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Brückenschlag in die Zukunft

Die Ansprüche junger Talente und die Veränderungen im Unternehmens­umfeld haben einiges gemeinsam.

  • Januar 2017

Die Auswirkungen von Konvergenz bekommen Unternehmen in doppeltem Sinn zu spüren: in der Beziehung zu ihrem Umfeld – ihren Kunden, ihren Zulieferern und Wettbewerbern – sowie innerhalb der eigenen Organisation. Die Effekte sind in beiden Fällen ähnlich: Das Umfeld und ebenso eine neue Generation von Mitarbeitern stellen Führungs­kräfte mit ihren Ansprüchen an Offenheit, Flexibilität und ständigen Austausch vor enorme Herausforderungen. Doch die Konvergenz zwischen Innen- und Außenwelt der Organisationen kann sich durch ein kluges Talent Management als Glücksfall erweisen.

ES GENÜGT EIN leichtes Nicken und 44 Kammermusiker setzen ein zur 8. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Kein Dirigent hat dazu den Taktstock erhoben. Eine der Violinistinnen hat stattdessen durch ihre Kopfbewegung den Beginn des Konzerts signalisiert. „Spira Mirabilis“, Wunderspirale, so nennt sich dieses Kammerorchester der besonderen Art. Seinen Namen hat es von einer logarithmischen Spirale abgeleitet, deren besondere geometrische Eigenschaft es ist, dass sie sich – vereinfacht gesagt – immer deckt, egal wie groß sie ist. Und diese Selbstähnlichkeit ist auch das Prinzip des Orchesters. Die jungen Musiker, allesamt fest engagiert in den besten europäischen Orchestern, kommen in wechselnden Konstellationen bei „Spira Mirabilis“ zusammen, um gemeinsam ein klassisches Stück zu erarbeiten und neu zu interpretieren, mit dem sie dann auftreten. Hier ist jeder zugleich Produzent und Konsument, weil niemand eine Idee vorgesetzt bekommt. Der Aufwand an Diskussionen und Zeit ist zwar etwas größer, aber das Ergebnis ist frischer, spannender und oft überraschender als vieles, was ein Einzelner in gewohnten Strukturen erarbeiten kann.

Was „Spira Mirabilis“ in der Musikwelt vorlebt, prägt auch in vielen Unternehmen zunehmend den Alltag. Junge Talente, vor allem jene Digital Natives, die mit Computern, Internet und der inzwischen fast allumfassenden Digitalisierung des täglichen Lebens aufgewachsen sind, suchen und fordern in ihrem beruflichen Umfeld interessante, abwechslungsreiche Aufgaben. Sie scheuen sich nicht vor anspruchsvollen – nicht nur technischen – Herausforderungen, wollen aber zugleich ihre Ideen, Meinungen und Gedanken mit anderen teilen und austauschen, so wie sie es von ihren digitalen sozialen Netzwerken gewohnt sind.

Grenzen verschwimmen

Parallel zu Berufseintritt und Karrierestart dieser Net Generation verändert sich freilich auch das Umfeld vieler Unternehmen und Branchen grundlegend. Das Stichwort heißt Konvergenz: Kulturen und Nationen nähern sich im Zuge der Globalisierung an, Grenzen verschwimmen oder verschwinden, bisher getrennte Branchen wie etwa Unterhaltungselektronik und Telekommunikation verschmelzen miteinander. Industrielle Schwerpunkte verschieben sich entlang der Wertschöpfungskette.

