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Interview mit Jacob Wallenberg

  • Januar 2017

„Veränderung ist die einzig erhaltenswerte Tradition.“

Jacob Wallenberg, Chairman der mächtigen Industrieholding Investor AB, beschreibt im Gespräch mit FOCUS, wie das Verständnis von aktiver Eignerschaft Übergangsprozesse in den von ihm und seiner Familie kontrollierten Unternehmen vorantreibt.

„ESSE, NON VIDERI“ – so lautet seit 150 Jahren das Motto der Wallenbergs. Frei übersetzt: Sein, nicht scheinen. Jacob Wallenberg hat sich den Familiensinnspruch durchaus zu eigen gemacht. Interviews führt er schon mal auf einer Bank vorm Zeitungskiosk statt in einer eleganten Businesslounge oder im Nobelhotel, und er fliegt Economy, wenn es sich anbietet. Mit FOCUS sprach der Aufsichtsratschef von Investor AB in der ebenfalls unprätentiösen Zentrale der Industrieholding in der Stockholmer Altstadt.

Focus: Herr Wallenberg, erklärtes Ziel aller Beteiligungen von Investor AB ist der Status als „Klassenbester“. Um diese Position zu erreichen, so erklärten Sie einmal, muss man nicht der Stärkste oder der Intelligenteste, sondern der Anpassungsfähigste sein.

Jacob Wallenberg: Einer meiner Vorfahren postulierte für uns das Prinzip, dass Veränderung die einzig erhaltenswerte Tradition ist. Überleben kann in dem Umfeld, in dem wir agieren –, in multinationalen, globalisierten Unternehmen – unseres Erachtens nur derjenige, der in der Lage ist, sich anzupassen. Wer wirklich ganz vorne mitmischen will, muss Wandlungsfähigkeit beweisen. Die Unternehmen, an denen wir beteiligt sind, haben ebenso wie andere erfolgreiche schwedische Unternehmen eines gemein: Sie sind in ihrer Branche weltweit führend. Das hängt damit zusammen, dass sich Schweden schon vor hundert Jahren global ausrichten musste, weil unser Binnenmarkt zu klein war. Es war eine Frage des Überlebens. In dieser internationalen Ausrichtung liegt seither Schwedens Stärke.
Wallenberg

Focus: Was war der bedeutendste Übergangsprozess, den Sie beruflich miterlebt haben?

Wallenberg: Vermutlich die Globalisierung und die Art, wie sie sich vollzogen hat. Früher hat die schwedische Gesetzgebung heimische Unternehmen vor der Konkurrenz aus dem Ausland geschützt. Ausländer konnten keine schwedischen Unternehmen kaufen. Umgekehrt haben sich schwedische Unternehmen, wie erwähnt, schon früh im Ausland umgesehen und dort alles übernommen, was ihnen interessant erschien. Heute ist Schweden in der EU und dieser Schutzraum existiert nicht mehr. Plötzlich gelten für uns die gleichen Bedingungen wie für alle anderen globalen Unternehmen.

Focus: Gibt es weitere gravierende Veränderungen?

Wallenberg: Ja, ein zweiter Aspekt ist die heutige Konzentration auf den Kunden oder Verbraucher. Fast alle Unternehmen, an denen wir traditionell beteiligt sind, stammen mehr oder weniger aus dem Maschinenbau. Nehmen wir als Beispiel den Hausgerätehersteller Electrolux. Jahrelang befassten sich Aufsichtsrat und Eigentümer primär mit Fragen der Effizienzsteigerung. Es wurde über Produktionsprozesse und Fertigungsabläufe diskutiert. Der Board kümmerte sich um die Ressourcenallokation und das Betriebskapital. Wurde, etwas übertrieben formuliert, jemals über die Wünsche der Endverbraucher diskutiert? Nein! Heute ist es genau umgekehrt. Worüber spricht man heute zuerst? Natürlich über den Kunden. Was wünscht er, welche Qualität verlangt er – und so weiter – egal, ob Ihr Geschäft Papier, Finanzdienstleistungen, Geschirrspüler oder Handys sind. Das hat sich also um 180 Grad gedreht. Es geht aber nicht nur darum, dass Unternehmensführung und Aufsichtsrat diese Neuorientierung erkennen, sondern sie müssen zehntausende von Mitarbeitern dazu motivieren, ihr Verhalten entsprechend zu ändern.

Focus: Und wie sollten Unternehmen dabei vorgehen?

