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Ein Generationswechsel gehört zu den größten Herausforderungen in der Entwicklung eines Familienunternehmens. Doch die Risiken, die er in sich birgt, lassen sich abwenden. Das Beispiel DORMA zeigt, wie der Wechsel zum Ausgangspunkt einer neuen Wachstumsstrategie werden kann. Die Voraussetzung dafür: eine weitere Professionalisierung des Geschäfts im Einklang mit den Werten und Interessen der Eigentümerfamilie.
EINER DER WICHTIGSTEN Vorzüge von Familienunternehmen ist zweifellos ihre generationenübergreifende Perspektive. Dank dieser vermögen sie jahrzehnte-, ja sogar jahrhundertelang erfolgreich zu bestehen. Damit einem Familienunternehmen solch ein langes Leben beschieden ist, hat es allerdings nicht wenige Klippen zu umschiffen. Besondere Gefahren erwachsen ihm während eines Generationswechsels. Denn gerade wenn es um die Übergabe des Unternehmens an die nächste Generation geht, offenbaren sich oft die Untiefen der Verquickung von Familie und Unternehmen. Ungeklärte Rollen, widersprüchliche Erwartungen, Gerangel um Macht und Einfluss, Emotionen, die auch die geschäftlichen Beziehungen färben – all dies kann eine brisante Dynamik entfalten.
Damit es dazu nicht kommt, ist zweierlei vonnöten: Zum einen gilt es, die Interessen und Werte der Familie fortlaufend mit denen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Zum anderen aber sollte eine klare Grenze zwischen der familiären und der Unternehmensebene gezogen werden. Voraussetzung dafür ist eine umfassende Professionalisierung des Geschäfts, wie sie beispielsweise DORMA gelungen ist. Das Unternehmen bediente sich dabei der Expertise des weltweiten Teams von Egon Zehnder.
Die junge Generation rückt nach
Im Jahr 2008, dem Jahr des 100-jährigen Firmenjubiläums, plante Karl-Rudolf Mankel die Übergabe von DORMA an seine beiden Töchter. Das Unternehmen stand glänzend da und vermochte dank rechtzeitiger Gegenmaßnahmen auch den Einbrüchen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise zu widerstehen. Mankel, der DORMA als Alleininhaber in dritter Generation führte, schrieb dies nicht zuletzt der guten Zusammenarbeit mit seinem – nicht zur Familie gehörenden – CEO zu. Seit er ihm vor zehn Jahren die Geschäftsführung übertragen hatte, bildeten beide ein gutfunktionierendes Team. Gemeinsam hatten sie DORMAzu einem der weltweit führenden Anbieter von Komponenten und Systemen für Türen gemacht.
Als der Geschäftsführer 2010 in den Ruhestand ging, wurden die Weichen für den von der Familie gewünschten Wandel gestellt. Christine und Stephanie Mankel erhielten den Großteil der Unternehmensanteile von DORMA, Karl-Rudolf Mankel behielt den verbleibenden Anteil, um weiterhin mitbestimmen zu können. Nun musste ein geeigneter CEO gefunden und verpflichtet werden, dem die Familie vertrauen und der sich seinerseits der Familie gegenüber loyal verhalten würde. Aus dem Wechsel an der Führungsspitze folgte, wie sich zeigen sollte, zudem die Notwendigkeit, die Governance-Strukturen und die Unternehmenskultur mit Blick auf eine zukunftsgerichtete Unternehmensstrategie anzupassen. Nicht zuletzt mussten Christine und Stephanie Mankel, die beiden neuen Shareholder, ihre Rollen im Unternehmen bestimmen.
Ein neuer CEO
Im Rahmen eines für alle Beteiligten transparenten Prozesses gelang es, einen Kandidaten für die CEO-Nachfolge zu finden und zu verpflichten, der von allen Familienmitgliedern akzeptiert wurde. Die Anforderungen, denen dieser zu genügen hatte, waren nicht gering. So sollte der künftige CEO nicht zuletzt Empathie mitbringen, um die Perspektive der Eigentümer nachvollziehen und einen gewissen Gleichklang mit dieser herstellen zu können, ohne jedoch der Sicht der Familienmitglieder gegenüber unkritisch zu sein. Er sollte zudem in der Lage sein, mit der Komplexität und Emotionalität familiärer Beziehungen umzugehen, in die seine Rolle eingebunden sein würde.
In Thomas P. Wagner fand man die geeignete Führungspersönlichkeit. Der 43-Jährige brachte die unerlässliche Branchenerfahrung ebenso mit wie ein ausgeprägtes unternehmerisches Denken und eine internationale Management-Karriere. Doch das Votum der Eigentümerfamilie gewann er nicht zuletzt wegen seiner hohen kommunikativen Kompetenz. Umgekehrt hatte Wagner seine Zusage davon abhängig gemacht, dass die neue Eigentümergeneration offen für Veränderungen wäre und ihm ausreichend Entscheidungsspielraum lassen würde. Wichtig war ihm zudem, einen profunden Einblick in die Entscheidungsstrukturen der Familie und des Unternehmens zu gewinnen.
Eine Strategie für Wandel und Wachstum
Im Februar übernahm Thomas P. Wagner seine Position bei DORMA. Die Gesellschafter gewährten dem neuen CEO den Freiraum, den er brauchte, um sich zunächst ein eigenes Bild von den Stärken des Unternehmens sowie Bereichen mit Verbesserungspotential zu verschaffen.
