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Interview mit Wanda Rapaczynski, Agora SA

„Einfach Anlauf nehmen und springen.“

  • Januar 2017

Innerhalb weniger Jahre hat Wanda Rapaczynski aus einem Zeitungs-Startup den führenden Medienkonzern Polens geformt. Die ehemalige Psychologieprofessorin und Bankerin gilt heute als eine der einflussreichsten Führungspersönlichkeiten Europas, ihr Unternehmen, Agora, als eines der bestgeführten der Branche.

ALS WANDA RAPACZYNSKI sich entschied, ihren sicheren Job bei der Citibank in New York aufzugeben, um ganz nach Polen zu gehen und beim Aufbau von Agora zu helfen, fragte ihre damals fünfzehnjährige Tochter sie entsetzt: „Mama, bist du verrückt? Wovon sollen wir denn leben?“ „Lass’ es uns einfach ausprobieren“, antwortete ihre Mutter. Diese Mischung aus Optimismus und Vertrauen in die Zukunft kennzeichne alle ihre Entscheidungen, sagt die Topmanagerin. Und sie ist weit damit gekommen.

Focus: Frau Rapaczynski, als CEO eines Medienkonzerns müssen Sie ständig vielfältige Entscheidungen treffen. Wenn Sie über Ihre persönliche Herangehensweise dabei nachdenken, gehen Sie eher analytisch oder intuitiv vor?

Wanda Rapaczynski: Zunächst einmal gibt es – und das ist für mich ein sehr wichtiger Unterschied – im Leben allgemein und im Business ganz besonders zwei Arten von Problemen: Da sind zunächst Probleme mathematischer Natur. Auf diese Probleme gibt es nur eine einzige richtige Antwort. Man analysiert das Problem, löst es und hat dann die richtige Antwort. Anders liegen die Dinge bei Problemen, bei denen es mehrere Optionen gibt; die Entscheidung, ob man in ein Projekt investiert, eine bestimmte strategische Richtung einschlägt oder wichtige Personalentscheidungen auf Organisationsebene. Hier entscheidet man sich ebenfalls für eine Lösung, die aber nicht im mathematischen Sinne korrekt ist. Im Geschäft wie auch im Leben sind Entscheidungen der zweiten Kategorie wesentlich häufiger. Einfach ausgedrückt: Eine Entscheidung ist dann richtig, wenn sie sich in der Praxis bewährt. Die meisten unserer Entscheidungen sind der zweiten Kategorie zuzuordnen. Analyse ist zwar wichtig, weist uns jedoch bestenfalls die richtige Richtung. Es kommt aber auch vor, dass die Analyse Sie der Lösung keinen Schritt näher bringt. Deshalb verstehe ich Entscheidungsprozesse so, dass ich die Situation analysiere und die Optionen begutachte, dann aber den Mut habe, eine Wahl zu treffen. Man darf sich dafür auch nicht zu viel Zeit lassen. Ich kenne viele Menschen, die Entscheidungen ewig hinauszögern in der Hoffnung, dass die Daten die Lösung auf wundersame Weise irgendwann von selbst offenbaren. So läuft das aber leider nicht. Und selbst wenn sich eine Lösung aufzutun scheint, ist sie meist unbefriedigend.

„Das Timing und ein Gespür für Dringlichkeit sind überaus wichtig.“

Focus: Woran merken Sie, dass Sie genug Informationen gesammelt und analysiert haben?

Rapaczynski: Man muss die Risiken erfasst haben und wissen, ob man sie in den Griff bekommen kann. Wenn das nicht sichergestellt ist, sollte man sich auch nicht für eine bestimmte Sache entscheiden. Zweck meiner Analysen ist primär, die Risiken in meiner eigenen Organisation ebenso wie die externen Risiken zu erfassen. Dann suche ich nach Wegen, um diese Risiken handhabbar zu machen, entweder mit eigenen oder mit externen Mitteln oder durch die Umschichtung von Ressourcen. Im Zweifelsfall treffe ich aber lieber frühzeitig eine nicht ganz ausgegorene Entscheidung, um der Konkurrenz zuvor-zukommen, als eine, die nach allen Seiten wasserdicht, aber sinnlos ist, weil sie zwei Jahre zu spät kommt. Das Timing und ein Gespür für Dringlichkeit sind überaus wichtig. Auch in meinem Unternehmen gibt es Mitarbeiter, die Entscheidungen sehr lange aufschieben, in der Hoffnung, dass sich mit der Zeit das Problem von selbst löst.