Wallenberg: Sie müssen ständig am Ball sein und einen kontinuierlichen Lernprozess in Gang setzen, mit möglichst vielen Leuten reden und sicherstellen, dass sie umfassende Informationen geradezu inhalieren. Dennoch hat man trotz aller Anstrengungen nicht immer die richtigen Antworten parat, und dann trifft einen die Erkenntnis manchmal wie ein Blitzschlag. Aber genau das macht ja Führungsfähigkeit letztlich aus – nicht immer gleich die besten Antworten parat zu haben, sondern in der Lage zu sein, im gegebenen Umfeld mit einer gut geölten Maschinerie so zu arbeiten, dass rasche Kurswechsel möglich sind, wenn man auf der falschen Spur ist.

Focus: Trifft das, was Sie über die Veränderungsbereitschaft der einzelnen Unternehmen im Portfolio von Investor AB gesagt haben, auch für die Holding selbst zu?

Wallenberg: Eine Investmentgesellschaft ist ein Unternehmen wie alle anderen. So haben wir beispielsweise die verschiedenen Investitionsarten überdacht. Da sind zum einen die Publikumsgesellschaften, aber Privatunternehmen wie auch Venture-Capital-Beteiligungen und andere, noch relativ neue Anlage-Klassen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wir haben deshalb beschlossen, Teile unseres Portfolios in diese neuen Bereiche zu verlagern. Eine neue Entwicklung oder ein neues Anlagesegment bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass man nun sofort alles in diese Richtung umschichtet. Es kommt auf die richtige Balance an. Im Board diskutieren wir oft darüber, wie viel wir tatsächlich in diesen neuen Bereichen binden wollen. Die Antwort lautet also: Ja, auch als Investmentgesellschaft unterliegen wir Veränderungen.

Focus: Investor AB ist für seinen aktiven Anlagestil bekannt. Hat sich dieser im Laufe der Zeit verändert?

Wallenberg: Nein. Unser grundlegendes Geschäftsmodell basiert traditionell auf zwei Säulen. Erstens: Wir investieren sehr langfristig. Einige unserer Beteiligungen bestehen bereits seit 150 Jahren. Zweitens: Wir sind sehr aktive Anleger. Wenn wir in ein Unternehmen investieren, stellen wir sicher, dass wir der führende Aktionär sind. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass unsere Stimme im Aufsichtsrat Gewicht hat. Seit den frühen Anfängen ist dieses Geschäftsmodell das Markenzeichen für das Geschäftsgebaren meiner Familie. Eigentlich ist es mehr als ein Modell, es ist unsere Auffassung von Eigentümerschaft.
Grundlegend geändert hat sich hingegen die Art und Weise, in der wir sicherstellen, dass unsere Meinung im Aufsichtsrat Gewicht hat. Zu Zeiten meines Großvaters war es noch so, dass alle verstummten, wenn er den Sitzungssaal betrat, auch wenn er nur eine einzige Aktie besaß. Seine Macht basierte auf seiner starken Persönlichkeit und seiner Stellung in der Gesellschaft. 25 Jahre später dann, als sein Sohn – mein Vater – den gleichen Sitzungsraum betrat, genügte es bereits nicht mehr, eine hochgeschätzte Persönlichkeit zu sein, um seinen Einfluss geltend zu machen. Dazu bedurfte es schon einer stattlichen Beteiligung von sagen wir zehn Prozent. Für die heutige Wallenberg-Generation zählt nicht mehr der Name, sondern nur noch die Höhe unserer Beteiligung.

Focus: Funktioniert Ihr Handlungsprinzip der „aktiven Eignerschaft“ auch, wenn Sie nur eine Minderheitsbeteiligung an einem Unternehmen besitzen?

Wallenberg: Nehmen wir mal an, ein bestimmtes Unternehmen, an dem wir zu 25 Prozent beteiligt sind, hat acht Board-Mitglieder. Wir würden dann ein oder zwei Board-Mitglieder entsenden, die unseren Anteil repräsentieren, und wären der größte Einzelaktionär. Trotzdem wären wir immer noch in der Minderheit. Da wir die Entscheidungen also nicht durch die Anzahl unserer Mandate bestimmen können, müssen wir sicherstellen, dass unsere Repräsentanten besser ausgebildet, besser und aktueller informiert sind als alle anderen am Tisch. Wie wir das schaffen? Wir haben bei Investor AB zehn oder zwölf Analysten, die die Abläufe in unseren Beteiligungsunternehmen und im jeweiligen Umfeld sehr genau verfolgen. In Aufsichtsratssitzungen sollten wir mindestens so gut, wenn nicht besser vorbereitet gehen als alle anderen Mitglieder. Unser Anspruch ist es, als sehr professionelle und kundige Aufsichtsräte wahrgenommen zu werden. Die anderen Board-Mitglieder respektieren das nicht nur, sondern hören auch auf unsere Meinung. Nur indem wir unserer Stimme Gehör verschaffen, können wir ein Unternehmen beeinflussen. Das ist ein Kontinuum.

