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Stark nach Plan

Strategien für mehr Krisenfestigkeit im Unternehmen

Resilienz ist kein Zufallsprodukt. Im Gegenteil – Organisationen können und sollten sie gezielt aufbauen. Definiert als die Fähigkeit einer Organisation, sich von innen heraus zu erneuern, bevor die äußeren Umstände Veränderungen erzwingen, muss sich die Unternehmensführung darüber klar werden, welche Kompetenzen auf individueller, auf Team- und auf Organisationsebene dazu nötig sind und wie diese entsprechend den Bedürfnissen und Anforderungen des Unternehmens zu entwickeln und zu fördern sind.

ERFOLGREICHE Turnaround-Stories erfreuen sich weltweit großer Beliebtheit. Immer wieder hören wir gern die Geschichten über den Beinahe-Untergang und erneuten Aufstieg einst erfolgreicher Unternehmen. Aber es ist sinnvoll, sich auch einmal zu überlegen, warum es überhaupt so weit gekommen ist. Hätte die Notwendigkeit zu einem Turnaround nicht ganz vermieden werden können? Und wenn ja, wie? Das sind entscheidende Fragen, denn ein langsamer Niedergang ist gefährlich und teuer. Shareholder schätzen keine Tumulte, sondern wollen eine vorhersagbar starke und verlässliche Performance, mit zunehmender Betonung auf „verlässlich“. Zwar müssen sich alle Unternehmen immer wieder Herausforderungen stellen und Abschwünge sind bis zu einem gewissen Grad nicht vermeidbar, aber es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, um eine tatsächliche Turnaround-Situation zu verhindern. In diesem Sinne sind wir der Überzeugung, dass Unternehmen plan- und absichtsvoll resilient werden können.

Es wundert wenig, dass die meisten Unternehmensführer davon überzeugt sind, diese Absicht längst zu haben. Proaktiv optimieren sie die Variablen, die sie beeinflussen können, um ihre Erfolgschancen angesichts der Vielzahl von Unbekannten zu erhöhen, auf die sie eben keinen Einfluss haben. Dabei lässt sich Resilienz viel gezielter erhöhen, als die meisten vermuten.

Resilienz in Unternehmen hat zwei Bedeutungen. Die erste bezieht sich auf die Erholung und das Wiedererstarken nach Krisen, also auf den klassischen Turnaround. Die zweite beschreibt die Fähigkeit, angesichts von Problemen und Turbulenzen auf Kurs zu bleiben und vorwärtszukommen, also gerade die Vermeidung eines Turnarounds. US-Managementguru Gary Hamel zielt auf letztere Bedeutung, wenn er Resilienz als die Fähigkeit eines Unternehmens definiert, seine Geschäftsmodelle und Strategien angesichts ständiger Veränderungen im operativen Umfeld kontinuierlich und dynamisch neu zu erfinden. Anders ausgedrückt versteht er Resilienz als die Fähigkeit eines Unternehmens, sich von innen heraus zu verändern, bevor äußere Bedingungen diese Veränderungen unausweichlich werden lassen. Gerade Erfolg kann Unternehmen einlullen und träge werden lassen und damit ihren Abstieg einleiten. Vorsätzliche Resilienz heißt also instandzuhalten, statt zu reparieren, also einen Niedergang mit dem anschließend nötigen heldenhaften Turnaround zu verhindern.

Wie Individuen haben auch Firmen ihre eigene Persönlichkeit, ihre Unternehmenskultur. Diese Kultur wird zu einem großen Teil vom Mix der Kompetenzen im Unternehmen geformt – jener Mischung aus Fähigkeiten und Charakterzügen der einzelnen Mitarbeiter und Teams quer durch die Organisation. Ob eine Kultur dabei „gut“ oder „schlecht“ ist, hängt zu einem Großteil von der Situation ab, in der sich das Unternehmen befindet. Die Unternehmenskultur sollte helfen, die Firma ihren Zielen näher zu bringen, statt sie dabei zu behindern. Wenn eine Firma zum Beispiel schnelles Wachstum anpeilt, sollte ihre Kultur idealerweise Flexibilität und Schnelligkeit hervorbringen. Bei einem Unternehmen, dessen Produkte sich hingegen in Massenmärkten durchsetzen müssen, dürften Effizienz und Kostenbewusstsein Kernkompetenzen darstellen.