Focus: Wie überwindet man solche Hürden, persönlich und auch als Vorbild für andere? Mit anderen Worten, wie würden Sie die Quintessenz für Entscheidungskraft definieren?

Rapaczynski: Man muss vor allem Optimist sein. Man muss darauf vertrauen, dass alles gut wird. Als Pessimist entscheidet man sich immer gegen etwas. Wenn Sie als Leader Optimismus ausstrahlen, wirkt das auch auf Ihre Mitarbeiter ansteckend. Die Leute werden Sie unterstützen, weil sie Ihren optimistischen Gesichtsausdruck sehen, der ihnen sagt, dass es ein Kinderspiel ist, über einen 20 Meter breiten Graben zu springen. Sie müssen einfach Anlauf nehmen und springen. Die gesamte Organisation wird hinter Ihnen stehen, weil alle daran glauben, dass Ihr Vorhaben realisierbar ist. Und was man für machbar hält, stellt sich in der Mehrzahl der Fälle auch als machbar heraus.

„Was man für machbar hält, stellt sich in der Mehrzahl der Fälle auch als machbar heraus.“

Focus: Aber ist das nicht auch ziemlich riskant? Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat einmal gesagt, dass wir dazu neigen, die positiven Wirkungen unserer Investitionen zu überschätzen und die damit verbundenen Risiken zu unterschätzen.

Rapaczynski: So einfach liegen die Dinge in der Tat nicht. Es gibt da offenbar eine Art bimodale Verteilung. Die einen sehen immer nur die Nachteile, andere nur die Vorteile. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass man Risikooptimist sein muss, um ein Unternehmen zu führen, d.h. die Vorteile müssen stärker ins Auge springen als die Nachteile. Das schließt nicht aus, dass ich über Entscheidungen, die ich zu treffen habe, durchaus nächtelang nachgrübele. Im Grunde aber vertraue ich darauf, dass Dinge machbar sind.

Focus: Welchen Zeithorizont haben Sie, wenn Sie Entscheidungen treffen?

Rapaczynski: Ich kann problemlos mehrere Jahre in die Zukunft blicken. Schwierigkeiten habe ich eher mit den täglichen Details. In der Regel habe ich einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren – vielleicht ist das auch eine Frage der Erfahrung – im Blick und sehe den Weg dahin deutlich vor mir.

Focus: Sie erwähnten Erfahrung. Wie wichtig ist diese für Sie im Entscheidungsprozess?

Rapaczynski: Erfahrung schafft Handlungsmuster, um Risiken zu meistern und den Managementerfolg zu steigern. Das ist die positive Seite der Erfahrung. Erfahrung schafft auch Selbstvertrauen. Sie führt dazu, eher das Positive als das Negative zu sehen. Erfahrung bedeutet, zu wissen: Das habe ich schon einmal gemacht, das können wir schaffen. Die Erfahrung sagt mir auch, dass wir alle Fehler machen und dass es ein Leben nach dem Fehler gibt. Dieser Gedanke ist sehr hilfreich. Aber Erfahrung hat auch ihre negativen Seiten. Sie ist die Grundlage für so bremsende Erscheinungen wie das Not-invented-here-Syndrom oder die Aussage: „Das haben wir vor zehn Jahren schon mal versucht und sind damit auf die Nase gefallen.“ Derlei Einstellungen führen dazu, dass gerade jungen Leuten die Flügel gestutzt und sie daran gehindert werden, ihre Phantasie zu nutzen. Zu viel Erfahrung kann also auch schaden.

Focus: Wie verleihen Sie der Phantasie junger Mitarbeiter Flügel?

Rapaczynski: Indem wir ihnen Kompetenzen übertragen. Im Vorstand treffen wir nur die ganz großen Entscheidungen. Im operativen Geschäft sind aber Tag für Tag Millionen von Entscheidungen zu treffen. Deshalb gewähren wir unseren Mitarbeitern den Freiraum, in ihrem Bereich selbstständig zu entscheiden und diese Entscheidungen in die Praxis umzusetzen.

Focus: Welche Bedeutung hat der Austausch mit anderen, vielleicht sogar deutlich Andersdenkenden für Sie?

