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Der CEO als Vordenker und Erzähler

Wenn Sie die Geschichte nicht selbst erzählen, erzählt sie ein anderer.

  • Juli 2015

Wer überzeugen will, muss verstanden werden. Ein CEO, der seine Geschichte gekonnt erzählt, erlangt die Deutungshoheit über Fakten und formulierte Ziele. Auf diese Weise kann er seine Adressaten für sich gewinnen. Das erhöht die Chance, angestrebte Entwicklungen zu verwirklichen.

Ein CEO ist immer zugleich Philosoph und Künstler. Wie ein Philosoph muss ein CEO Freude daran haben, ungelöste Probleme anzupacken, die zwar durch Fakten und Zahlen bestimmt werden, aber nicht allein durch diese gelöst werden können. Und wie ein Künstler muss ein CEO kreativ sein und innovative Lösungen entwickeln, die unternehmerisch umsetzbar, für die Aktionäre einträglich und für die Stakeholder akzeptabel sind. Kurzfristige Strategien sind nicht hinreichend. Und die beste langfristige Strategie besteht darin, eine Vision zu entwickeln, die die ungelösten Fragen richtig verortet und lösbar macht. Eine solche Vision bedeutet nicht, dass sie Zukunft sicher vorhersagt. Sie ist vielmehr eine Aussage darüber, wie die Gegenwart in eine wünschenswerte Zukunft transformiert werden kann. Eine gute Führungskraft zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Verständnis vom Gesamtzusammenhang, von der „Geschichte“ hat und weiß, wie die Dinge aktuell laufen und wie sie verbessert werden könnten – ganz so wie ein Schachspieler. Früher oder später ist eine mitreißende Geschichte nicht mehr zu trennen von der Person, die sie erzählt. Der Erzähler und seine Erzählung verschmelzen. Die entscheidende Frage ist, ob und wie weit ein solches Narrativ in die breite Öffentlichkeit kommuniziert werden kann und sollte.

„Onlife“ kommunizieren

Lassen Sie mich zunächst über das „Ob“ sprechen. Wenn das Thema „soziale Medien“ diskutiert wird, dann scheinen unter Top-Führungskräften, die keine Digital Natives sind, drei Grundannahmen zu kursieren: Erstens, es gebe eine klare Trennung zwischen „offline“ und „online“ und die wirkliche, echte Kommunikation finde nur dort statt, wo Menschen sich persönlich die Hand schütteln. Zweitens, alles Narrative sei im schlimmsten Fall reiner Zeitvertreib und im besten Fall ein Thema für die PR-Abteilung. Und drittens, „online“ Geschichten zu erzählen sei sogar noch belangloser – das könne man getrost den Kindern und Computerfreaks überlassen. Diese drei Annahmen erweisen sich in einer reifen Informationsgesellschaft als gefährliche Irrtümer. Erstens haben die sozialen Medien die Trennung zwischen „online“ und „offline“ zu einem Anachronismus werden lassen. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Welt hin zum „onlife“ bewegt, wo Menschen ein Meeting auf Facebook organisieren und dort auch verfolgen, und zwar nahtlos. Niemand geht mehr „online“, wir sind ständig „on“, und auch die Geschäftswelt lebt in der Infosphäre 24 / 7, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Zweitens: Wenn man in der Infosphäre die Geschichte nicht selbst erzählt, dann ist man eine ihrer Figuren. Damit meine ich: Wenn Sie die Geschichte nicht selbst schreiben, schreibt sie ein anderer. Drittens folgt daraus, dass auch in der Welt der Unternehmen das Geschichtenerzählen und ein visionäres Narrativ von entscheidender Bedeutung sind. Will sagen: Wenn ein CEO die Geschichte, die er erzählen möchte, gekonnt gestaltet, kann er die Gedanken der Menschen beeinflussen. Diese Gelegenheit gilt es zu nutzen, denn so erlangt der CEO die Deutungshoheit – über aktuelle Fakten wie auch über das formulierte Ziel. Auf diese Weise kann er seine Zuhörer an sich binden. Das erhöht die Chance, die Ziele zu erreichen und angestrebte Entwicklungen zu verwirklichen. Natürlich dürfen die Risiken dabei nicht unterschätzt werden. In einer Welt, in der man ständig von den unterschiedlichsten Medien bombardiert wird, bleiben vier Dinge in Erinnerung: völlig Bizarres, sehr Dummes, überaus Kluges und befremdliches Stillschweigen. Zum Risiko der ersten zwei erübrigt sich jeder Kommentar. Das Dritte ist genauso offensichtlich: Jeder Kommunikator möchte wegen einer klugen Äußerung in Erinnerung bleiben. Vermeiden Sie es also, nur kleine Neuigkeitsschnipsel zu wiederholen, die sowieso in null Komma nichts veralten, oder Vorhersagen zu machen, die immer riskant sind, es sei denn, sie sind trivial.

