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"Glück ist kein Geschenk der Götter"

  • November 2016

Glück und Unternehmen – passt das zusammen? Schnell schwingen Vorbehalte mit, wenn von Glück die Rede ist: „Das ist esoterisch“ oder „Unternehmen wollen doch nur ihren Profit maximieren“. Klar ist: Glückliche Menschen sind erfolgreicher, kreativer und in Zeiten des Wandels deutlich widerstandsfähiger. Klar ist außerdem: Führungspersönlichkeiten wollen schon lange nicht mehr nur eine Herausforderung meistern, sondern suchen nach Tätigkeiten, die sie persönlich fordern und auch ein Stück weit erfüllen. Ein „Wohlgefühl“ entsteht dabei nicht durch Äußerlichkeiten, also die bequeme Sitzgruppe, Yoga im Büro, Geld oder längerer Urlaub. Wie Unternehmenslenker den „Faktor Glück“ in ihre Kultur- und Führungskonzepte integrieren können, dieser Frage haben sich die Glücksforscherin Song Yan (Jacobs University Bremen) und der Personalberater Carsten Wundrack (Egon Zehnder) angenommen. Beiden gefällt ein Satz von Erich Fromm: „Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung.“

Glück ist für die meisten Menschen eine erstrebenswerte Größe, aber das hält sie nicht davon ab, sich dem Begriff mit einer gehörigen Portion Skepsis zu nähern. Kulturspezifische oder gesellschaftliche Determinanten geben dem Wort in einigen Fällen einen Bedeutungszusammenhang, der nicht sofort als allein positiv betrachtet wird. Insbesondere in Deutschland schwingt – im Gegensatz zum englischen Begriff der „Happiness“ – immer noch ein Hauch Esoterik mit, wenn man vom „Glück“ oder „glücklichen Menschen“ redet. Entweder wird dabei eine Portion unberechtigten Zufalls im Sinne von „Glück gehabt“ unterstellt – oder eine Überdosis Naivität: Glück als angestrebter Dauerzustand wirkt pathetisch, weltfremd und eigentlich unmöglich, weswegen er instinktiv argwöhnisch beäugt und nur als kurzfristige Momentaufnahme ernst genommen wird.

In vielen anderen Ländern bzw. Kulturen wird das Glück viel mehr als ein Gefühl subjektiven „Well-beings“ verstanden und deswegen viel selbstverständlicher als normale Lebensgröße akzeptiert. Wobei das Glück auch hier immer mehr ist als schiere Zufriedenheit mit den Umständen. Es ist die Extraportion positive Energie, die weit über einen Zustand ohne Mangel oder den einer angenehmen materiellen und geistigen Angeregtheit hinausweist.

In der empirischen Forschung wird Glück operativ definiert durch das momentane emotionale Wohlbefinden, aber auch als andauernde Lebenszufriedenheit, und zwar generell oder in verschiedenen wichtigen Lebensbereichen. Es beinhaltet also sowohl ein affektives hedonistisches Gefühl als auch ein evaluatives Zufriedenheitsniveau.

Glück in den Wissenschaften

Das Glück, das generell zunächst als intensive individuelle Größe wahrgenommen wird, ist in vielen wissenschaftlichen Disziplinen ein ganz normaler Untersuchungsgegenstand geworden, von der Psychologie bis hin zur Volkswirtschaft. Als ökonomischer Faktor hat es schon lange Eingang gefunden in politische Überlegungen, die unter dem Stichwort „Gross Happiness Product“ oder „Gross National Happiness“ (GNH) widerhallen.

Seltsamerweise ist der eigentlich logische, natürlich anmutende Schritt, die Wirkungsweise dieser individuellen Größe auf Unternehmen und Unternehmensführung zu untersuchen, praktisch ausgeblieben oder nicht konsequent genug beschritten worden. Betriebswirtschaftslehre und Managementtheorien haben diese Perspektive trotz neuer Erkenntnisse der entsprechenden Wissenschaften gescheut oder versäumt.

Das ist ein Fehler oder besser: Hier liegt ein enormes Potenzial, nicht nur für die Forschung. Denn angeregt durch die aktuellen Erkenntnisse der Glücksforschung, lassen sich neue und ganzheitliche Wege beschreiten, die das Unternehmen insgesamt zu einem besseren machen – und nebenbei zu einem höheren Wohlbefinden mit all seinen positiven Auswirkungen führen: mehr Erfolg, größere Stabilität, verbesserte Produktivität und größere Agilität; Letzteres ist in unübersichtlichen Zeiten unschätzbar wertvoll.

