz leiten. Eine großartige Aufgabe, die neben der Kenntnis unterschiedlicher Märkte die Orientierung auf bislang vernachlässigte Kundensegmente verlangte: Wie findet man Zugang zu Jüngeren, ohne die Älteren zu verlieren? Wie wird die Marke Mercedes Benz weiblicher? Diese Fragen drehen sich im Kern um Werte, etwa um Nachhaltigkeit und Diversität. Insofern kann ich das vollständig bejahen.

Wie könnte eine Quintessenz lauten?
In der Führung kommt es darauf an, Auffassungen auch dann ernst zu nehmen, wenn sie einem fremd erscheinen. Ein Wechsel der Perspektive also. Außerdem muss man sich in einem neuen Umfeld Zeit nehmen, die Menschen kennenzulernen. Denn nur, wenn ich mein Gegenüber verstehe, kann ich effizient und aufrichtig mit ihr oder ihm arbeiten. Vielleicht hat diese Erkenntnis dann zu meiner Zusatzausbildung als Executive Coach geführt: Richtig zuhören – das ist eine echte Kunst, vor allem für Menschen, die ähnlich temperamentvoll sind wie ich.
Sie sprechen wiederholt von Aufrichtigkeit. Ist das Ihr Ziel: aufrichtige Festspiele?
Ich sprach auch von Rührung. Wie wäre es also mit berührenden Festspielen?
Aufrichtig berührende Salzburger Festspiele.
Möchten Sie in mein Kommunikationteam wechseln?
Ist das ein Angebot, eine andere Perspektive einzunehmen?
Perspektivenwechsel sind großartig.
Nach Ihrer Tätigkeit bei Mercedes haben Sie sich selbstständig gemacht. Auch so ein Perspektivenwechsel?
Bei Mercedes habe ich mehr als 100 Mitarbeiter:innen geführt. Ich konnte Aufgaben delegieren und mit einem gewissen Budget Pläne schmieden. Als Selbstständige war ich dann plötzlich meine eigene Assistentin. Außerdem hatte ich bis dahin stets andere vermarktet. Nun vermarktete ich mich selbst und ging Klinken putzen. Dabei lernt man, mit vielen „Shades of Nein“ umzugehen. Letztlich habe ich dann aber hin und wieder ein „Ja“ gehört und als Selbstständige unter anderem dabei geholfen, Marken zu positionieren. Darüber hinaus durfte ich eine ganze Reihe großartiger Persönlichkeiten coachen.
Wie haben Sie das nötige Vertrauen gewonnen?
Neben dem Zuhören-Können bedarf es der Fähigkeit zum Dialog. Und nicht zuletzt kommt es wohl auch auf Resilienz an. Ich glaube, andere Menschen merken einem an, ob man in seinem Leben Hürden genommen und echte Erkenntnisse gewonnen hat. Dazu gehört beispielsweise das Miterleben existenzieller Situationen, sei es in Vorständen, Beiräten oder Familienunternehmen. Man stellt vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen klügere Fragen. Diese Mischung aus Zuhören, Dialog und Erleben bildet den Boden für einen offenen Umgang miteinander.
Ein Rezept für Ihre neue Funktion?
Ganz sicher. Es ist überall anwendbar. Erfolg stellt sich meiner Ansicht nach ein, wenn man Menschen generell zugeneigt bleibt. Ich glaube, von mir behaupten zu können, dass ich einem jeden Gegenüber Offenheit und Akzeptanz entgegenbringe. Das ist für mich das Gegenteil von Be- und Verurteilen. Außerdem bin ich neugierig. Ich möchte Neues lernen und auch gelegentlich einen Umweg nehmen statt immer schnurstracks geradeaus zu laufen. Das war auch der Antrieb, mich als Coach ausbilden zu lassen.
Offen und neugierig – beschreiben diese Adjektive Ihr Naturell am besten?
Wahrscheinlich ist das so. Deshalb bin ich auch skeptisch, dass sich Karrieren durchplanen lassen. Zum Leben gehören ja immer auch Misserfolge. Wer damit umgehen kann, ist beim nächsten Mal vielleicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Manche nennen das Glück. Ich finde, es ist eine Frage der Einstellung.
Frau Dr. Hammer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Interview: Egon Zehnder ∙ Foto: SF/Anne Zeuner