Focus: Könnten Sie uns Ihre Zusammenarbeit als Aufsichtsrat mit den verantwortlichen Führungskräften im Unternehmen skizzieren?

Wallenberg: Phasenweise ist die Interaktion sehr intensiv. Grundsätzlich bin ich aber eher der Meinung, dass sich die Kontrolleure möglichst wenig in die Vorstandsarbeit einmischen sollten. Wenn ich zu einem bestimmten Thema eine dezidierte Meinung als Board-Mitglied habe, rufe ich den CEO an und stelle die Fragen, die mir wichtig erscheinen: Wie funktioniert das in der Praxis? Wie sehen Sie das? Wie wollen Sie weitervorgehen? Ich suche also das Gespräch. Das deutsche System ist etwas anders, weil der Vorstand so viel mehr Macht hat als der Aufsichtsrat. Das ist auch eine Kommunikationshürde.

Focus: Sind Sie der Meinung, dass Aufsichtsräte bei Übergangsprozessen eine besondere Rolle spielen sollten? Was können sie beitragen, um solche Prozesse erfolgreich zu bewältigen?

Wallenberg: Als Eigentümer haben wir nur ein Ziel: Im besten Interesse unserer Unternehmen zu agieren. Wir haben keine Geheimpläne in der Schublade. Das war auch der Grund, warum wir uns am Merger von ASEA und Brown, Boveri & Cie. zu ABB beteiligt haben. Das gleiche gilt für die Formierung von AstraZeneca, Stora Enso und SEB, selbst wenn wir in den neuen Unternehmen dann nicht immer der größte Einzelaktionär sind.
Eine Verantwortung von Investor AB gegenüber den Unternehmen in unserem Besitz liegt darin, Innovation und unternehmerisches Denken zu fördern, denn sie entscheiden hauptsächlich über die künftige Entwicklung des Unternehmens. Wir versuchen, die Geschäftsleitung dieser Unternehmen herauszufordern, indem wir kritische Fragen stellen und aktiv an den Übergangsprozessen mitwirken. Wir sehen das nicht nur als Teil unserer Aufsichtsratstätigkeit, sondern auch als Teil der internen Arbeit, die wir bei Investor leisten, wenn wir diese Branchen genau beobachten.

Focus: Neben der unternehmerischen Erfahrung und Expertise, die Sie in den Board einbringen – welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die langfristige Investmentphilosophie, die seit fünf Generationen für Ihre Familie charakteristisch ist. Ist diese Kultur der Stetigkeit ein Vorteil bei Veränderungsprozessen?

Wallenberg: Nichts währt ewig, aber ich glaube, dass das von unseren Vorfahren formulierte Geschäftsmodell doch sehr nachhaltig ist. Heute ist es höchst unüblich, langfristig zu investieren. Wir sind einer der wenigen Kapitalgeber, die bereit sind, in Branchen zu investieren, bei denen man einen langen Atem braucht, um Gewinne zu erwirtschaften. Die meisten Investoren haben nur den kurzfristigen Erfolg im Blick. Pensionsfonds sind heute die weltweit größten Anteilseigner. Das Problem liegt darin, dass die Professionals, die die Investitionen für die Pensionsfonds tätigen, in der Regel monatlich beurteilt werden und deshalb oft mit den Füßen abstimmen. Wir hingegen wollen uns langfristig etablieren. Wenn es Probleme gibt, beseitigen wir sie, statt bei der ersten Hürde gleich wieder auszusteigen. Unsere Anlagebilanz ist ziemlich gut, jedenfalls besser als die des Aktienmarktes, und deshalb sehen wir keinen Grund, an diesem Modell etwas zu ändern.

„Dynamische Kontinuität war von Anfang an Teil unserer Lebenseinstellung.“

Focus: Glauben Sie, dass Familienunternehmen im Vorteil sind, wenn es darum geht, die richtige Balance zwischen Kontinuität und Wandel zu finden?