Und noch eine entscheidende Änderung haben die Unternehmen in ihrem Umfeld zu gewärtigen: Ihre Kunden wollen keine Produkte mehr, sondern Lösungen. Bis vor kurzem waren viele Firmen aus Sicht ihrer Kunden eine Black Box. Einzig sichtbar waren deren marktreife Produkte und Dienstleistungen. Innere Abläufe, Ideen und Entwicklungen, die dazu geführt hatten, waren nicht erkenn- und nachvollziehbar. Heute akzeptieren es immer kritischere Konsumenten aber nicht mehr, bloße Empfänger von Waren zu sein. Sie wollen als Akteure am Markt ernst genommen werden. Mit dem Internet steht ihnen dabei ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung, um Lob oder Tadel einer globalen Öffentlichkeit mitzuteilen. Crowdsourcing heißt eine der Antworten der Organisationen auf diese mündige Klientel. Hersteller bitten ihre Zielgruppe, Ideen für die Produktgestaltung einzubringen. Der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble oder der Flugzeugproduzent Boeing nutzen beispielsweise die Ideenbörse InnoCentive, um ihre Entwicklungsabteilungen dergestalt zu unterstützen. Viele Softwareanbieter stellen inzwischen gezielt halbfertige Beta-Versionen ihrer Programme vor, damit ihre Nutzer diese testen und Verbesserungsvorschläge machen oder Fehler entdecken.

All dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Organisationen selbst – auf ihre Kultur, auf ihre Arbeitsabläufe und ihre Herangehensweise an Projekte. Zwar kommt ein Unternehmen nicht ohne CEO aus, aber dessen Profil und Aufgaben wandeln sich, wenn Hierarchien verwischen. Der CEO wird weniger Kontrolle über die gesamte Organisation haben, wenn sich je nach Art der Aufgabe Powercenter auf verschiedenen Ebenen bilden und virtuelle Teams aus unterschiedlichen Funktionen und Abteilungen an Problemlösungen arbeiten. Er muss die innere Kraft und das Zutrauen haben, um diesen intelligenten, kreativen und auch unkonventionellen Mitarbeitern mehr Bewegungsfreiheit zu geben. Zugleich muss er allerdings eindeutige Prozesse initiieren, die festlegen, nach welchen Kriterien aus einer Vielzahl von Optionen und Ansätzen die besten und erfolgversprechendsten ausgewählt werden oder wann ein Projekt beendet wird. Vor allem aber werden Top- Manager künftig eher durch Überzeugung führen, nicht über Arbeitsanweisungen. Die Frage nach Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Nutzen ist für viele junge Talente bei der Wahl ihres Arbeitgebers relevant. Um solche klugen Köpfe zu gewinnen und zu halten, müssen Führungskräfte ein glaubwürdiges Vorbild verkörpern.

Aus für traditionelle Silos

Konvergenz erfordert eine sehr viel engere Zusammenarbeit zwischen allen, die an der Entstehung neuer Produkte und Dienstleistungen beteiligt sind, von der ersten Idee bis zur Vermarktung. Alle an einem Projekt oder Produkt beteiligten Mitarbeiter müssen frühzeitig ihre Fähigkeiten und ihr Wissen bündeln und dort, wo es erforderlich ist, auch schon mal die Rollen tauschen. Zudem müssen Organisationen, die global tätig sind, Wege finden, um die Expertise aller Mitarbeiter in allen Ländern, in denen sie tätig sind, einzubeziehen und so zu optimalen Ergebnissen zu kommen – agile Produktentwicklung ist hier das Stichwort.

Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie gerade auf Bereichsebene Führungskräfte mit einem sehr breit gefächerten Kompetenzprofil einsetzen. In einer nur locker strukturierten Organisation müssen diese Manager sowohl über ausgeprägte Fähigkeiten zur Teambildung und -führung verfügen als auch souverän mit schnell wechselnden Technologieentwicklungen und Kundenbedürfnissen umgehen können.