Glück ist somit eine Steuerungsgröße und ein Führungskonzept, das weit über die Förderung der Mitarbeiterzufriedenheit durch moderne Bürokonzepte, freie Mahlzeiten, Betriebskindergärten und ähnliche materielle Zuwendungen hinausgeht.

Glück und die VUCA-Welt

Die besondere Bedeutung von Glück für Unternehmen wird gerade in diesen Zeiten offenbar. In einer Welt, in der die permanente Unsicherheit und Unübersichtlichkeit der neue Normalzustand geworden ist (VUCA World), stoßen althergebrachte Theorien und Strategien an ihre engen Grenzen. Eindimensionale Betrachtungen und erprobte Lösungsansätze sind nicht das adäquate Mittel zur Bewältigung neuer und höchst komplexer Probleme. Der Griff in den bewährten Management-Baukasten hat ausgedient. Früher verpönte ganzheitliche Ansätze bekommen zu Recht eine neue Aufmerksamkeit, denn nur im Zusammenspiel aller Fähigkeiten und Sinne lassen sich die kreativen Kräfte entwickeln und entfalten, die in schwierigen Zeiten alleine noch das Vorwärtskommen ermöglichen.

Die Dinge ändern sich, die Haltungen auch: Früher galt es als Makel, wenn Führungskräfte sich einen Coach nahmen. Heute ist das selbstverständlich und geradezu schick. Wurde früher die Debatte über vermeintlich „weiche Faktoren“ eher belächelt und als Schwäche abgetan, erkennt man heute in zunehmendem Maße, dass es genau diese Faktoren sind, die die Innovationskraft und den Fortbestand einer Unternehmung ausmachen. Glück ist bereits ein relevanter und nachweisbarer Faktor im Unternehmensalltag.

Glück und der Mensch

Aus der kognitiven Psychologie wissen wir, dass glückliche Menschen grundsätzlich positiver eingestellt sind, toleranter, offener, lösungsorientierter, grenzüberschreitender und kreativer denken als alle anderen. Sie reagieren deutlicher auf positive Impulse, entwickeln eine größere Neugier und erweitern aktiv ihren Horizont. Genau damit beschreibt man aber die Eigenschaften, die notwendig sind, um das in vielen Unternehmen gerade in turbulenten und unsicheren Digitalisierungszeiten immer strengere Silodenken zu durchbrechen und Lösungen auf der horizontalen Ebene zu entwickeln.

Der glückliche Mensch ist widerstandsfähiger, veränderungswilliger, motivierter und kreativer als sein normaler Counterpart. Damit wird der vermeintlich weiche Faktor Glück ein harter Faktor im täglichen ökonomischen Überlebenskampf. Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen mit höherem Glücksniveau dazu tendieren, ihre Aufmerksamkeit auf positive Reize zu fokussieren und Dinge positiv zu interpretieren. In Stresssituationen mobilisiert und stellt die Glücksempfindung Ressourcen bereit, um Probleme anzupacken und zu bewältigen.

Glücksempfindung wappnet also gegen negative Emotionen, sie bildet die Kraft für Resilienz und fördert lösungsorientiertes Handeln. Diese Erkenntnis sollten Unternehmenslenker nutzen.

Glück und die Organisation

Der Weg zum Glück im Unternehmen führt nicht zwangsläufig über die Organisation, wie man vorschnell vermuten könnte. Die einfache Formel „flache Hierarchien erzeugen glücklichere Führungskräfte“ ist so nicht zu halten. Der entscheidende Faktor ist die herrschende Unternehmenskultur. Auch in einer hierarchischen Organisationsform kann es eine Vertrauenskultur geben, auch in formal extrem demokratischen Räumen kann diese komplett fehlen.

Das Glück entsteht also jenseits der Organisationsform. Es wird vielleicht durch die ein oder andere Formalie begünstigt oder begrenzt. Aber im Kern geht es um Kultur. Und Kultur ist zutiefst verbunden mit dem Potenzial jeder einzelnen Führungspersönlichkeit. In der Identifikation und Entwicklung von Potenzial liegt, wenn man so will, die eigentliche Glücksformel.