Rapaczynski: Ich bin geradezu süchtig danach, mich mit anderen zu beraten. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Denkstruktur. Meine persönliche Stärke ist strategisches Denken, die Detailplanung hingegen liegt mir weniger. Deshalb brauche ich Menschen, die diese Lücke füllen. Besonders fruchtbar finde ich den Austausch mit externen Experten, die die nötige emotionale Distanz zum Unternehmen haben. Sie glauben nicht an dieselben Trugbilder und denken außerhalb der eingefahrenen Bahnen. Viele von uns arbeiten schon lange hier. Wir sind ein eingespieltes, aber eben auch eingefahrenes Team. Das bedeutet, dass es unter uns zahlreiche unausgesprochene Annahmen und Sichtweisen gibt, die vielleicht falsch sind.

Focus: Trotz aller Teamprozesse – letztlich müssen Sie die finale Entscheidung treffen. Die einsame Entscheidung – bedeutet sie für Sie eher Lust oder Last?

Rapaczynski: Wie einsam es an der Spitze tatsächlich ist, bestimmen doch Sie als Lenker der Organisation selbst. Aber natürlich haben die demokratischen Prozesse Grenzen. Wenn die Meinungen stark divergieren, muss jemand ein Machtwort sprechen und sagen: Das wird jetzt so gemacht. Es gibt also schon einsame Momente. Als wir an die Börse gingen, geschah das letztlich auf meine Verantwortung hin mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Das waren schwierige Zeiten. Auch Personalentscheidungen sind oft schwierig. Da ich von Haus aus Psychologin bin, wird von mir oft erwartet, dass ich einen Röntgenblick habe und jeden Kandidaten durchschaue und verstehe. Aber je länger ich mit Personalentscheidungen befasst bin, desto weniger durchschaue ich den Rekrutierungsprozess. Wie soll ich nach vier Stunden Gespräch einen Menschen beurteilen, wenn ich 15 oder 20 Jahre brauche, um zu wissen, ob jemand ein echter Freund ist?

Focus: Kommen wir zur ethischen Dimension der Entscheidungsfindung. Sind Sie als Topmanagerin in der Medienbranche in einem Land, das sich in den letzten 20 bis 30 Jahren politisch radikal verändert hat und im Moment wieder in einer schwierigen Situation ist, jemals von den politischen Bedingungen in Polen herausgefordert worden?

Rapaczynski: Da fällt mir als Antwort ein alter jüdischer Witz ein: Fragt ein kleiner Junge seinen Vater: „Papa, hat die Schlange einen Schwanz?“ Daraufhin der Vater: „Sie besteht nur daraus!“ Haben uns die politischen Bedingungen jemals herausgefordert? Unsere Arbeit besteht nur daraus. Es gibt tägliche Repressionen und es gab spektakuläre Skandale, die parlamentarische Untersuchungen nach sich zogen. Ganz aktuell braut sich hier im Land ein mächtiges Gewitter zusammen. Die Regierung hat die Voraussetzungen geschaffen, um die öffentlichen Medien zu übernehmen. Die Rede ist von der „Demediatisierung“ der Politik. Wir haben also einen langen, schweren Kampf vor uns.

Focus: Wenn wir die Geschichte von Agora betrachten, so haben Sie aus einer Oppositionszeitung einen Medienriesen geformt. Was war aus Ihrer Sicht der schwierigste Aspekt dieses Prozesses?

Rapaczynski: Wir haben die Zeitung von Grund auf neu aufgebaut. Zu unserem Mitarbeiterteam gehörte eine Dissidentengruppe mit ganz besonderen Erfahrungen, denn Untergrundzeitungen werden nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt. Die größte Herausforderung war, den Mitarbeitern, deren Motive bis dato rein idealistischer Natur waren, zu vermitteln, wie die Zeitung nach unternehmerischen Grundsätzen geführt werden kann. Wir entwickelten die These, dass wir, um Gutes zu tun, auch wirtschaftlich gut sein müssten. Denn finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, ist die einzig mögliche Garantie für Unabhängigkeit.

Focus: Aber alles das musste doch sehr schnell geschehen und viele Dimensionen waren gleichzeitig zu berücksichtigen. Außerdem sind die Abläufe bei Entscheidungen in einem Kleinunternehmen doch sicher ganz anders als in einem großen Konzern …

