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Das Streben nach Glück

Nobelpreis­träger Daniel Kahneman über Geld, Stress und soziale Beziehungen als Stimmungs­aufheller

  • Januar 2017

Ist Zufriedenheit mit dem eigenen Leben auch im beruflichen Umfeld die entscheidende Triebfeder, die Mitarbeiter und Führungs­kräfte am Ende resümieren lässt, dass sich ihr Einsatz für die Firma gelohnt hat? Und wenn ja, mit welchen Mitteln lässt sich dieser Zustand herstellen? Diesen Fragen ging Professor Daniel Kahneman im Gespräch mit FOCUS nach.

EIGENTLICH fühlt sich Daniel Kahneman für das Thema gar nicht recht zuständig. Darüber, was Menschen antreibe und Organisationen voranbringe, hätten sich doch berufenere Köpfe als er schon viele kluge Gedanken gemacht, findet der Wirtschaftsnobelpreisträger. Warum er das Gespräch mit FOCUSüberhaupt zugesagt hat – er weiß es nicht mehr. „Doch irgendetwas muss mich daran wohl gereizt haben“, seufzt der Wissenschaftler. „Meine Forschungssujets sind ja vielmehr Entscheidungsfindung und Wohlbefinden.“

Aber ist Wohlbefinden nicht nur ein anderes Wort für Glück und damit genau das, wonach wir alle ständig suchen, was wir uns als Dauerzustand wünschen? Ein Ziel also, das mächtige innere Triebkräfte in jedem Menschen freisetzt? Immerhin war dieses Streben den Vätern der amerikanischen Verfassung so wichtig, dass sie die „pursuit of happiness“ zum Grundrecht jedes US-Bürgers deklarierten. Und einige Wissenschaftler schlagen vor, dass sich Wirtschaftspolitik – sind erst einmal die Grundbedürfnisse aller Menschen gedeckt – nicht mehr auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts fokussieren, sondern vielmehr das „Bruttonationalglück“ steigern sollte.

Und da ist Kahneman eben doch der richtige Experte. Als einer der Begründer der verhaltensorientierten Ökonomie hat er in den vergangenen Jahren untersucht, wie angenehme oder unangenehme Empfindungen und Erinnerungen auf die aktuelle Stimmung und die dauerhafte Zufriedenheit von Menschen wirken – auch und gerade in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Damit gilt der Wissen­schaftler als einer der Wegbereiter der sogenannten Glücksforschung.

Was aber genau macht Glück aus? Eine Frage, auf die es keine simplen Antworten gibt, findet Professor Kahneman: „Glück per se ist nicht einfach zu definieren. Eigentlich mag ich den Begriff auch gar nicht. Das Konzept besteht ja aus sehr vielen verschiedenen Elementen.“ Zunächst einmal sei es wichtig, zu unterscheiden zwischen erfahrenem Glück als aktuellem Lebensgefühl und Zufriedenheit als Ergebnis des Reflektierens auf das eigene Leben. Beides habe nicht unbedingt viel miteinander zu tun. Leute mit momentan extrem guter Laune könnten sehr unzufrieden mit ihrem Leben insgesamt sein. Andere, die unter starkem Druck stünden oder sogar depressiv wirkten, zögen beim Nachdenken über ihre Lebenszufriedenheit dagegen oft ein positives Resümée.

Das trifft gerade auf Menschen in Organisationen und hier besonders auf Führungskräfte zu. „Fast jeder Mensch erklärt, dass er Stress nicht mag. Er wird als unangenehm empfunden“, so Kahneman. Andererseits zeigt die Forschung, dass es eine positive Korrelation zwischen Stress und Erfolg gibt. Leute, die über eine starke berufliche Anspannung berichten, sind erfolgreicher; Staaten, in denen der Stresslevel insgesamt höher ist, sind wohlhabender. Und in jedem Land der Welt berichten die besser ausgebildeten und reicheren Bevölkerungsschichten oft über mehr Anspannung als die ärmeren.

Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenszufriedenheit ist ein viel-, wenn nicht das meistdiskutierte Thema im Rahmen des ökonomischen Glücksempfindens. Seit Jahren wird der Diskurs hier durch das sogenannte Easterlin-Paradox geprägt. Es wurde 1974 von dem Ökonomen Richard Easterlin beschrieben und besagt, vereinfacht formuliert: Wenn grundlegende Bedürfnisse gestillt sind, führt mehr Reichtum nicht zu mehr Glück. Easterlin hatte nämlich festgestellt, dass der Zuwachs an Zufriedenheit nicht mit dem wachsenden Wohlstand in verschiedenen Ländern Schritt hielt.

Inzwischen aber mehren sich die Stimmen jener, die das Easterlin-Paradoxon für teilweise falsch halten. Kahneman gehört zu diesen Zweiflern – denn es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Indizien, dass wachsender Lebensstandard doch die Zufriedenheit steigert. Aber in einzelnen wichtigen Punkten stimmt Kahneman dem Ökonomen zu: „Gehälter und Boni“, glaubt Kahneman, „haben eine Stellvertreterfunktion. Sie stehen beispielsweise für den Status, den ein Executive erreicht hat.“ Deshalb sei zwar nicht entscheidend, wie viel eine Führungskraft in absoluten Zahlen verdiene, wohl aber in Relation zu anderen oder im Vergleich zur Norm für eine bestimmte Tätigkeit. Gerade die Veränderung des relativen Einkommens wird als sehr positiv erfahren. Die Langzeit­effekte der Veränderung sind allerdings nur gering. „Ich bin deshalb sehr skeptisch, ob es motivierender ist, jemandem zehn Millionen zu zahlen als eine halbe.“

Doch ohne Wirkung sind monetäre Anreize nicht. Das zeige sich ja aktuell, so der Forscher, in der katastrophalen Wirkung von Bonuszahlungen, die gerade im Finanzsektor, aber auch in anderen Wirtschaftszweigen an kurzfristigen Gewinnzielen statt an langfristigen Erfolgen ausgerichtet waren. Denn es scheint zu stimmen, was der Volksmund schon lange weiß: Geld verdirbt den Charakter. Das zumindest belegen neuere Forschungen.

Kahneman berichtet von einem spannenden Experiment: Bei einem Teil der Probanden lief während des Tests ein Computer mit in Wasser schwimmenden Dollarnoten als Bildschirmschoner. Plötzlich erschien eine Person im Raum, die scheinbar unabsichtlich eine Handvoll Bleistifte fallen ließ. Die Gruppe, deren Hirn unbewusst vom Geld infiltriert worden war, erwies sich signifikant als weniger hilfsbereit beim Aufsammeln der Stifte.

Insgesamt handeln Menschen, deren Gedanken von Geld okkupiert sind, eigennütziger. „Das sollten Unternehmen auch bei Bonuszahlungen bedenken“, postuliert Kahneman. Wenn Einzelleistungen und der Wettbewerb untereinander gefördert werden sollen, machen individuelle Gratifikationen Sinn, etwa beim Verkauf von Versicherungspolicen oder Autos. Auf Teamleistungen und Kooperation aber haben sie eine negative Wirkung.

Wie wichtig einem Menschen seine Verdienstmöglichkeiten sind und welche Bedeutung er mithin monetären Aspekten in seinem Leben einräumt, entscheidet sich schon sehr früh. Es beeinflusst seine Berufswahl ebenso wie die Art von Unternehmen, für die er sich später entscheidet. So berichtet Kahneman von Erhebungen bei angehenden US-College-Studenten, die auf einer Skala von eins bis vier angeben sollten, wie wichtig ihnen Geld sei. 20 Jahre später zeigte sich, dass quer durch alle Berufe jeder Punkt auf der Skala rund 20000 Dollar wert war. Wer schon in jugendlichem Alter stärker an Geld interessiert war, verdiente später auch deutlich mehr. Und alle Besserverdiener waren zufriedener mit ihrem Leben, wobei die Einkommensunterschiede in der Gruppe derer, denen Geld von Anfang an weniger wichtig war, allerdings geringer ausfielen.