Basierend auf seiner Analyse des Unternehmens brachte Thomas P. Wagner im März 2010 ein strategisches Projekt auf den Weg, das das Unternehmen auf die Herausforderungen der nächsten zehn Jahre vorbereiten und ein profitables und stabiles Wachstum ermöglichen soll: das Programm DORMA 2020. Die Steuerung des Projekts legte er in die Hände eines internen Beratungsteams, da dieses über alle wesentlichen Unternehmensdaten verfügte.
Wagner versteht Strategieentwicklung als dynamischen Prozess, der der Beteiligung und Unterstützung des gesamten Führungsteams bedarf. Er bezog daher die Manager der Unternehmensspitze von Anfang an mit ein – und erntete dafür breite Zustimmung. Den Ausgangspunkt bildete eine Bestandsaufnahme, für die 235 Führungskräfte in aller Welt befragt wurden. In Interviews gaben die Manager Auskunft darüber, wie sie DORMA sahen – und was erforderlich wäre, um die für das Jahr 2020 definierten Ziele zu erreichen. Die Auswertung ihrer Aussagen lenkte den Blick auf Bereiche, die der Optimierung bedurften. In Experten-Workshops entwickelten Führungskräfte aller Geschäftsbereiche dann erste Konzepte hierzu.
Doch würden die Manager von DORMA den neuen Führungsstil und die veränderte Unternehmenskultur mittragen können, die Wagner mit dem Programm DORMA2020 einzuführen plante? Um dies herauszufinden, führte man ein Management Appraisal durch. In strukturierten Interviews wurden die Verhaltensweisen und Einstellungen der Manager erfragt, um ein Bild ihrer individuellen Arbeitsweise zu erhalten. Anhand definierter Kompetenzen beurteilte man daraufhin, inwieweit die Kompetenzen einer Führungskraft mit der neuen strategischen Ausrichtung des Unternehmens übereinstimmten. Weltweit durchliefen 38 Manager eine solche Bewertung.
Im Human-Resources-Bereich gaben die Ergebnisse einer Due-Diligence-Analyse, bei der die gesamte Performance- und Evaluierungskultur des Unternehmens untersucht wurde, den Anstoß für eine umfassende Neuausrichtung. Dazu gehörte die Entwicklung eines auf die neue Unternehmensstrategie ausgerichteten Kompetenzmodells. Ausgehend von einem Benchmarking mit ähnlich aufgestellten Unternehmen entstand das DORMA-Kompetenzmodell, das dem Unternehmen heute eine feinabgestufte Leistungsbewertung ermöglicht. Um der strategischen Bedeutung des HR-Bereichs gerecht zu werden, schuf DORMA die Funktion eines Chief Human Resources Officers (CHRO) auf Geschäftsführungsebene. Für die neue Position konnte eine Managerin verpflichtet werden, die die erforderlichen Kompetenzen in den Bereichen Kommunikation, Compliance und Organisationsentwicklung mitbringt.
Die veränderte, auf Transparenz und Einbindung ausgerichtete Entscheidungskultur fand ihren strukturellen Niederschlag in der Einrichtung eines zusätzlichen Organs der Corporate Governance: Das international besetzte Group Executive Committee, ein 15-köpfiges Gremium unter der Leitung des CEO, institutionalisierte die Beteiligung aller Mitglieder der Unternehmensführung – der Geschäftsführung sowie der Senior Executives – an strategischen Entscheidungen.
Als Thomas P. Wagner das Programm DORMA 2020 und die geplanten organisatorischen Veränderungen im Dezember 2010 bei der ersten internationalen Unternehmenskonferenz in Schanghai vorstellte, wusste er sich der ungeteilten Zustimmung aller Beteiligten sicher, der Familie wie des Managements. Der Wandel bei DORMAkonnte Fahrt aufnehmen.
Mit all dem hat DORMA den Generationswechsel erfolgreich vollzogen. Das Unternehmen besitzt, was es braucht, um sein ambitioniertes Wachstumsprogramm zu verwirklichen: eine klare Strategie; ein Managementteam, das durch die neue, kommunikative Führungskultur enorm gestärkt wurde; professionelle Strukturen, die es ermöglichen, die geschäftlichen Ziele mit den Interessen der Eigentümerfamilie in Einklang zu bringen, ohne die Grenze zwischen beiden zu verwischen.
DAS UNTERNEHMEN DORMA
Vor über 100 Jahren gegründet, zählt DORMA zu den weltweit führenden Anbietern von Premium-Zutrittslösungen und Dienstleistungen „rund um die Tür“. In den Bereichen Türschließtechnik, mobile Raumtrennsysteme und Glasbeschlagtechnik ist DORMA Weltmarktführer. Auch bei automatischen Türsystemen gehört DORMA zur Weltspitze. Die Unternehmensgruppe, die im Geschäftsjahr 2010/2011 einen Umsatz von rund 950 Millionen Euro erwirtschaftete, beschäftigt weltweit rund 6 500 Mitarbeiter. Sie ist mit 71 eigenen Gesellschaften in 47 Ländern vertreten. Ihr Hauptsitz ist Ennepetal im südlichen Ruhrgebiet.
FOTOS: DORMA