Besonders gefragt werden auch „Brückenbauer“ sein, die Mitarbeiter in verschiedenen Funktionen zusammenbringen und zwischen diesen vermitteln, wenn es Verständnisprobleme gibt oder die Sichtweise eines Problems eine jeweils andere ist. Außerdem werden gerade auf höherer Ebene Führungskräfte benötigt, die Komplexität bewältigen können und so über verschiedene Aufgaben und Bereiche, auch nationale Grenzen hinweg im Sinne einer Matrixorganisation zielorientiert Ressourcen und Wissen zusammenbringen. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter bisher in funktionalen Silos untergebracht hatten, wird diese Anpassung nicht leichtfallen. Aber eine Silostruktur mit ihren schwerfälligen hierarchischen Abläufen wird nicht mehr Schritt halten mit oder auch nur angemessen reagieren können auf die schnellen und oft auch abrupten Veränderungen im Unternehmensumfeld. Dies wird nur mit einer flachen Organisation gelingen, in der sich multidisziplinäre Teams jeweils um Schlüsselkundensegmente kümmern. Laterales Denken und Handeln ist gefragt. Zugleich werden Unternehmen gezwungen sein, ihre Fehlertoleranz zu steigern. Denn wer unter Zeitdruck arbeitet, macht zweifelsohne eher Fehler. Gerade IT-Unternehmen haben, wie bereits erwähnt, aus dieser vermeintlichen Schwäche eine Tugend gemacht und beziehen frühzeitig ihre Kunden in Neuentwicklungen mit ein.

Konvergenz erfordert Offenheit für neue Ideen und eine Unternehmenskultur ohne Barrieren. Wer als CEO die besten Mitarbeiter ins Unternehmen holen und halten will, wird ihnen also vielversprechende und zukunftsorientierte Arbeitsbereiche bieten müssen, in denen Kreativität, Flexibilität und Zusammenarbeit bewusst gewollt und gefördert werden. Zudem muss Risikobereitschaft auf Seiten der Mitarbeiter ihre Entsprechung in einer richtig verstandenen Fehlertoleranz der Organisation finden. Hier ein entsprechendes Talent Management zu initiieren, das die genannten Faktoren fördert und belohnt, ist eine der wichtigsten Aufgaben des CEO. Gelingt sie, könnte sich die Konvergenz zwischen Innen- und Außenwelt des Unternehmens als echter Glücksfall erweisen.

DIE ZUKUNFT FINDET HEUTE STATT – WIE DIE DIGITALE REVOLUTION ALLES VERÄNDERT Von Jeff Jarvis

Jeff Jarvis ist US-amerikanischer Journalist und Autor des Buches
„What Would Google Do?“.

Wir täuschen uns, wenn wir glauben, dass wir lediglich eine Finanzkrise erlebt haben. Viel eher erfahren Wirtschaft und Gesellschaft eine Transformation – womöglich in einem Ausmaß wie bei der Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts oder der Gutenberg’schen Revolution nach der Einführung des Buchdruckes.

Diese Transformation wird die Art und Weise beeinflussen, wie Märkte funktionieren. Sie wird alte Indus­trien durch neue Ökosysteme ersetzen und dafür sorgen, dass kreative Zerstörer altehrwürdigen Konzernen das Leben schwermachen. Als Folge erfordert sie neue Fähigkeiten, die Manager, Unternehmer und Investoren benötigen, um zu überleben.

Innovation führt heute eher zu Effizienzen als zu Wachstum. Wir waren es gewohnt, Erfolg in Form von Umsatz zu messen. Heute definieren wir Erfolg als Fähigkeit, Effizienzen aus gemeinsam genutzten Plattformen, aus Zusammenarbeit und Zielgerichtetheit zu ziehen und somit den Gewinn zu steigern. Kreative Zerstörer mit einschneidenden Ideen arbeiten extrem kostengünstig und mit geringem Risiko – sie haben äußerst niedrige Markteintrittsbarrieren. Sind die Platzhirsche darauf vorbereitet und können sich gesundschrumpfen?

Unsere Wirtschaft basiert auf einem Überfluss, nicht auf einem Mangel. Google weiß diese Tatsache für sich zu nutzen, denn es hat einen offenen Marktplatz geschaffen, auf dem Anzeigenpreise nach Performance, nach Leistung, berechnet werden. Die Risiken werden mit den Vermarktern geteilt. Auf diese Weise hat Google ein Geschäft von außergewöhnlichem Ausmaß geschaffen – nur weil es Plattformen kreiert hat, die andere befähigen zu wachsen.