Das glücklichste Volk der Welt

Doch auch wenn mehr Geld nicht unglücklicher macht, so macht es auch nicht automatisch glücklicher. Dafür sind weitere, vor allem soziale Faktoren mindestens ebenso wichtig. Um ihre Bedeutung zu erfassen, hat Kahneman die sogenannte Lebensleiter entwickelt: „Ihre zehn Sprossen stehen für unterschiedliche Stufen von vorstellbarem Lebensglück, wobei zehn das bestmögliche Leben symbolisiert, das ein Befragter sich subjektiv wünscht.“ So lassen sich sehr wohl enge statistische Beziehungen zwischen wachsendem nationalem Wohlstand und der durchschnittlichen Zunahme der Lebenszufriedenheit stellen. Demnach sind die Dänen das glücklichste Volk der Welt. Sie erreichen im Durchschnitt Stufe acht auf der Kahneman’schen Lebensleiter. Allerdings sind die Skandinavier zwar wohlsituiert, durchaus aber nicht die Reichsten. Um diesen Zusammenhang zu erklären, verweist der Wissenschaftler auf den starken Einfluss sozialer Beziehungen auf das persönliche Glücksempfinden. Eine der wichtigsten Dimensionen ist dabei das gegenseitige Vertrauen in einer Gesellschaft. Dieses lässt sich wiederum aus ökonomischer Sicht recht gut mit Hilfe des Ausmaßes der Korruption in einem Land messen. Wo Korruption gang und gäbe ist, trauen die Menschen einander nicht sehr und Fremden noch viel weniger. Das trübt auch ihre Stimmung. Die Dänen dagegen, in deren Staat Bestechung kaum vorkommt, begegnen Landsleuten und Fremden meist voller Vertrauen und damit frohen Mutes.

Die Bedeutung von Vertrauen, von funktionierenden sozialen Netzwerken und von Gefühlen wie Sicherheit, Zugehörigkeit und Aufgehobensein als lohnende und glücklichmachende Erfahrung sei auch in Organisationen und Unternehmen nicht zu unterschätzen, findet Kahneman. Doch es brauche, wie die schon erwähnten Untersuchungen an College-Studenten zeigten, rund 20 Jahre, bis sich herausstellt, ob eine Organisation mehr jene Menschen anzieht, die vor allem an hohen Gehältern interessiert seien, oder eher die weniger materiell Orientierten. Wenn es denn einen Wertewandel geben sollte und – frei nach Goethe – künftig nicht mehr alles so am Gelde hängt, zum Gelde drängt, „dann werden wir“, fürchtet Professor Kahneman, „dessen gesellschaftliche Wirkung leider erst in zwei Jahrzehnten spüren“.

Das Interview mit Daniel Kahneman in New York führten Ulrike Mertens, FOCUS, und Ashley Stephenson, Egon Zehnder International, New York und Sydney.

Daniel Kahneman

Daniel Kahneman wurde 1934 in Tel Aviv geboren, wuchs in Paris auf und lebte bis 1946 in Frankreich, wohin seine Eltern, litauische Juden, in den zwanziger Jahren ausgewandert waren. Er studierte Mathematik und Psychologie in Jerusalem und an der University of California in Berkeley. Seit 1993 lehrte er in Princeton, wo er auch heute noch – nach seiner Emeritierung – als Senior Scholar an der Woodrow Wilson School of Public and Inter­national Affairs forscht. Eines seiner größten wissenschaftlichen Verdienste ist es, das Menschenbild der Wirtschaftswissen¬schaften widerlegt zu haben: den stets rational entscheidenden Homo oeconomicus. Im Jahre 2002 wurde Kahneman für seine wissen­schaftliche Arbeit neben zahlreichen anderen Preisen und Ehrungen gemeinsam mit Vernon Smith mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet – „Für das Einführen von Einsichten der psychologischen Forschung in die Wirtschaftswissenschaft, besonders bezüglich Beurteilungen und Entscheidungen bei Unsicherheit“, wie es in der Begründung des Nobelpreis-Komitees heißt.

FOTOS: JÜRGEN FRANK

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