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Ehrgeiz – Tugend oder Laster?

Über den ambivalenten Charakter einer menschlichen Triebfeder

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Zwischen gesellschaftlicher Achtung und Ächtung angesiedelt, zählt der Ehrgeiz heute nicht nur in der Wirtschaft zu den wichtigsten Antriebskräften. Guy Kirsch, Essayist und Professor für Neue Politische Ökonomie, geht der Frage nach, wie sich das schillernde Phänomen des Strebens nach Ehre und Anerkennung wirklich bewerten lässt.

Von Guy Kirsch

I.

Sollte Cäsar ehrgeizig gewesen sein, so lässt William Shakespeare den Marcus Antonius in seiner Trauerrede auf den ermordeten Diktator sagen, sollte also Cäsar „ambitious“ gewesen sein, wie sein Mörder Brutus unterstellt, so wäre dies ein großes Vergehen gewesen. Doch warum eigentlich sollte das der Fall sein? Zwei Situationen sind denkbar. Die eine: Da beklagen sich Eltern, ihr Sohn sei ohne jeden Ehrgeiz; er hänge die ganze Zeit herum, interessiere sich für nichts und schere sich keinen Deut darum, was Lehrer, Eltern und Mitschüler von ihm denken. Die andere: In einer Firma distanzieren sich die Mitarbeiter von einem Kollegen, weil er ehrgeizig ist. Für die Eltern ist der Mangel an Ehrgeiz ein Übel, für die Kollegen das Übermaß. Ehrgeiz ist also eine konträr bewertete Eigenschaft. Schon seinem Ursprung nach verbindet der Begriff etwas, was als positiv gilt – die Ehre –, mit etwas, was durchweg negativ bewertet wird: die Gier oder Sucht. Denn „Geiz“ bedeutet hier nicht im neueren Sinne die „übertriebene Sparsamkeit“, vielmehr geht das Grundwort zurück auf „git“ oder „gheidh“, die „Begierde“ oder „Gier“. Damit verbietet es sich, den Ehrgeiz von vornherein als eine Tugend zu preisen; es verbietet sich aber auch, ihn a priori als Laster zu verurteilen. Eine differenziertere Analyse ist angebracht.

II.

Schaut man genauer hin, dann zeigt sich als Erstes, dass es ein Zuviel und ein Zuwenig an Ehrgeiz geben kann. Allerdings erschöpft sich das Problem nicht im Austarieren des quantitativen Optimums. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Ehrgeiz mit einer Motivation in Vergleich setzt, die ihm gemeinhin gegenübergestellt wird: dem Engagement. Dieses betont nämlich, dass der Handelnde sich für etwas einsetzt, das er wertschätzt: etwa eine gerechtere Gesellschaft, den Profit der Firma, die Gleichstellung der Geschlechter … Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Entscheidend ist nun, dass die in ihr aufgeführten Werte jenseits der eng gefassten Eigeninteressen desjenigen liegen, der sich engagiert. Genauer: Er stellt sich in den Dienst einer gemeinsamen Sache, nicht aber handelt er aus Eigennutz. Anders jener, der aus schierem Ehrgeiz handelt. Er mag sich für dieselben Ziele einsetzen, doch sind sie ihm im Letzten gleichgültig. Sie sind ihm allenfalls Mittel, um sich selbst in den Augen anderer glanzvoll in Szene zu setzen.

Man kann es auch so sagen: Wer aus Engagement handelt, stellt sich selbst gleichsam hintan. Der allzu Ehrgeizige, der Ehrsüchtige, wird sich nur dann für etwas einsetzen, was ihn übersteigt, wenn ihn dies in den Augen anderer erhöht. Im Zweifelsfall mag er gar bereit sein, die Werte – zum Beispiel den gesellschaftlichen Frieden, den Firmengewinn, die Geschlechtergleichstellung – zu beschädigen, wenn dies seinen eigenen Glanz in den Augen anderer steigert.

Zusammenfassend: Während der engagierte Mensch sich selbstvergessen in den Dienst einer gemeinsamen Sache stellt, verfolgt der ehrgeizige Mensch im Zweifel nur seine eigenen Ziele. So kann ein ökologisch engagierter Unternehmer um der Umwelt willen auf einen Teil seines Gewinns verzichten. So kann aber auch ein ehrgeiziger Angestellter mutig-riskante Geschäfte tätigen, die zwar das Unternehmen gefährden, ihm aber den Ruf eines cleveren Traders einbringen.

III.

Warum ist dem Einzelnen so sehr daran gelegen, in den Augen anderer zu glänzen? Warum genügt es ihm nicht, in den eigenen Augen groß, anständig, ehrlich, tüchtig, menschenfreundlich oder gerecht zu sein? Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie weitreichend: Wer morgens in den Badezimmerspiegel schaut, ist nie allein; neben ihm stehen unsichtbar, aber sehr real jene, von denen er annimmt, dass sie ihn sehen und beurteilen. Wer meint, dass ihn niemand sieht, der wird auch in den eigenen Augen unsichtbar; sein Badezimmerspiegel erblindet – ein gespenstisch-unheimlicher Vorgang.

