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Digitale Transformation: Geschwindigkeit zählt

Wir Deutschen hängen ein gefühltes Jahrzehnt in der Digitalisierung hinterher. Die zehn größten Unternehmen der Welt sind zurzeit amerikanische. Das wertvollste deutsche Unternehmen ist ein eher traditionelles, nämlich Bayer, und liegt zurzeit auf Platz 66 der Weltrangliste. Kein großer Internet-Erfolg der vergangenen 20 Jahre kommt auch nur aus Europa: Twitter, Amazon, Facebook, Sales Force oder Apple sind alles amerikanische Unternehmen. Daneben gibt es noch andere Regionen, die erfolgreich sind, wie beispielsweise Tel Aviv und natürlich auch China.

In Europa haben wir in den vergangenen 20 Jahren zwar vieles im Bereich der Produktion erreicht. Unsere Autos beispielsweise sind Weltklasse. Chemie, Logistik, Handel – alles großartig. Aber bei den großen, vor allem digitalen, Zukunftsthemen liegen wir zurück.

Die alten Formeln gelten nicht mehr

Bei Axel Springer zeigt sich die digitale Transformation, die über die letzten Jahre stattgefunden hat, auch in den Ergebnissen: Ungefähr zwei Drittel der Umsätze und des EBITDA werden heute digital gemacht, bei den wichtigen Anzeigenumsätzen sind es sogar 85 Prozent.

Zu Anfang unserer digitalen Karriere unterlagen wir allerdings einem Irrtum. 1994 sind wir mit Welt, BILD und anderen Titeln ins Internet gegangen. Wir dachten, wenn man seine Marke ins Netz bringt und Reichweite erzielt, dann ist eigentlich alles geritzt, dann ist man im Netz genauso erfolgreich wie auf Papier.

Aber nach zwölf Jahren harter Arbeit war genau 1 Prozent der Umsätze und Ergebnisse digital. Eine Daumenregel: Beim Übergang von Print zu Desktop gehen etwa 90 Prozent der Umsätze verloren. Beim Übergang von Desktop zu Mobile nochmal 90 Prozent. Ist man bei Mobile angekommen, erzielt man also nur noch 1 Prozent seiner ursprünglichen Umsätze – bei gleicher Reichweite und genauso vielen Lesern.

Das blüht auch anderen Branchen. Die Medienbranche ist nur eine der ersten, die es getroffen hat, weil ihre Güter so leicht zu digitalisieren sind: Bücher, Artikel, Filme. Aber heute kann man auch Stahl, Autos und Chemie, sogar Handel und Logistik digitalisieren.

Digitalisierung verstehen und verinnerlichen

Um in der digitalen Welt bestehen zu können, muss die Digitalisierung vor allem in den Köpfen aller Beteiligten passieren. Das heißt, wir brauchen nicht nur frisches Blut im Unternehmen, sondern müssen uns auch selbst auf die digitale Spur bringen. Und das geht am besten vor Ort – im Silicon Valley, dem Epizentrum der Digitalisierung.

2013 hat Axel Springer ein Haus im Silicon Valley gemietet, wo ich mit drei anderen Managern gewohnt habe. Warum das Silicon Valley das digitale Schwergewicht der Welt ist, wird deutlich, wenn wir uns Zahlen zum eingesetzten Venture Capital anschauen. Im Jahr 2015 wurden in den USA 60 Milliarden Dollar Wagniskapital finanziert. 32 Milliarden, also mehr als die Hälfte davon, im Silicon Valley. Dort sind 20.000 Start-ups ansässig, in einer Region, die kleiner als Berlin ist.

In Berlin finden wir 2.000 Start-ups (das sind 30 Prozent aller deutschen Start-ups). In ganz Deutschland flossen im Jahr 2015 700 Millionen Euro Venture Capital (die Hälfte davon nach Berlin), wobei der Betrag in den letzten Jahren immer kleiner wurde, während er in den USA stieg.

Erst im Laufe der Zeit, die ich im Silicon Valley verbracht hatte, verstand ich, was Digitalisierung für unser Geschäft bedeutet. (Aus diesem Grund schicken wir heute immer noch 25 Leute pro Jahr dorthin, die dort drei Monate intensiv leben und arbeiten.)

Wenn wir mithalten wollen, müssen wir – meiner Meinung nach – zwei Konzepte verstehen und verinnerlichen: Disruption und Plattformen.

Disruption und Preis

Es ist kein Zufall, dass Hippies in den Sechzigern genau an der gleichen Stelle saßen, an der heute die Technologiebewegung sitzt – denn beide wollen das Gleiche. Beide sind gegen das Establishment, wollen bestehende Firmen niederstrecken und so die Welt verbessern.

Der Unterschied? Die Hippies waren vielleicht sympathisch, wirtschaftlich aber nicht besonders erfolgreich. Sie haben nicht eine einzige Bank zu Fall, keinen Verlag oder Fernsehsender zum Schließen gebracht.

