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Interview with Lord Christopher Patten

  • Januar 2017

„Oxford hat mich gelehrt, so viel wie möglich aus meinem Leben zu machen.“

Lord Christopher Patten über die Herausforderungen der Hochschulbildung in einer globalisierten Welt

Marktplatz oder Elfenbeinturm? Eine Universität wie Oxford konnte diese Frage lange ignorieren. Schließlich ist ihr Name aufs engste mit westlicher Bildung verbunden. Doch die globalisierte Welt gibt nicht viel auf solche Traditionen. Täglich stellt sie neue Herausforderungen – an die Universität selbst, an den Lehrplan und an die Fähigkeit, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Lord Patten kennt Oxford nicht allein aus der Perspektive eines Absolventen des Balliol College. Für das Amt des Kanzlers empfahl ihn vor allem die pragmatische und realistische Herangehensweise des international erfahrenen Politikers.

Focus: Lord Patten, was hat es für Sie bedeutet, in Oxford zu studieren?

Lord Christopher Patten: Ich war der Erste in meiner Familie, der überhaupt studierte. Damals besuchten nur sechs Prozent meines Jahrgangs eine Universität. In Oxford beeindruckte mich vor allem die Lernerfahrung, die ja der wichtigste Aspekt des Studiums ist. Ich glaube, wenn die Lernerfahrung positiv ist, gibt es nirgendwo auf der Welt etwas Besseres als Oxford. Aber insgesamt betrachtet hat Oxford mein Leben wohl eher zufällig als gezielt beeinflusst. Ursprünglich wollte ich zur BBC oder in die Werbung gehen, aber dann gab mir das Balliol College ein Stipendium für die USA. Dort arbeitete ich bei einer politischen Kampagne mit, und – kurz gesagt: Ich entschloss mich, in die Politik zu gehen.

Focus: Öffnet ein Oxbridge-Abschluss heute mehr Türen als damals?

Patten: Oxbridge hat schon immer Türen geöffnet. Aber manche dieser Türen sind heute so reich mit Gold verziert, dass sie mehr Absolventen in die Welt der Anwälte, Beratungsunternehmen, Banken und Finanzdienstleister locken als früher. Ich habe mir vor kurzem einmal angesehen, was die Oxford Blues nach dem Examen gemacht haben – die Ruderer, die über die Jahre das berühmte Bootsrennen gegen Cambridge bestritten. Das Ergebnis: Vor 100 Jahren wurden die meisten von ihnen Missionare. Ich wette, heute gehen die meisten zu Goldman Sachs oder zur Citigroup. Die Frage ist nun: Lernen sie dort mehr über die Welt als damals die Missionare? Das möchte ich bezweifeln. Sie arbeiten vielleicht einige Jahre in Hongkong und bewegen sich in einem sehr kosmopolitischen Umfeld, doch ich bezweifle, dass sie dort die Sprache lernen oder die Gesellschaft besser kennenlernen. Mir scheint, dass inzwischen die Chinesen mehr über uns lernen und erfahren als wir über sie.

Focus: Anders als vor 100 Jahren gibt es heute viele Studenten aus Übersee in Oxford. Bietet Oxford etwas, was die Ivy-League-Universitäten nicht haben?

Patten: Interessanterweise sind in Oxford dreimal so viele Chinesen wie Inder immatrikuliert. Eigentlich ist das unlogisch, denn im Gegensatz zu den Chinesen haben die Inder kein Sprachproblem. Teilweise rührt diese Entwicklung sicherlich daher, dass die Chinesen sich ganz bewusst dafür entscheiden, mehrgleisig zu fahren. Sie wollen nicht, dass ihre Elite geschlossen an die Ivy-League-Unis in die USA geht. Aber es hat sicherlich auch damit zu tun, dass die jungen Inder und Inderinnen Oxford eher altmodisch finden. Wir müssen uns daher bemühen, Inder ebenso wie Chinesen anzuziehen, und genau das ist eine meiner Prioritäten. In dieser Hinsicht sind wir an der Saïd Business School schon viel weiter.