Rapaczynski: Die Mission dieser Zeitung, die ja das Kerngeschäft bildet, hatte immer oberste Priorität. Auf der geschäftlichen Seite konzentrierten wir uns vor allem auf die für die Erfüllung unserer Mission erforderliche Profitabilität. Unsere Schwerpunkte waren finanzielle Disziplin und die Entwicklung von Werbemaßnahmen, denn bis 1989 war Medienwerbung hier noch gänzlich unbekannt. Wir mussten also bei null anfangen und investierten zudem große Summen in die Entwicklung von Vertriebstechniken. Bis heute sehen wir uns als lernendes System. Da das Zeitungsgeschäft aber meist auf die lokale oder höchstens nationale Ebene beschränkt ist, gab es auch keinen Konkurrenzkampf im eigentlichen Sinne. Diese Tatsache nutzten wir dazu, andere Medienunternehmen um Hilfe zu bitten. Außerdem haben wir uns relativ früh dazu entschlossen, einen kleinen Teil des Unternehmens an einen strategischen Investor zu veräußern. Der Hauptgrund dafür war, dass wir jemanden auf unserer Seite brauchten, der Alarm schlagen würde, falls wir im Gefängnis landeten. Wir wussten ja nicht, wie lange die neu gewonnenen Freiheiten Bestand haben würden. Ein weiterer Grund war, dass wir auf der Suche nach einem erfahrenen Experten im Mediensektor waren. Zu den wichtigsten Entscheidungen gehörte auch der Entschluss, an die Börse zu gehen. Das Unternehmen verfügt heute über eine breite Besitzstruktur. Fast alle unsere Mitarbeiter sind auch Anteilseigner.

Focus: Welche Kernwerte beeinflussen Ihre Entscheidungsfindung?

Rapaczynski: Meine höchste Autorität ist mein Gewissen. Ich möchte mich für meine Handlungsweise nicht schämen müssen. Deshalb sind bestimmte Dinge für mich tabu. Von persönlichen Aspekten einmal abgesehen, bin ich zudem davon überzeugt, dass mangelnde Integrität sich vielleicht kurzfristig auszahlt, nicht aber langfristig. Und zweitens, davon bin ich fast ein wenig besessen, dulde ich es nicht, dass irgendjemand in diesem Unternehmen schlecht behandelt wird. Der Respekt gegenüber den anderen – ganz egal, welche Funktion sie im Unternehmen haben – hat für mich absolute Priorität. Das heißt allerdings nicht, dass ich keine Leute entlasse. Wer seine Arbeit nicht macht, muss gehen. Aber selbst bei schwierigen Entscheidungen gelten die Maßstäbe von Würde und Respekt gegenüber Dritten.

„Eine Organisation kann jede Entscheidung, die sie nicht versteht oder nicht akzeptiert, sabotieren.“

Focus: Wie sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter Ihre Entscheidungen nicht nur hinnehmen, sondern sie mittragen?

Rapaczynski: Menschen kann man nur beeinflussen, wenn man mit ihnen im Dialog steht. Deshalb verbringe ich viel Zeit mit unseren Managern. Das ist manchmal ziemlich anstrengend. Aber Direktiven, die auf Furcht oder blindem Gehorsam basieren, funktionieren gar nicht. Eine Organisation kann jede Entscheidung, die sie nicht versteht oder nicht akzeptiert, sabotieren.

Focus: Der Erfolg einer Entscheidung hängt also nicht nur davon ab, wie sie getroffen, sondern vielmehr davon, wie sie umgesetzt wird?

Rapaczynski: Richtig. Ich kann jeden Tag eine Menge Entscheidungen treffen, die nichts bewirken, wenn die Organisation sie nicht umsetzt – mit der festen Überzeugung ihrer Richtigkeit und mit dem Gefühl bei den Mitarbeitern, dass sie, wenn etwas schief geht, selbst wissen, wo sie mit ihrer Korrektur ansetzen müssen.

Focus: Wie erkennen Sie bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter deren unternehmerische Qualitäten?

Rapaczynski: Ich suche diejenigen Kandidaten aus, die unbedingt vorwärts kommen wollen. Es gibt Menschen, die wollen die Welt in die Hand nehmen, wollen die Dinge verändern und neu ordnen. Ich halte es für unklug, Menschen dazu zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie das selbst nicht wollen.

Focus: Sind der Mut zu Entscheidungen, der Wille, etwas zu verändern, Dinge, die man lernen kann oder eher eine Frage der persönlichen „Innenausstattung“?

Rapaczynski: Ich denke, eher eine Frage der individuellen Persönlichkeit und des Temperaments. Manchmal sieht man einem Kandidaten nicht auf den ersten Blick an, ob er/sie das Talent zum Entscheider hat. Vor allem bei sehr jungen Menschen, die sich bisher eher in einem restriktiven Umfeld bewegt haben, ist das der Fall. Man muss sie aus der Reserve locken und sich entfalten lassen. Dann erst sieht man nach einer Weile, was in ihnen steckt.