Wallenberg: Entscheidend ist, dass wir ein klares Geschäftsmodell und eine Wertebasis haben, die gut bekannt, erstklassig kommuniziert und erprobt sind. Die Bereitschaft zur Veränderung ist in unseren Unternehmen unverzichtbar. Wer sich nicht verändert, wird in vielen Branchen nicht überleben. Die Welt verändert sich, und wir müssen uns ihrem Tempo anpassen. Ich nenne das dynamische Kontinuität. Diese dynamische Kontinuität war von Anfang an Teil unserer Lebenseinstellung. Hat das etwas damit zu tun, dass wir ein Familienunternehmen sind? Ich glaube eher, dass es mit den von unseren Vorfahren formulierten Werten zu tun hat, die wir erprobt haben und bis heute respektieren.

Focus: Haben sich bestimmte Kernwerte im Laufe der über 150-jährigen Familiengeschichte geändert?

Wallenberg: Im Grunde genommen nicht, aber natürlich gehen wir mit der Zeit. Beispielsweise agieren wir heute ja auch als Private-Equity-Investoren. Diese Entscheidung hat es mit sich gebracht, dass wir unsere Haltung überdacht haben, uns in kleinere Boards ebenso einbringen wie in eine engere Beziehung zwischen den Kontrollgremien und dem Vorstand und die Bewertungsfristen kürzer sind. Das gehört nun mal zu dieser Branche. Unser Trick ist, dass wir auf der Entwicklungskurve immer ziemlich weit vorne sind.

Focus: War es leicht für Sie, diese traditionellen Unternehmenswerte für sich persönlich zu übernehmen?

Wallenberg: Es war ein Lernprozess. Jede Generation hat ihre eigenen Ideen und die nächste Generation will immer genau das Gegenteil ihrer Väter. Ich habe aufmerksam zugehört und viel gelesen, aber letztlich muss doch jeder seine eigenen Erfahrungen machen. Es nützt nichts, gesagt zu bekommen, wie man etwas am besten erreicht. Man muss es selbst ausprobieren.

Focus: Einer der Werte, für die die Wallenbergs berühmt sind, ist ihre Arbeitsethik. Wurde Ihnen die Eigenschaft, hart zu arbeiten, mit den Genen mitgegeben?

Wallenberg: Mein Großvater und mein Vater haben sieben Tage in der Woche gearbeitet. Für sie gab es keine Trennung zwischen Privatleben und Berufsleben.

Focus: Hat sich das geändert?

Wallenberg: Ja, ich denke schon. Verglichen mit den meisten Menschen in meiner Umgebung arbeite ich hart, aber ich versuche auch, Arbeit und Privatleben zu trennen. Heute, wo E-Mails, Handys und die permanente Erreichbarkeit unseren Alltag bestimmen, muss man ganz bewusst Möglichkeiten suchen, die Welt für einen Moment anzuhalten, damit man zum Überlegen und Nachdenken kommt. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich nicht genug Zeit zum Reflektieren habe. Dabei ist – angesichts meiner Verantwortung – genau das eine meiner wichtigsten Aufgaben. In unserer schnelllebigen Zeit diese Balance zu finden, das ist eine echte Herausforderung. Weil mir das aber sehr wichtig ist, habe ich beispielsweise Aufsichtsratsmandate abgelehnt. Ich nehme mir stattdessen Zeit, um mit Menschen über die größeren Zusammenhänge zu reden, und ich reise ziemlich viel, denn das ist eine erstklassige Art, den eigenen Horizont zu erweitern. Ich bemühe mich zu lesen, was die Analysten über uns schreiben, denn viele von ihnen sind hervorragend informiert.

Focus: Oft scheitern Familienunternehmen in einer für sie spezifischen Übergangsphase, nämlich bei der Übertragung der Verantwortung von einer Generation auf die andere. Ihre Familie ist jetzt in der fünften Generation erfolgreich. Was machen die Wallenbergs anders und besser als andere Industriellenfamilien?