Leser möchten Einblicke gewinnen, Kommentare zum laufenden Geschehen erhalten, Ideen finden, die sie woanders noch nicht gefunden haben, oder auch eine Antwort auf eine weit verbreitete Frage bekommen. Kurz gesagt: Sie möchten an wertvollen oder nützlichen Gedanken des CEO teilhaben. Das bedeutet persönliche Kommunikation. Und die ist einnehmend und spannend, denn als Zuhörer fühlt man sich mit einem Erzähler aus Fleisch und Blut eher verbunden. Es ist der vierte Punkt, der sehr problematisch ist. Stillschweigen ist eine machtvolle Art der Kommunikation. Stillschweigen kann manchmal sehr laut sein, besonders dann, wenn die Quelle einflussreich ist und man von ihr mehr Engagement erwartet. So etwas bleibt in den Köpfen hängen. Daher muss es sehr maßvoll eingesetzt werden. Keinerlei Stellungnahme zu einem wichtigen Thema abzugeben, nicht zu den maßgeblichen Stimmen zu gehören, die eine das eigene Unternehmen betreffende Entwicklung diskutieren, oder – noch gravierender – ganz offen seine Absicht zu bekunden, sich zu wichtigen Ereignissen nicht äußern zu wollen, auch wenn man öffentlich gefragt wird: Das können sehr schädliche Formen der Kommunikation sein, die das Vertrauen in einen CEO erschüttern. Zu schweigen ist daher ein Risiko, das sich eine Top-Führungskraft kaum leisten kann. CEOs sollten die Vision, mit der sie sich identifizieren, auch kommunizieren.

Illustration: Paul Davis

Eine Vision teilen

Die nächste Frage ist, „wie weit“ eine solche Kommunikation gehen sollte. Ich spreche hier nicht von einer gelegentlichen Kolumne oder einem Fernsehinterview. Ich spreche über die digitale Präsenz in den sozialen Medien. Die Identität eines CEO ist seine oder ihre Vision, die sich aus vielen kleinen Episoden zu einer Geschichte entwickelt und verbreitet. Sollte dieses Narrativ auf einer Facebook-Seite, in einem Blog oder über ein Twitter-Account veröffentlicht werden? Die Antwort ist wiederum ein vorsichtiges Ja. Vorsichtig, weil hier drei weitere Gefahren lauern: Erstens kann man falsch kommunizieren. Sofern dies unbeabsichtigt geschieht, ist es besser, den Fehler zuzugeben und sich schnellstmöglich dafür zu entschuldigen. Falls es absichtlich geschieht, ist es unerlässlich, diese Strategie sofort zu überdenken. Sagen Sie niemals die Unwahrheit. Die Wahrheit tendiert dazu, früher oder später ans Licht zu kommen, besonders, wenn Milliarden von Menschen „online“ sind und zuschauen. Die nächste Gefahr besteht darin, schlecht zu kommunizieren. Obskure Analysen, indirekte Botschaften zwischen den Zeilen, kleinliche Kommentare, Triviales ... Schlechte Geschichten sind noch schädlicher als Stillschweigen. Drittens und letztens kann man versagen, obwohl man versprochen hat zu kommunizieren. Soziale Medien sind nimmersatte Bestien: einmal freigelassen, müssen sie regelmäßig mit Inhalten gefüttert werden – sonst beißen sie. Sie vertragen ein gewisses Maß an Wiederholung, aber kein Schweigen. Ein halb aufgegebener Blog, eine nicht gepflegte Facebook-Seite oder ein unbetreuter Twitter-Account sind schlimmer als überhaupt keine Kommunikation – sie wirken vernachlässigt und kosten Vertrauen.

Die Chance ergreifen

Der Begriff „Chief Executive Officer“ wird seit dem 19. Jahrhundert verwendet. CEOs hatten 200 Jahre Zeit, um optimale Methoden der Kommunikation zu entwickeln – und das in einer Welt der Massenmedien, die lange Zeit keinen dramatischen Wandel verlangte. Aber heutzutage twittert Barack Obama, ebenso wie Bill Gates. Top-Führungskräfte sollten die Bedeutung, in den sozialen Medien präsent zu sein, daher nicht unterschätzen. Es ist eine Chance, die alle damit verbundenen Risiken wert ist. Von Führungspersonen wird erwartet, dass sie die Vision kommunizieren, die sie ausmacht, und zwar in einem nicht endenden, kontinuierlichen Dialog mit den sozialen Medien und mit einer Geschichte, die zeigt, wer sie als Führungskräfte sind. Hierbei kann man nicht improvisieren, und ein CEO sollte sich auf ein hochprofessionelles Team stützen, bei dem er darauf vertrauen kann, dass es die Informationen zur richtigen Zeit, in den richtigen digitalen Medien und in der richtigen Art und Weise verbreitet – denn dieser Informationsfluss ist das A und O der langfristigen Wahrnehmung von CEO und Unternehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das 21. Jahrhundert die ersten „Chief Executive Communicators“ sehen wird. Und sie werden genauso wichtig sein wie die anwaltlichen Berater, auf die sich ein CEO verlässt.

Luciano Floridi

ist Forschungsdirektor und Professor für Philosophie und Informationsethik am Oxford Internet Institute der University of Oxford. Er ist Mitglied des Google-Beirates „Recht auf Vergessenwerden“. Sein jüngstes Buch trägt den Titel The 4th Revolution: How the Infosphere is Reshaping Human Reality (Oxford University Press, 2014).

FOTO: IAN SCOTT

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