In Zukunft geht es nicht um Kontrolle, sondern um Kooperationen und Nachhaltigkeit. Heute übernehmen Kunden es, die Geschäftsideen von Unternehmen kundzutun, und sie verwenden dafür Open-Source-Plattformen, auf die auch Wettbewerber Inhalte einstellen. Unternehmen streben Effizienz durch Spezialisierung und ergänzende Angebote an – nach dem Motto: „Tu, was Du am besten kannst, und tausche Dich dabei mit anderen aus.“

Das Internet befördert uns auf die öffentliche Bühne und lässt unser Geschäft publik werden. In der Vergangenheit haben Firmen sich gerne in Geheimniskrämerei geübt. Heute ist das Ausmaß ihrer Öffentlichkeit ein Gradmesser dafür, wie sie neue Geschäftsbeziehungen anbahnen. Denn Kunden sprechen öffent­lich über uns. Wir tun gut daran, ehrlich mit ihnen umzugehen, auf Probleme schnell zu reagieren, ihre Ideen anzuhören und ihnen mit Respekt zu begegnen.

In der Internet-Welt müssen wir auch die Frage stellen, ob eine Gesellschaft bereit ist für dieses „Ausgeliefertsein“? Deutschlands Reaktion auf Googles Online-Straßenatlas Street View ist ein­malig in der Welt und – mit Verlaub – eigenartig. Man wundert sich, warum Amerikaner in neuen Technologien Chancen sehen, während Deutsche eher die Gefahren erkennen.

Google hat gezeigt, dass es Sinn macht, mit der Beta-Version eines Produktes auf den Markt zu gehen, unfertig und keineswegs perfekt, weil man von Nutzern lernen kann, es zu verbessern. Wenn wir nicht die Gefahr des Scheiterns in Kauf nehmen, wie sollen wir dann Innovationen hervorbringen?

In transparenten Märkten wird es schwierig sein, durch Preisstaffelungen Geld zu verdienen. Das Geld, das bislang in das Marketing geflossen ist, sollte künftig eingesetzt werden, um die Qualität und den Service zu verbessern, die Preise zu senken und direkte Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Solche Beziehungen müssen auf jeder Ebene und an jedem Berührungspunkt mit der Öffentlichkeit gepflegt werden. Sind Führungskräfte und Mitarbeiter auf diese Aufgabe vorbereitet und befugt, eigenverantwortlich zu agieren?

Zugleich kommen weitere Veränderungen auf uns zu. Wenn wir uns ständig und allgegenwärtig untereinander austauschen können – wie wird sich dann unsere Einstellung zu den Medien, zur Privatsphäre und der Öffentlichkeit verändern? Nicht nur Firmen und Märkte werden sich wandeln, auch der Gesellschaft steht eine Veränderung bevor.

Die grundlegende Frage lautet aber, ob wir auf diesen tiefgehenden Wandel vorbereitet sind, ob wir ihn willkommen heißen oder ihn fürchten – und ob wir ihn zu nutzen wissen, statt ihn zu vermeiden.

DIE AUTOREN

Dom Loehnis ist seit 2008 Berater bei Egon Zehnder. Ein Schwer­punkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung von Unternehmen aus dem Konsumgüterbereich sowie aus den Sektoren Werbung, Entertainment und Medien.

Magnus Graf Lambsdorff war von 1995 bis Februar 2016 Berater bei Egon Zehnder. Er leitete mehrere Jahre lang die globale Leadership Strategy Services Practice der Firma und hat vor allem Unternehmen aus dem Hightech- und Telekommunikationssektor sowie den Bereichen Digital Economy und Private Equity beraten.

FOTO: JOHN SMOCK

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