Die Kinder und Kindeskinder der Hippies erledigen das jetzt unter diesem Schlagwort: Disruption. Sie wird oft mit Innovation verwechselt. Es handelt sich jedoch eher um Oberbegriff und Unterbegriff, also Obst und Apfel. Innovation ist das Obst und Disruption ist der Apfel.

Der Unterschied lässt sich leicht am Beispiel der Musikindustrie erklären. Die Vinyl-Schallplatte war ein innovativer Übergang von der Schellack-Platte zu einer neuen Technologie, aber er war nicht disruptiv, sondern er war eine sogenannte erhaltende Innovation. Warum? Zur Herstellung beider Plattenarten brauchen Sie Presswerke, zu deren Verkauf ein Ladengeschäft.

Spotify hingegen ist eine disruptive Innovation. Sie brauchen weder Pressen noch Ladengeschäfte – und, typisch für Disruptionen, sie erreichen einen extrem niedrigen Preispunkt. Die Platte kostet 17 Euro mit zehn Songs, also 1,70 Euro pro Titel. Spotify ist erst einmal kostenlos, nur das Premiumangebot kostet 10 Euro, und dafür bekommen Sie das komplette Musikrepertoire der Welt. Das bedeutet pro Song einen absoluten Bruchteil des Preises auf Platte.

Plattformen und Monopole

Das zweite angesprochene Konzept sind Plattformen. Sie beherrschen die Digitalwirtschaft und drängen Hersteller aus dem Markt – das können wir nach 20 oder 25 Jahren Digitalisierung behaupten.

Schauen Sie sich Uber an: Das größte Taxiunternehmen der Welt besitzt kein einziges Auto. Airbnb, der größte Anbieter von Zimmern, besitzt keine einzige Immobilie. Skype kommt ohne eigene Netze aus, Alibaba ohne Inventar, Netflix ohne Kinos.

Auf Facebook, heute die größte Medienfirma der Welt, werden mehr journalistische Videos und Texte konsumiert, als auf jeder anderen Plattform. Dort wird aber kein einziger Redakteur beschäftigt. Der Content kommt von Dritten und das übrigens, ohne einen einzigen Cent dafür zu bezahlen. Bei Google läuft das ähnlich.

Was uns zu einer weiteren Herausforderung führt. Bei den Suchmaschinen hat Google in Deutschland mittlerweile einen Marktanteil von 94,5 Prozent und nimmt somit quasi eine Monopolstellung ein.

Nahezu alle Plattformen entwickeln sich schlagartig zu Monopolen. Amazon hat 51 Prozent Marktanteil und es wird prognostiziert, dass er sich auf 75 bis 80 Prozent ausbaut.

Dass sich fast alle digitalen Plattformen zu Monopolen entwickeln, liegt am sogenannten Netzwerkeffekt. Anders als in anderen Märkten steigt in Netzen der Nutzen, wenn die Zahl der Beteiligten steigt.

Ein Beispiel: WhatsApp wird mit jedem, der dazukommt, attraktiver für alle, die schon drin sind – und auch für alle, die noch nicht drin sind. Selbst, wenn Sie morgen das bessere WhatsApp erfinden, werden die Leute nicht wechseln, weil es ihre Freunde nicht unbedingt tun. Die sozialen Wechselkosten wären zu hoch. (Bei herkömmlichen Märkten ist das anders: Führen sie ein besseres und/oder günstigeres Produkt ein, wechseln die Konsumenten voraussichtlich.) Deshalb konvergieren Netzwerke zum Monopol.

Und wer ein Monopol für seinen Markt beansprucht, der kann auch den Preis diktieren. Wenn Tim Cook morgen entscheidet, dass beim Verkauf einer App nicht mehr nur 30 Prozent Provision, sondern 40 oder 50 fällig werden, dann würden aller Wahrscheinlichkeit nach alle mitziehen – wenn auch zähneknirschend –, denn Cook kennt die Käufer und die Nummern ihrer Kreditkarten, nicht mehr wir. (Übrigens ist das ein weiterer Unterschied des digitalen zum konventionellen Markt: Den Preis zahlt meist der Anbieter, nicht der Käufer.)

Vor allem aber bedeutet der Netzwerkeffekt eines: Eigentlich haben nur noch First Movers eine Chance. Wer nicht der Erste ist, hat fast keine Chancen mehr, mit seiner Leistung Fuß zu fassen.

Seien Sie vor Ort

Auch wenn uns ein Jahr nicht lang erscheint, es reicht heute, um ganze Monopole aufzubauen – gegen die dann nur noch wenig auszurichten ist. Deswegen will ich Ihnen zusammenfassend empfehlen: Seien Sie dort, wo die neuen Technologien entwickelt werden – vor Ort. Wer das nicht ist, der könnte immer das entscheidende Jahr zu spät kommen.

Christoph Keese
Executive Vice President, Axel Springer, und Autor des Buches Silicon Germany

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