Der allzu ehrgeizige Mensch ist ein Mensch, der seiner selbst, richtiger: der seines Selbst nicht sicher ist und deshalb die Anerkennung durch die anderen sucht. Hierbei gilt: Je größer die Selbstunsicherheit, desto größer der Ehrgeiz. Wohl ist es zugestanden, dass jeder den Blick der anderen braucht. Doch wer seines Selbst einigermaßen sicher ist, giert weniger nach (an-)erkennenden Blicken als jener, dem es an Selbstgewissheit fehlt.

IV.

Aber sollte es nicht möglich sein, dass Ehrgeiz und Engagement in eins fallen? Warum soll ein Mensch nicht dadurch in den Augen anderer glänzen wollen, dass er sich für übergeordnete Werte engagiert? Warum sollte er sich nicht seines Selbst versichern, indem er sich vor den Augen anderer für hehre Ziele engagiert?

Die Antwort: Ehrgeiz und Engagement sind dann grundverschieden, wenn die hehren Ziele nur Mittel im Dienst des eigenen Renommees sind. Man kann kein guter Mensch sein mit dem Ziel, als guter Mensch zu gelten. Wer dies trotzdem versucht, setzt sich zumindest dem Verdacht aus, auch bereit zu sein, ein schlechter Mensch zu werden, wenn er dadurch zu Glanz und Gloria gelangt.

V.

Nach dem Gesagten mag man den Eindruck haben, Ehrgeiz sei eine durch und durch negative Eigenschaft und die oben erwähnten Eltern sollten den fehlenden Ehrgeiz ihres Sohnes nicht beklagen, sondern begrüßen. Doch dieser Eindruck ist falsch.

Zwei Punkte verdienen hier besondere Beachtung. Erstens: Wenn es richtig ist, dass der Einzelne sich auch mit den Augen der anderen sieht, dann ist a priori nichts dagegen zu sagen, wenn er wegen seines Engagements einen gewissen Respekt genießt. Mutter Teresa steht ob ihres Engagements für die Armen in hohen Ehren, ohne dass man unterstellt, sie habe sich aus Ehrgeiz für die Armen eingesetzt.

Die erwähnten Eltern mögen sich also durchaus wünschen, dass ihr Sohn ehrgeiziger ist. Es würde ihnen aber kaum gefallen, wenn ihr Kind in der Schule nur deshalb gute Arbeiten schreibt, weil er Klassenprimus sein will, nicht aber, weil er sich für Mathe oder Latein interessiert. Gleichfalls mögen in der Firma die Mitarbeiter einen Kollegen deshalb als ehrgeizig ablehnen, weil sie spüren, dass er mit seinem Selbst Probleme hat und für sie und das Unternehmen gefährlich sein kann. Sie werden ihn und seinen Ehrgeiz deshalb nicht mögen, wenn und weil sie davon ausgehen müssen, dass er um des eigenen Rufes ein performanter Mitarbeiter sein will, ihn der „gesamte Laden“ aber nicht wirklich interessiert.

Zweitens: Da es auch darauf ankommt, womit der Einzelne Ehre einlegen will, geht ein ehrgeiziger Mensch in die Irre, der etwa im Drogenhandel Karriere machen will. Denn der Euphemismus von der „ehrenwerten Gesellschaft“ ist außerhalb der Mafia nur ein ironisch verwendetes Synonym für das organisierte Verbrechen. Ein ehrgeiziger Mensch kann aber für sich und andere auch ein erfreulicher Zeitgenosse sein, wenn und weil er durch sein zivilgesellschaftliches Engagement in den Augen seiner Mitmenschen hervorstechen will. So sehr die oben erwähnten Eltern es also begrüßen würden, wenn ihr Sohn den Ehrgeiz entwickelte, eine gute Mathearbeit zu schreiben, so alarmiert wären sie, wenn ihr Filius den Ehrgeiz hätte, auf dem Schulhof der erfolgreichste Drogendealer zu sein. Und in einem Unternehmen mag der ehrgeizige Mitarbeiter, der durch besondere Kollegialität auffällt, zu Recht sehr geschätzt sein, während jemand, der seinen Ehrgeiz dareinsetzt, durch unsaubere Tricks Karriere zu machen, vielleicht bewundert, aber mit gutem Grund kaum gemocht wird.

VI.

Zusammenfassend: Der Ehrgeiz ist weder eine Tugend noch ein Laster; vielmehr kommt es darauf an, wie stark oder schwach er ausgeprägt ist; auch kommt es darauf an, auf welchen Wert oder Unwert sich der Ehrgeiz richtet, mit welchem Engagement er sich verbindet.

Für den Einzelnen, für ganze Organisationen wie etwa Unternehmen, gar für die Gesellschaft insgesamt kann er sich als ein Phänomen erweisen, das mehr oder weniger störend, gar zerstörend wirkt. Er kann aber auch für den Einzelnen zu jener Triebkraft werden, die ihn zu seinem Selbst, zur Selbstachtung führt, er kann für Organisationen zu jenem Motor werden, der sie zur Dynamik antreibt, und für die ganze Gesellschaft zu jener Kraft, ohne die Stagnation und Untergang kaum zu vermeiden sind.

Guy Kirsch

Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, geboren 1938 in Luxemburg, ist seit 1972 ordentlicher Professor für Neue Politische Ökonomie an der Universität Fribourg in der Schweiz. Kirsch ist ein international gefragter Autor und Berater.

FOTO: MICHAEL HAURI

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