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»Ich habe kein Talent zur Frustration.«

Im Gespräch mit Helga Rabl-Stadler

  • Mai 2018
Jeden Sommer wandelt sich die 150.000-Einwohner-Stadt Salzburg zum Hotspot. Die Salzburger Festspiele sind ein Festival von höchster künstlerischer Qualität. Geboten werden mehr als 200 Veranstaltungen aus Oper, Schauspiel und Konzert. Ein solches Programm jedes Jahr aufs Neue auf die Beine zu stellen, zu vermarkten, Sponsoren zu gewinnen und die gesamte Veranstaltung zu managen, ist ein lustvoller Kraftakt, den die Juristin Helga Rabl-Stadler schon seit über 20 Jahren mit Bravour bewältigt. Die Präsidentin der Salzburger Festspiele hat ein Gespür dafür, wie man aus dem alljährlichen Zusammentreffen von Künstlern, Unternehmensführern, Spitzenpolitikern, Wissenschaftlern und Klassik-Fans ein Epizentrum des Besonderen macht. Die Gründungsidee der Festspiele hat sie dabei nie aus den Augen verloren: Es geht darum, über künstlerische Darbietungen gesellschaftlichen Diskurs anzustoßen. Im Interview mit Egon Zehnder spricht sie über die Führungserfahrungen in ihrer Karriere, darüber, wie sie mit Niederlagen umgegangen ist, den Wert von Kunst und Kultur und warum es einmalig ist, Musik live zu erleben.

Egon Zehnder: Die letzte Festspielsaison war fulminant, Programm und Darbietung sind von der Kritik überaus gelobt worden. Sind Sie zufrieden?

Helga Rabl-Stadler: Nach so einer herrlichen Saison ist man gerne Präsidentin. Der Erfolg ist keineswegs garantiert, denn manchmal überzeugen Ideen nur auf dem Papier. Aber im vergangenen Jahr sind alle Hoffnungen übererfüllt worden.

Egon Zehnder: Wie erklären Sie sich das?

Helga Rabl-Stadler: Vor 100 Jahren befand sich die Welt mitten im Ersten Weltkrieg. Damals appellierte Regisseur Max Reinhardt an den Kaiser von Österreich, Festspiele in Salzburg als erstes Friedensprojekt zu ermöglichen. Diesem Gründungsauftrag, Kunst und Kultur als Friedensprojekt, sind wir jedes Jahr aufs Neue verpflichtet: So haben wir 2017 die Themen Macht und Gegenmacht, Verzeihen und Vergeben in den Mittelpunkt gestellt und verschiedenste Sichtweisen angeboten, damit das Publikum sich damit auseinandersetzen kann. Die Menschen haben das angenommen. Sie waren glücklich darüber, so schien es mir, mitdenken zu dürfen, nicht zu müssen. Viele Unternehmensführer haben mir gesagt: Ich habe nach der Aufführung nicht schlafen können. Wir haben die ganze Nacht darüber gesprochen. Menschen zum Diskutieren zu bringen, das ist der eigentliche Erfolg. Kunst soll Fragen aufwerfen. Leider leben wir in einer Welt der vorschnellen Antworten.

Egon Zehnder: Wer steht hinter diesem Erfolg?

Helga Rabl-Stadler: Es ist das Werk von 3.000 Mitarbeitern. Wir haben es alle gemeinsam erreicht. Das Wort »gemeinsam« ist mir auch in Bezug auf unser Direktorium sehr wichtig. Denn es besteht aus drei Menschen: unserem Intendanten Markus Hinterhäuser, dem neuen kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz und der – jetzt sagen Sie ja nicht »alten«, sondern bewährten – Präsidentin. Wir haben damit eine gute Mischung aus frischem Wind und Kontinuität.

Egon Zehnder: Wo liegen denn die Herausforderungen in so einem dreiköpfigen Spitzenteam?

Helga Rabl-Stadler: Jeder hat unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir das gemeinsame Ziel, die besten Festspiele der Welt zu machen, erreichen wollen. Verantwortlich sind am Ende aber alle drei für alles. Der Intendant kann nicht sagen: Tut uns leid, dass wir so ein Defizit gemacht haben. Ich bin nur für die Kunst zuständig. Und ich kann nicht sagen: Tut mir leid, dass wir ein langweiliges Programm ausgewählt haben, ich bin nur fürs Geld verantwortlich. Selbstverständlich gibt es da auch Konflikte. Wir ringen um Entscheidungen. Das verlangsamt den Prozess, weil man jeweils die beiden anderen überzeugen muss. Dafür sind die Ergebnisse aber durchdachter und halten daher besser. Das stärkt letztlich die eigene Arbeit: Wählt der Intendant die richtigen Künstler aus, fällt es mir leichter, gute Sponsoren zu gewinnen.