Auch für Resilienz sind bestimmte Kompetenzen besonders wichtig. Unsere Daten, basierend auf tausenden Management Appraisals quer durch alle Branchen und Regionen weltweit, weisen dabei folgende Kompetenzen als entscheidend aus:

Strategische Fähigkeiten – Sie beinhalten die Fähigkeit, über die Tagesaktualität hinaus zu erkennen, wohin die künftige Entwicklung geht und auch danach zu handeln. Dazu gehören ausgeprägte kognitive Fähigkeiten, etwa zur richtigen Interpretation von bestimmten Ereignissen, zum Identifizieren wichtiger Variablen und zum Abwägen verschiedener Optionen, um kommende Herausforderungen zu bewältigen.

Flexibilität/Change Leadership – Führungskräfte müssen Enthusiasmus entfachen können, müssen die Herzen und Köpfe ihrer Mitarbeiter gewinnen und die Organisation neu ausrichten können. Sie wissen unterschiedliche Situationen richtig zu deuten und können ihren Führungsstil entsprechend anpassen, damit ihre Mitarbeiter sich wirklich einsetzen und ihre Teams offen sind für Veränderungen.

Persönliche Resilienz – Diese persönliche Eigenschaft von Executives hat maßgeblichen Einfluss auf die Gesamtresilienz eines Unternehmens. Resiliente Firmen werden zumeist geführt von sturmerprobten Persönlichkeiten, die trotzdem offen für Neues bleiben. Sie haben zudem starke Werte und verfügen über eine mentale Robustheit. Resiliente Führungskräfte können nicht nur mit Widrigkeiten umgehen, sondern werden von ihnen geradezu angespornt. Sie treiben Unternehmen voller Energie, Kreativität und Selbstvertrauen voran.

Natürlich sind auch viele andere Qualitäten wichtig, aber diese drei sind entscheidend. Jeder Unternehmensführer sollte sich also fragen, welche dieser Kompetenzen in seiner Firma stark ausgeprägt sind und welche schwach. Und was getan werden muss, um Schwächen in Stärken zu verwandeln, bevor die Firma in Schwierigkeiten gerät.

Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln

Um herauszufinden, wie das Unternehmen resilienter werden kann, sollte man es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Dabei kommt es auf die Fähigkeiten der Führungskräfte in Schlüsselpositionen, die Dynamik der wichtigsten Teams und schließlich die Zusammenführung dieser Erkenntnisse in einem Kompetenzprofil der gesamten Organisation an.

Grundeinheit jedes Teams und jeder Organisation sind natürlich die einzelnen Persönlichkeiten. Ohne die richtigen Leute an Bord ist Resilienz nicht möglich. Das betrifft besonders die obersten Führungsebenen. Top Executives müssen strategisch denken können und sowohl die Erfahrung als auch die Glaubwürdigkeit aufweisen, um mit Erfolg gepaarte Trägheit zu überwinden und proaktiv Veränderungen voranzutreiben. Planvoll resilient zu werden, bedeutet also, dass die Unternehmensführung sich darüber klar wird, welche ihrer aktuellen und künftigen Top-Manager eben dazu in der Lage sind. Hat Erfahrung die amtierende und künftige Managergeneration genug für die Gefahr der Selbstzufriedenheit sensibilisiert? Reicht ihre persönliche Glaubwürdigkeit aus, mitten im schönsten Erfolg andere zu Veränderungen zu bewegen?

Um individuelle Fähigkeiten verlässlich zu bewerten, braucht es vergleichbare und bewertbare Daten. Allerdings leiden viele kompetenzbasierte Assessments an einer der folgenden Schwächen:

  • Die Kompetenzen sind zu ungenau definiert. Die erhobenen Daten werden damit subjektiv. Ein Vergleich zwischen verschiedenen Evaluierungen oder Bewertern ist nicht möglich.
  • Der Prozess und/oder das Bewertungsraster ist zu akademisch. Die Daten sind zwar möglicherweise genau, lassen sich aber kaum auf praktische Unternehmensbedingungen anwenden.

Weil aber die notwendigen Entscheidungen zum Aufbau einer robusten Organisation nicht trivial sind, ist es entscheidend, sie auf einer objektiven Analyse, statt auf widerstreitenden Meinungen aufzubauen. Deshalb haben wir bei Egon Zehnder ein System zur Bewertung von Führungskräften mittels abgestufter Kompetenzen entwickelt, die sowohl objektiv als auch stark praxisbezogen sind und damit eine verlässliche Bewertung von Fähigkeiten und Potential einer Führungskraft erlauben.