Glück, Potenzial und Führungskräfteentwicklung

Menschen fühlen sich in Unternehmen dann wohl und können dort zu glücklichen Mitarbeitern werden, wenn sie sich gemäß ihres Potenzials eigenverantwortlich entfalten und ganzheitlich einbringen können. Es geht um Vertrauen und Gestaltungsfreiheit, um Autonomie und Kreativität, darum, einen Zusammenklang zu finden von unternehmerischen Zielen und persönlichen Motivationen. Insofern weist das Thema Glück über Potenzial hinaus in die Führungskräfteentwicklung jeder Unternehmung.

Eine Organisation, die davon überzeugt ist, dass eine Herausforderung nicht einfach nur gemeistert, ein Job nicht einfach nur erledigt werden sollte, sondern dass dafür ein Mensch gefunden werden muss, der Kompetenz, Potenzial und Motivation für genau diese Aufgabe mitbringt, wird ohne Zweifel erfolgreicher sein. Eine solche Organisation schafft für ihre besten Führungspersönlichkeiten Raum, damit diese sich entfalten können. Das tut ihnen gut und der Firma ebenso. Insofern spielt auch die Organisationsform eine Rolle, aber sie ist dem Potenzial und der Führungskräfteentwicklung quasi untergeordnet und muss darum äußerst agil sein.

Wo Kompetenz, Potenzial und Motivation mit der richtigen Herausforderung zusammenkommen, kann Glück entstehen. Selbstverständlich sprechen wir hier „nur“ von der beruflichen Perspektive und würden uns nicht anmaßen, das menschliche Glück, das sich in Beziehungen und Familien realisiert, dagegen aufzuwiegen. Aber jeder von uns weiß, wie entscheidend, auch für das wirklich private Leben, eine erfüllende berufliche Tätigkeit sein kann.

Warum wir in der Zukunft mehr Glück brauchen

In Zeiten, in denen weltweit um die besten Köpfe gekämpft wird, trägt der Faktor Glück auch zu einem „Employer Branding“ bei, das in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Denn die Generation Y stellt an ihr berufliches Umfeld hohe Ansprüche, die von ihrer Nachfolgerin, der Generation Z, noch einmal gesteigert werden. Diese neuen Eliten erwarten ganz automatisch einen ganzheitlichen Ansatz und Firmen, die ihnen ein berufliches Umfeld bieten, in dem Glück möglich ist.

Die Steuerungsgröße Glück ist für Unternehmen heute noch ein ungewohnter und ungewöhnlich anmutender Faktor. Doch die eindeutigen, empirisch nachweisbaren Ergebnisse der Forschung lassen Glück als Teil des Führungskonzeptes als eine große neue Chance für Unternehmen erscheinen, insbesondere in unsicheren, komplexen Situationen.

Wer lernt, das Wohlbefinden und das Glück als „Core Value“ und oberste Steuerungsgröße zu betrachten und hilft, die „Happiness Intelligence“ seiner Mitarbeiter zu steigern, schlägt einen Weg ein, der seinem Unternehmen langfristig den größeren und nachhaltigeren Erfolg sichert. Und dabei gilt für Unternehmen und Führungspersönlichkeiten gleichermaßen, was Erich Fromm einst gesagt hat: „Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung.“

Zu den Autoren:

Prof. Dr. Song Yan arbeitet als Psychologieprofessorin an der Jacobs University Bremen und widmet sich dort u.a. der Glücksforschung. Ihre Vorträge eröffnen nicht nur einen Blick auf die internationale Forschung zum Thema, sondern auch auf die Selbstverständlichkeit, mit der andere Kulturen an das Thema herangehen. Fragen des interkulturellen Managements gehören ebenso zum Aufgabenbereich der Wirtschafts- und Organisationspsychologin. In dieser Funktion berät sie darüber hinaus Unternehmen und Organisationen, die global tätig sind – mit besonderem Schwerpunkt auf ihre Heimat China.

Dr. Carsten Wundrack startete seine Karriere im Finanzbereich und kennt seit Beginn seiner Laufbahn den Fokus auf den „Shareholder Value“. Heute ist er überzeugt, dass Unternehmen mehr brauchen als die reine Ausrichtung an immer mehr KPIs. Der passionierte Personalberater leitet bei Egon Zehnder die europäische Chemie-Praxisgruppe und den China Desk.

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