Focus: Wie lassen sich die Studienziele einer Business School und eines MBA-Abschlusses mit den wesentlich breiter angelegten Bildungsidealen von Oxford vereinbaren?

Patten: Kombistudiengänge wie zum Beispiel Engineering and Management gehören inzwischen zu unseren beliebtesten Lehrangeboten. Wenn es uns gelänge, diese Studiengänge weiter auszubauen und etwa Physik in Kombination mit Betriebswirtschaft anzubieten, dann könnten wir jeden Kurs füllen. Leider sind diese Kurse in der Durchführung sehr teuer. Wir müssen sie aus Mitteln finanzieren, die wir mit unserem Executive MBA Programme verdienen. Wenn wir kein Grundstudium mehr anbieten würden, hätten wir etwa 25 Millionen Pfund mehr zur Verfügung. Das ist verrückt.

Focus: Inwieweit lassen sich die Ausbildungsinhalte einer Business School dahingehend beeinflussen, dass die Absolventen über ein breiteres Business-Wissen verfügen – etwa in Sachen Corporate Social Responsibility?

Patten: Ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt von unseren MBA-Studenten. Das Gros von ihnen hat klar erkannt, dass die meisten Themen im Bereich CSR nicht nur optionale Extras sind und auch nicht nur der Imagepflege dienen, sondern grundlegender Bestandteil erfolgreicher Geschäftstätigkeit sind. Genauso ist die Einsicht da, dass dem Markt inzwischen eine viel wichtigere Rolle zukommt, wenn es darum geht, Probleme anzupacken, deren Lösung wir lange ausschließlich als Aufgabe des Staates betrachtet hatten.

„Wir müssen uns davor hüten, dass Studenten keine fundierten Kenntnisse in einem speziellen Fach mehr erwerben.”

Focus: Ein relativ neues Element des Business-Studiums in Oxford ist die Initiative Oxford Entrepreneurs, die das unternehmerische Handeln von Studenten fördert. Ist das ein Produkt der Business School oder der Universität?

Patten: Die Initiative ging von der Saïd Business School aus, und sie hat sich, wie überhaupt die ganze Business School, als außergewöhnlich erfolgreich herausgestellt. Die Schule an sich verdankt ihren Erfolg vor allem einem sehr großzügigen Stifter, der den Verantwortlichen völlig freie Hand bei der Verwendung der Gelder gelassen hat – mit Ausnahme einer Verpflichtung zur Exzellenz. Die Schule wird ausgezeichnet geführt, so dass sie sich bereits in den zehn Jahren seit ihrer Gründung international einen hervorragenden Ruf erworben hat.

Focus: Wie wichtig ist es für eine Institution wie Oxford, über diese Art von Finanzmitteln zu verfügen und damit den Studierenden Anreize zu bieten, ein Postgraduiertenstudium aufzunehmen?

Patten: Sagen wir mal so: Wenn Sie in Oxford ein Prädikatsexamen machen, dann sind die finanziellen Anreize sehr hoch, bei einer Bank oder einem Beratungsunternehmen einzusteigen. Wer weiterstudiert, ist im Vergleich dazu finanziell deutlich schlechter gestellt. Die Anzahl britischer Doktoranden an englischen Universitäten im Fachbereich Wirtschaft ist äußerst gering. Alle, die in diesem Lande im Hochschulbereich tätig sind, müssen große Opfer bringen. Das ist eine Entwicklung, die mir große Sorgen bereitet.

Focus: Ist das nicht auch das Vermächtnis des problematischen Verhältnisses zwischen den Universitäten und der freien Wirtschaft?

Patten: Es ist eine der Konsequenzen der Unterfinanzierung des Tertiärbereichs. In Großbritannien entfallen nur 1,1 Prozent des Haushalts auf die Bildung. Mit dieser Zahl liegen wir übrigens im europäischen Schnitt. Die USA hingegen geben 2,6 Prozent aus. Der öffentliche Sektor in den USA gibt proportional zum BIP für die Hochschulbildung mehr aus als wir. Deshalb trifft die gelegentlich geäußerte Behauptung nicht zu, dass der Hauptunterschied in privaten Stiftungsgeldern liege, obwohl diese zugegebenermaßen eine wichtige Rolle spielen.