Starke Persönlichkeiten zu kombinieren garantiert noch kein starkes Team. Genauso macht auch eine Gruppe von resilienten Menschen noch kein resilientes Team aus. Teams haben Charakteristika und Fähigkeiten, die viel mehr – oder viel weniger – sein können als die Summe ihrer Mitglieder. Das Team muss die Fertigkeit und den Willen haben, notwendige Veränderungen zu vollziehen und vorhersehbare Widerstände zu überwinden. Das ist je nach Aufgabe bei manchen Arbeitsgruppen wichtiger als bei anderen, je nachdem, wie stark zukunftsgerichtet diese sind. Bei Aufgaben wie etwa der strategischen Planung oder der Entwicklung neuer Produkte ist die Resilienz des Teams besonders wichtig.

Der Weg zum resilienten Team

Auch Teamkompetenzen lassen sich objektiv identifizieren und messen. Basierend auf breitangelegter Forschung zum Thema „Team“, setzt Egon Zehnder hier einen Bewertungsprozess, den „Team Effectiveness Review“ ein. Er evaluiert neben der Resilienz Teameigenschaften wie:

  • Balance – Wie gut versteht, schätzt und benutzt das Team die unterschiedlichen Fähigkeiten und Stärken seiner Mitglieder?
  • Ausrichtung – In welchem Maß teilen die Teammitglieder ein über die Tages- und Projektarbeit hinausgehendes Ziel, auf das sie ihre Handlungen ausrichten?
  • Offenheit – Wie stark engagiert sich das Team innerhalb des Unternehmens und hält Kontakt nach außen?
  • Energie – Mit welcher Leidenschaft und welchem Engagement verfolgt die Gruppe ehrgeizige Ziele?
  • Effizienz – Wie gut optimiert das Team seine Zeit und die zur Verfügung stehenden Ressourcen, um Ergebnisse zu erzielen?

Um schließlich das Maß an Resilienz in der gesamten Organisation zu erfassen, führen wir nicht nur die Daten zusammen, die wir auf persönlicher und auf Teamebene gesammelt haben, sondern es sollte auch untersucht werden, wie effektiv die Systeme und Prozesse einer Firma – etwa die Einstellung neuer Mitarbeiter, die Führungskräfteentwicklung und Entscheidungsprozesse – jene Kernkompetenzen stärken und unterstützen, die eng mit der Robustheit des Unternehmens korrelieren. Die Ergebnisse sind für die meisten Unternehmensführer verblüffend. Vermutlich wären auch die meisten von ihnen darüber erstaunt, in welchem Maß ihre eigenen Systeme derzeit den Status quo und die Erfolgsrezepte der Vergangenheit unterstützen – auf Kosten dessen, was für eine erfolgreiche Zukunft getan werden müsste.

Prävention statt Therapie

Die Erkenntnisse aus einem derartigen „Multi Level Assessment“ können in der Folge als Richtschnur für die Gestaltung einer Unternehmenskultur dienen, deren Ziel die Prävention, nicht die Therapie ist, und die somit die Firma krisenfester macht.

Viele Entwicklungs- und Veränderungspläne sind meist nicht viel mehr als Listen mit wolkigen Zielen, verbunden mit sehr allgemeinen Lösungsvorschlägen. Stattdessen sollten sich die Verantwortlichen darum bemühen, solide, situationsspezifische Entwicklungspläne aufzusetzen, die sich Einzelpersonen und Teams tatsächlich zu eigen machen und die sich daran orientieren, was objektiv über jeden Manager und jede Gruppe erfasst worden ist. Wichtige Schritte auf dem Weg zu planvoller Resilienz sind:

Die Identifizierung der entscheidenden Executives und Gruppen. Nicht jede Führungskraft und jedes Team sind gleich wichtig für die Entwicklung einer widerstandsfähigen Organisation. Wichtig ist zu erkennen, wo der Hebel für Entwicklungsbemühungen am wirkungsvollsten anzusetzen ist. Wir raten deshalb, sich auf jene Persönlichkeiten und Arbeitsgruppen zu fokussieren, die am stärksten die Richtung des Unternehmens beeinflussen. Eine Vorbildfunktion in Sachen Resilienz sowohl in Bezug auf die Einzelpersonen als auch als Gruppe sollte dabei selbstverständlich das Vorstandsteam ausüben.

Den Kontext für das Entwicklungsprogramm formulieren. Um Resilienz aufzubauen, muss sich das Unternehmen darüber klar sein, warum es in die Entwicklung der entsprechenden Systeme, Prozesse und Kompetenzen investieren will. Es ist wichtig, eine derartige Widerstandskraft zu einem ausdrücklich geschätzten Attribut der Unternehmenskultur zu machen.