Egon Zehnder: Sie haben unterschiedlichste Organisationen mit Erfolg geleitet – was haben Sie dabei gelernt?

Helga Rabl-Stadler: Es stimmt, dass ich in vielen Kontexten tätig sein konnte: Ich war Journalistin, Abgeordnete im österreichischen Parlament, Managerin in der Modebranche und Wirtschaftskammerpräsidentin. Zwei Leitmotive gab und gibt es für mich. Ich will die Marke, den Kern dessen stärken, was das jeweilige Unternehmen, die jeweilige Organisation ausmacht. Ich habe mir stets die Frage gestellt, was in diesem Sinne meine Aufgabe ist, und zweitens, ganz wichtig, ich habe kein Talent zur Frustration. Bei Samuel Beckett heißt es: scheitern, scheitern, besser scheitern. Ich würde es positiver formulieren: probieren, probieren, nochmals probieren. Viele lassen sich zu früh von einer Idee abbringen, die sie als richtig erkannt haben. Auch hier kann man von den Künstlerinnen und Künstlern viel lernen: Sie versuchen, das durchzusetzen, woran sie glauben, und fallen nicht beim ersten Gegenwind um.

Egon Zehnder: Sie mussten also Ihren Führungsstil nicht jedes Mal anpassen?

Helga Rabl-Stadler: Das einmal als richtig und auch als erfolgbringend erkannte Führungsmodell bleibt immer dasselbe: zuhören, aufnehmen, was diejenigen sagen, die sich in der Materie auskennen. Prüfen, was davon zum Kern, zur Marke passt und dann geeignete Maßnahmen finden und durchsetzen. Zu viele wollen heute ein schwaches Produkt mit starkem Marketing zum Erfolg bringen. Das ist grundfalsch. Das Produkt muss stimmen, dann kann und muss Marketing den Erfolg stärken.

Egon Zehnder: Das hört sich einfach an ...

Helga Rabl-Stadler: Ist es aber nicht. Gerade im Kunst- und Kulturbereich gibt es wenig Gesprächskultur, aber viel Intrige und Gerüchtemacherei. Die Zeit im österreichischen Parlament war geradezu human im Vergleich zu dem, was man im Kulturbereich zuweilen erlebt. Mein Vater war als ORF-Intendant sehr erfolgreich. Er brauchte immer jemanden, an dem er sich reiben konnte und hielt es auch aus, wenn andere sich an ihm rieben. Er warf mir vor, ich sei harmoniesüchtig. Das stimmt absolut nicht. Aber manche sind im Konflikt am besten, andere in der Harmonie. Ich gehöre zur zweiten Kategorie. Daher versuche ich, in den Betrieben, die ich führe, ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Unterstützung zu kreieren. In 23 Jahren Geschäftsführung habe ich noch nie einen Mitarbeiter angeschrien. Um meine Ziele zu erreichen, brauchte ich nicht andere kleinzumachen.

Egon Zehnder: Was hat Sie an der Aufgabe der Festspielpräsidentin gereizt?

Helga Rabl-Stadler: Für mich als gebürtige Salzburgerin ist Festspielpräsidentin das wichtigste Amt der Welt. Die Festspiele haben mein Leben seit jeher geprägt: Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie, das heißt, auch der ökonomische Wert der Festspiele war mir bewusst. Und ich habe erlebt, wie diese Stadt in der Festspielzeit jedes Mal eine völlig andere wird. Wie schon Hugo von Hofmannsthal gesagt hat: Die Salzburger Festspiele sind keine Angelegenheit einer kleinen Provinzstadt, sondern eine europäische Angelegenheit mit ungeheuren künstlerischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen. Kaum beginnen die Proben, werden wir vom Provinzstädtchen zum internationalen Hotspot. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.

Egon Zehnder: Sie haben dieses Amt zielstrebig anvisiert, nicht wahr?

Helga Rabl-Stadler: Ich habe gehofft, dass ich es kann und gewusst, dass ich es will. Und ich konnte mich auf Bildung und Ausbildung verlassen. Allgemeinbildung ist für mich ein Muss, wenn man Verantwortung im Management übernehmen will – Spezialistentum haben wir schon genug. Die vielen verschiedenen Stationen meiner Karriere haben mir geholfen, einen sehr breiten Schatz an Erfahrungen anzusammeln: Das fing schon im Jurastudium an mit der Erkenntnis, dass im Leben Recht und Gerechtigkeit leider nicht immer deckungsgleich sind. Journalistin war mein Traumberuf. Dabei lernte ich, schnell zum Punkt zu kommen. Prägnant zu formulieren, ist im Zeitalter von Twitter noch wichtiger geworden. Einen gemeinsamen Nenner für widerstreitende Positionen zu finden, war eine Fähigkeit, die in meiner Funktion als Wirtschaftskammerpräsidentin im Vordergrund stand. Ich musste vom Einzelhändler, der eine einzige Angestellte hatte, bis zum Industriellen, der tausende Angestellte führte, alle vertreten. Da ist ein gemeinsamer Nenner oft schwierig, manchmal auch nicht möglich.