Wallenberg: Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht sagen, dass die Wallenberg-Stiftungen als Kapitaleigner der Hauptgrund dafür sind, warum das Familienunternehmen bis heute in den Händen meiner Familie überlebt hat. Auch wir müssen unseren Lebensunterhalt selbst verdienen. Die jungen Familienmitglieder, die ein Interesse für das Geschäft zeigten, bekamen alle die Gelegenheit, im Unternehmen mitzuarbeiten, vorausgesetzt ein älteres Familienmitglied war der Auffassung, dass sie das Zeug dazu hatten. Früher war der übliche Weg, dass sie in der Bank anfingen und schließlich ins kalte Wasser geworfen wurden und Leistung zeigen mussten. So ähnlich läuft das in jeder Generation ab.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass alle im Konzern arbeitenden Familienmitglieder im Ausland ausgebildet worden sind. Mein Großonkel war 1920 der erste Ausländer, der als Trainee bei der City Bank in den USA arbeitete. Später dann war mein Vater bei mehreren ausländischen Banken tätig. Ich selbst habe in den USA studiert und dort auch meine ersten Berufserfahrungen gesammelt, bevor ich zunächst nach Großbritannien und dann in den Fernen Osten ging. All diese Erfahrungen bringe ich heute in die Boards der internationalen Unternehmen ein, in die wir investiert haben. Neben der Erfahrung, die wir im Ausland gesammelt haben, konnten wir dort außerdem wertvolle Kontakte knüpfen. Die Bedeutung internationalen Networkings war uns immer sehr bewusst. Dadurch steht uns eine erstklassige „Bezugsgruppe“ zur Verfügung, an die wir uns auf unsere Fragen in der Gewissheit wenden können, intelligente Antworten zu bekommen.

Focus: Investor AB wendet das Networking-Konzept auch intern an, indem Sie ein starkes Netzwerk zwischen den Executives Ihrer Beteiligungsunternehmen etablieren.

Wallenberg: Ja, das ist etwas, das wir in vielfältiger Weise praktizieren. Wenn wichtige Gäste aus dem Ausland in Schweden zu Besuch sind, versuchen wir möglichst alle CEOs jener Unternehmen einzuladen, die zu unserem Portfolio gehören. Außerdem bemühen wir uns, möglichst jedes Jahr die Managementteams aus all den Ländern an einen Tisch zu bringen, in denen wir investiert haben. Auf der Tagesordnung stehen dann aktuelle Fragen, und zusätzlich laden wir einen prominenten Referenten ein wie Henry Kissinger oder Bill Clinton. Es sind immer hochkarätige Veranstaltungen und erstklassige Gelegenheiten zum gegenseitigen Austausch. Wir bemühen uns, diese gegenseitige geistige Befruchtung und das Networking zu fördern, damit die CEOs sich untereinander verbunden fühlen und keine Scheu haben, einander Fragen zu stellen. Ein funktionierendes Netzwerk und die Kenntnis der richtigen Persönlichkeiten sind der Schlüssel zu einem starken Unternehmen.

Focus: Haben solche Plattformen und Netzwerke auch Einfluss auf die Übergangsprozesse?
Wallenberg: Indirekt schon. Sie helfen, drängende Fragestellungen anzugehen. Vor drei Jahren beispielsweise haben wir uns mit Umweltfragen befasst. Alle meine Kollegen fanden das Thema langweilig und konnten nicht verstehen, warum ich plötzlich so darauf drängte, dass etwas geschehen müsse. Ich ließ mich aber nicht beirren und lud Experten ein, mit unseren Top-Managern darüber zu diskutieren – nicht um den Teilnehmern zu sagen, was falsch oder richtig ist, sondern um sie zu motivieren, sich in ihren Unternehmen damit zu beschäftigen. Wir waren überzeugt, dass Umweltschutz bald wichtig sein würde und wollten frühzeitig einen ernsthaften Denkprozess in Gang setzen. Inzwischen stehen ökologische Fragen ganz weit oben auf der Agenda und unsere Leute können kompetent mitreden.

„Wer nicht zu Veränderungen bereit ist, wird in der Regel nicht lange überleben.“

Focus: Wenn die Bereitschaft zur Veränderung ein entscheidender Erfolgsfaktor ist, wie stellen Sie sicher, dass diese tief in der DNA eines Unternehmens angelegt ist? Kommt es vor allem darauf an, die richtigen Mitarbeiter auszuwählen?

Wallenberg: Ich denke ja. Man kann Unternehmen nicht erfolgreich führen, wenn man nur seine Errungenschaften verteidigt. Wer stagniert, wird überholt oder übernommen. So gesehen würde ich sagen, dass die Bereitschaft, Veränderungen voranzubringen, Teil derDNA jeder erfolgreichen Führungspersönlichkeit ist. Wer allzu konservativ oder nicht zu Veränderungen bereit ist, wird in der Regel nicht lange überleben.

Focus: Welches sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen der Zukunft?