Focus: Welche Bildungsbereiche werden Ihrer Meinung nach an Bedeutung gewinnen?

Patten: Wir müssen eine Balance finden zwischen Bildung als konsequentem liberalem Weg, um Persönlichkeiten zu entwickeln und den Pluralismus in der Gesellschaft zu stärken, und Bildung als Mittel, um das Bruttosozialprodukt oder die wirtschaftliche Entwicklung zu steigern. Wir beobachten in Oxford ein wachsendes Interesse an kombinierten Studiengängen. Dies ist durchaus begrüßenswert. Wir sollten uns aber davor hüten, Studiengänge anzubieten, bei denen die Studenten zwar eine Vielzahl von Bereichen streifen, aber keine fundierten Kenntnisse in einem speziellen Fach mehr erwerben.

Focus: Inwiefern hat Sie Oxford auf die entscheidenden Stationen Ihrer Karriere vorbereitet?

Patten: Im Studium habe ich gelernt, in sehr kurzer Zeit Informationen aufzunehmen und zu memorieren. Darin war ich als Minister immer ziemlich gut. Als EU-Kommissar für auswärtige Angelegenheiten habe ich oft unmittelbar nacheinander vier oder fünf Länder bereist, und nach jedem Aufenthalt musste ich das, was ich beispielsweise gerade über Serbien gehört und gelernt hatte, wieder vergessen und mich auf Bosnien konzentrieren. Ich habe die Sachverhalte zwar vielleicht nur oberflächlich erfasst, aber die Fähigkeit, mit solchen Situationen gut zurechtzukommen, ist zumindest teilweise das Ergebnis einer guten Ausbildung. Ich glaube, Oxford hat mich gelehrt, mich für Ideen zu interessieren. Das Studium hat mir ein Selbstvertrauen gegeben, das ich vorher nicht hatte. Es hat in mir eine unbändige Neugierde geweckt und mir das Gefühl vermittelt, dass wir nur einmal leben – und darum so viel wie möglich aus unserem Leben machen müssen.

Mit Lord Christopher Patten sprach David Kidd (links). Besonderer Dank gilt Co-Interviewer Andrew Gilchrist, ehem. Egon Zehnder, London.

ZUR PERSON Lord Christopher Patten

Lord Patten of Barnes (62), Kanzler der Universität Oxford, ist vermutlich besser bekannt als letzter Gouverneur von Hongkong. In dieser Eigenschaft leitete er von 1992 bis 1997 die Übergabe der Kolonie an China – eine Aufgabe, für die er sich aufgrund seiner selbstbewussten und proaktiven Handlungsweise große Meriten erwarb. Bevor ihn diese einzigartige Mission in das öffentliche Rampenlicht rückte, hatte Lord Christopher Patten eine eindrucksvolle Karriere in der britischen Politik gemacht. Sein Weg führte ihn vom Conservative Party Research Institute über einen Sitz im britischen Unterhaus (1979) bis hin zu einem Kabinettsposten. 1986 wurde er Minister for Overseas Development am Foreign and Commonwealth Office. Drei Jahre später folgte die Ernennung zum Umweltminister. Nach seiner Rückkehr aus Fernost wurde er 1998 Chairman of the Independent Commission on Policing for Northern Ireland. 1999 wurde er EU-Kommissar für Auswärtige Beziehungen. Zusätzlich zu seinem Posten bei der EU wurde er 1999 zum Kanzler der Universität Newcastle und 2003 zum Kanzler der Universität Oxford gewählt. Damit kehrte der ehemalige Geschichtsstudent des Balliol College an den Ausgangspunkt seiner akademischen Ausbildung zurück.

FOTOS: MARTIN LANGHORST

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