Prioritäten bei Entwicklungschancen setzen. Die Ergebnisse der konsequenten und objektiven Bewertung von Führungskräften und Teams sollten genutzt werden, um zu bestimmen, welche Lücken zu schließen sind, damit die Resilienz gesteigert wird. Die Entwicklung sollte sich auf jene spezifischen Ziele konzentrieren, die den größten messbaren Erfolg versprechen.

Defizite nicht nur erkennen, sondern die Gründe dafür identifizieren. Wenn klar ist, wie es zu Leistungsschwächen kam, kann mit der optimalen Mischung aus Erfahrung, Ausbildung, Training, Coaching und Mentoring für jeden Executive und jedes Team entgegengewirkt werden.

Oberflächliche Reparaturen vermeiden. Wichtig sind ernsthafte und nachhaltige Entwicklungsansätze, die dauerhafte Lösungen versprechen anstelle schnellen Flickwerks.

Die Organisationssysteme neu justieren. Die Systeme und Prozesse der Firma – insbesondere die HR-Systeme – sollten darauf überprüft werden, ob sie die übrigen Ansätze in Richtung Resilienz unterstützen. Sowohl bei der Einstellung als auch bei der Beförderung aktueller und künftiger Top-Manager sollten deren Resilienz-Kompetenzen erfasst werden. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass das Incentivesystem des Unternehmens jene belohnt, die auch und gerade in Phasen des Erfolgs innovativ bleiben.

Nicht auf vergangenen Erfolgen ausruhen

In unserer Beratungspraxis haben wir gelegentlich die Chance, Musterexemplaren von bewusster Resilienz zu begegnen. Als beispielhaft erscheint uns etwa der Fall des IT-Leiters in einem mittelständischen Pharmaunternehmen. Gerade erst war ihm der Turnaround seiner Abteilung gelungen und für die aktuelle Performance seines Teams erhielt er von allen Seiten Lob. Anstatt sich auf seinem Erfolg auszuruhen, erkannte er aber, dass die Wachstumspläne seines Unternehmens schon sehr bald ein ganz anderes IT-Modell verlangen würden. Gegen ernsthaften internen Widerstand unterzog er also die Informationstechnologie der Firma einer weiteren Generalüberholung, die auf Wachstum abzielte. Führungskräfte mit einer solchen Mischung von Vorausschau und Mut sind selten, so unsere Erfahrung.

Noch seltener freilich, aber nicht unmöglich, ist bewusste Resilienz auf Unternehmensebene. Bei der Ford Motor Company etwa initiierte CEO Allen Mulally im Jahr 2006 massive Restrukturierungen, obwohl das Unternehmen nicht in einer akuten Krise steckte. In einer Niedrigzinsphase nahm er hohe Kredite auf, um die Restrukturierung und die Einführung neuer Produktlinien zu finanzieren. Ford konsolidierte seine Typenplattformen, um Produktion und Montage weltweit zu standardisieren, reduzierte damit seine Kosten und verschlankte das Design. Außerdem setzte der Konzern verstärkt auf die Entwicklung von Hybridtechnologie und damit auf umweltfreundlichere Autos. Industriebeobachter kritisierten seinerzeit Mulallys „ausufernde“ Kreditaufnahme und Großinvestitionen, die nicht wirklich nötig erschienen. Aus heutiger Sicht zeigt sich, dass Fords Entscheidung, sich anzupassen, bevor die Autoindustrie in den Griff einer weltweiten Krise geriet, zu deutlich besseren Resultaten als bei den US-Rivalen GM und Chrysler führte.

Planvolle Resilienz verlangt Qualitäten und Handlungen, die oftmals nicht der Norm konventioneller Unternehmensführung entsprechen. Sie beginnt mit Entscheidern, die fähig und willens sind, über den Tellerrand hinauszuschauen und sich verändernde Bedingungen zu antizipieren, anstatt nur darauf zu reagieren. Notwendig ist ebenfalls die Kraft, harte Entscheidungen zu treffen, auch wenn die Dinge gerade gut laufen. Wo sich Unternehmen und ihre Führer bewusst zur Resilienz bekennen, sprechen die Erfolge auf lange Sicht für sich.

DIE AUTOREN

Dietmar Austrup ist seit 2005 Berater im Düsseldorfer Büro von Egon Zehnder. Er leitet die Aktivitäten des Bereichs Versicherungen innerhalb der Financial Services Practice. Zudem ist er in der Human Ressources sowie der Leadership Services Practice tätig.

Dr. Jens Riedel ist seit 2005 Berater im Berliner Büro von Egon Zehnder. Er ist Mitglied der Financial Services Practice und leitet innerhalb der Practice die Aktivitäten im Risikomanagement. Zudem ist er in der Leadership Services Practice tätig.

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