Focus: Was war für Sie persönlich Ihre schwierigste Entscheidung?

Rapaczynski: Schwer zu sagen. Ich habe zweimal den Beruf und mehrfach den Wohnsitz gewechselt. Keine dieser Entscheidungen ist mir schwer gefallen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Wirtschaftsprofessor an der Universität, der „Unternehmensführung“ lehrte. Im Grunde ging es in diesem Kurs aber eher um die Technik der feindlichen Übernahme. Mein Professor war selbst an vielen dieser Leveraged Management Buyouts beteiligt gewesen. Als ich ihn fragte, wie er mit Risiken dieser Größenordnung zurechtkäme, gab er mir zur Antwort: „Ich gehe kein Risiko ein.“ Dieses Gefühl hatte auch ich bei allen meinen Entscheidungen. Es war nichts Riskantes dabei.

Focus: Das bedeutet in der Tat Selbstvertrauen.

Rapaczynski: Ich würde es lieber Verwegenheit nennen. Verwegenheit ist eine sehr gesunde und positive Eigenschaft im Geschäftsleben. Einen Schuss davon kann ich jeder Führungskraft nur empfehlen.

Das Interview mit Wanda Rapaczynski führten Marta Kowalska-Marrodan, Egon Zehnder, Warschau und Magnus Graf Lambsdorff (bei Egon Zehnder in Hamburg von 1995 bis 2016).

ZUR PERSON Wanda Rapaczynski

Wanda Rapaczynski, Jahrgang 1947, verließ ihr Heimatland Polen 1968, nachdem die damalige polnische Regierung mit einer antisemitischen Kampagne Stimmung gegen die wenigen polnischen Juden machte, die das Naziregime überlebt hatten. Rapaczynski promovierte 1977 an der City University of New York in Psychologie, arbeitete dann in der Forschung und als Projektdirektorin am Family Television Research and Consultation Center der Yale University.

1982 begann sie in Yale ein Managementstudium, das sie 1984 mit dem Master abschloss. Anschließend wechselte sie zur Citibank in New York und brachte es in den folgenden acht Jahren bis zur Vizepräsidentin, verantwortlich für neue Produkte. Nachdem Rapaczynski zwei Jahre lang die Crew der oppositionellen Zeitung „Gazeta Wyborcza“ in ihrer alten Heimat unentgeltlich per Telefon und während ihrer Urlaube beraten hatte, gab sie 1992 ihren Job bei der Citibank auf, zog nach Warschau und wurde Mitglied des Management Boards von Agora, der inzwischen gegründeten Muttergesellschaft der Gazeta. Seit 1998 ist sie deren Präsidentin. Die überaus erfolgreiche und vielfach geehrte Managerin gibt bis heute an, dass sie zwar gerne und hart arbeite, aber weitaus besser koche als ein Unternehmen führe. Rapaczynski ist geschieden und hat eine erwachsene Tochter.

Agora SA Warschau/Polen

Im Jahr 1989 entschloss sich Polens damaliger Machthaber General Jaruzelski unter dem Druck wachsender Opposition, teilweise freie Wahlen zuzulassen und der Opposition eine eigene Zeitung für ihre Wahlkampagne zu genehmigen. Dies war die Geburtsstunde von „Gazeta Wyborcza“. Schnell etablierte sich die Gazeta als wichtige politische Kraft in Polen, aber neben seiner inhaltlichen Stärke brauchte das Blatt nach dem Ende der Militärdiktatur ein stabiles wirtschaftliches Fundament. So bat die Chefredakteurin Helena Luczywo Anfang 1990 ihre Jugendfreundin Wanda Rapaczynski um Rat und Unterstützung. Unter Rapaczynskis strategischer Führung entwickelte sich Agora, die inzwischen gegründete Muttergesellschaft der Gazeta, schnell zum führenden Medienkonzern des Landes: Heute gehören neben dem Flagschiff Gazeta mehrere andere Tages- und Monatsblätter sowie 14 Radiosender, Aktivitäten im Internet, in der Großflächen-Außenwerbung und im Kabelfernsehen zu Agora. Das notwendige Geld für die mit diesem Wachstum verbundenen Investitionen akquirierte Rapaczynski 1993 durch die Beteiligung des US-Medienunternehmens Cox Enterprises Inc. aus Atlanta und mit einem Börsengang 1999.

FOTOS: RÜDIGER NEHMZOW

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