Wallenberg: Jedes unserer Unternehmen muss alles dafür tun, um sich in seinem gegebenen Umfeld so gut wie möglich zu entwickeln. Draußen in der Welt wird mit harten Bandagen gekämpft und von den Unternehmen wird viel erwartet: Sie müssen aggressiv sein, sie müssen clever sein, und sie müssen bereit sein, Risiken einzugehen, um ihre Position als World Leader zu verteidigen. Wenn es uns gelingt, diese Herausforderung zu meistern, erzeugen wir dadurch Werte für die Anteilseigner von Investor AB, und das ist ja letztlich meine Aufgabe. Und dann müssen wir natürlich sicherstellen, dass wir das nächste Geschäftsmodell nicht verpassen und Wege finden, den Übergang dorthin zu schaffen. Da unser Geschäftszweck darin besteht, Unternehmen aufzubauen, muss unsere Haltung die von Unternehmern sein und nicht die von Verwaltern. Letzteres wollte ich auch nie sein.

Mit Jacob Wallenberg sprachen Damien O’Brien (links), Egon Zehnder, Paris, Torgny Segerberg, Egon Zehnder, Kopenhagen und Dr. Ulrike Mertens, FOCUS, in Stockholm.

Jacob Wallenberg

Für Jacob Wallenberg, 52, stand nicht von Anfang an fest, dass er die Nachfolge seines berühmten Vaters Peter „Pirre“ Wallenberg antreten würde. Nach Schule und Militärdienst in der schwedischen Marine studierte Wallenberg bis 1981 an der US-Business-School Wharton Wirtschaftswissenschaften, schloss mit einem MBA ab und setzte das, was er als seine „amerikanische Erfahrung“ bezeichnet, mit einer zweijährigen Tätigkeit bei JP Morgan an der Wall Street fort. Es schlossen sich Tätigkeiten bei der Handelsbank Hambros in London und in Asien bei Skandinaviska Enskilda Banken (SEB), dem traditionell wichtigen Finanzzentrum im Geflecht der Wallenberg-Firmen an, bevor er wieder in heimische Gefilde zurückkehrte. Von 1990 bis 1992 war Wallenberg Executive Vice President von Investor AB, kehrte danach zu SEB zurück und übernahm 1997 den Vorstandsvorsitz der Bank. Ein Jahr später wechselte er an die Spitze des SEB-Aufsichtsrats. Seit 2005 übt er diese Funktion bei Investor AB aus. Außerdem ist er als Nachfolger von Warren Buffett Mitglied im Board von Coca-Cola. Er gilt als der einflussreichste Wirtschaftsführer Schwedens und Sprecher des Wallenberg-Clans. Jacob Wallenberg repräsentiert gemeinsam mit seinem Cousin Marcus Wallenberg, heute Aufsichtsratschef von SEB, die fünfte Familiengeneration in Führungsverantwortung.

INVESTOR AB Das Reich der Mitternachtssonne

Kein Schild an dem unauffälligen Haus in der Stockholmer Altstadt lässt erkennen, dass sich hier eine der wichtigsten Schaltzentralen der europäischen Wirtschaft befindet. Von hier aus kontrolliert die Familie Wallenberg ein 15-Milliarden-Imperium mit Beteiligungen an Blue-Chip-Unternehmen wie ABB, AstraZeneca, Electrolux, Ericsson oder SEB. Investor AB wurde vor mehr als 90 Jahren aus der SEB ausgegliedert, der heute zweitgrößten, Mitte des 19. Jahrhunderts von André Oscar Wallenberg gegründeten Bank. Viele der Beteiligungen bestehen bereits seit den zwanziger und dreißiger Jahren. Keine Familiendynastie in der industrialisierten Welt beherrscht ein Land so wie die Wallenbergs ihr Schweden. Ein Drittel des Stockholmer Aktienmarktes entfällt auf ihre Beteiligungen. Allerdings kontrolliert die Familie die Unternehmen nicht direkt, sondern über mehrere Stiftungen, in denen ein Großteil ihres Vermögens gebündelt ist. Zudem ist die Kapitalbeteiligung von Investor AB oft deutlich geringer als es die Stimmrechte sind. Möglich ist das durch die Aufteilung in starke A- und schwache B-Aktien gemäß dem schwedischen Aktienrecht. Neben umfänglichen Beteiligungen an Publikumsgesellschaften investiert Investor AB seit kurzer Zeit auch verstärkt in nichtbörsennotierte Unternehmen. Erklärtes Ziel ist es, in den nächsten drei bis vier Jahren den Private-Equity-Anteil an den gesamten Kapitalanlagen auf 25 Prozent aufzustocken.

FOTOS: MICHAEL DANNENMANN

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