Egon Zehnder: Welche Haltung hat sich dabei bewährt?

Helga Rabl-Stadler: Im Parlament habe ich die Erfahrung gemacht, dass man jeden (Gegner) im Leben noch einmal trifft. Jemanden persönlich zu beleidigen, ist moralisch falsch und wirkt auch im beruflichen Leben wie ein Bumerang. Auch in meiner Tätigkeit als Unternehmerin hat sich das bestätigt. Ganz pragmatisch gesehen, es kann sein, dass dieselbe Person plötzlich Kunde oder Zulieferer wird.

Egon Zehnder: Was haben Sie mitgebracht, als Sie vor über 20 Jahren Präsidentin wurden? Und gab es etwas, das Ihnen noch fehlte?

Helga Rabl-Stadler: Ich habe kein musikalisches Fachwissen mitgebracht – sondern bin in diesem Punkt als Amateurin hineingegangen. Als ich nominiert wurde, sagten einige: »Die ist doch keine Musikerin! Wieso darf die das?«, so als hätte ich mich als Intendantin, nicht als Präsidentin beworben. Eine Institution wie die Festspiele braucht eine gute Arbeitsteilung, wirtschaftliche Expertise genauso wie künstlerische. Meine Aufgabe ist es nicht, mit dem Intendanten in künstlerische Konkurrenz zu treten, sondern Geld für eine von uns gemeinsam vertretene Idee aufzubringen. Da konnte ich schon an meine Erfahrungen als Unternehmerin anknüpfen. Das galt und gilt auch im Blick auf den »Kunden«. »Der Wurm muss dem Fisch und nicht dem Angler schmecken« lautet eine alte Kaufmannsweisheit. In der Kultur hingegen wird oft ein Programm gemacht, um andere zu beeindrucken, aber nicht, um das Publikum mitzunehmen.

Vergrabe dich nicht, wenn du ein Problem hast, sondern besprich es mit Vertrauten, denn wenn du nicht einmal fähig bist, es auszudrücken, wie sollst du es dann lösen?

Egon Zehnder: Die Teilung zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Leitung wurde Ihnen einmal fast zum Verhängnis …

Helga Rabl-Stadler: Ja, einer meiner frühen Unterstützer, ohne Übertreibung einer der Großen des 20. Jahrhunderts, entpuppte sich auch als Machtmensch. Im Festspielgesetz heißt es, der Präsident hat die künstlerische und organisatorische Leitung der Festspiele. Das habe ich nie angestrebt, das habe ich nie gelebt, das passt so nicht in die heutige Zeit. Er jedoch wollte dies für sich und mich loswerden. Auf diesen politisch motivierten Coup-Versuch war ich überhaupt nicht vorbereitet.

Egon Zehnder: Was haben Sie getan?

Helga Rabl-Stadler: Ich habe mit niemandem über meine Ängste gesprochen, weder mit meiner Familie, noch mit Freunden. Das war ein Fehler. Ich habe mich vergraben in meinem Unglück. Ich wollte mich nicht hinstellen und den Leuten sagen: Seht ihr nicht, was passiert? Da will mich jemand killen, obwohl ich in mehreren Jahren Präsidentschaft gute Arbeit geleistet habe. Die Erkenntnis, dass mich dennoch jemand loswerden wollte, war schmerzlich.

Egon Zehnder: Welchen Rat würden Sie anderen geben, die in einer ähnlichen Situation sind?

Helga Rabl-Stadler: Vergrabe dich nicht, wenn du ein Problem hast, sondern besprich es mit Vertrauten, denn wenn du nicht einmal fähig bist, es auszudrücken, wie sollst du es dann lösen?

Egon Zehnder: Haben Sie nicht mit dem Gedanken gespielt, das Feld zu räumen?

Helga Rabl-Stadler: Nein. Ein Rücktritt kam für mich nie infrage. Ich wusste, dass die Salzburger Festspiele eine Konstante brauchen. Der Glaube an die Sache hat mir Kraft gegeben.

Egon Zehnder: Welche Relevanz hatte es für Ihre Erfolge oder Misserfolge, dass Sie eine Frau sind?

Helga Rabl-Stadler: Leider habe ich erlebt, dass unser Geschlecht für uns Frauen noch immer ein Karrierehemmnis ist. Daher bin ich mittlerweile zur überzeugten Anhängerin der Quote geworden. Ich wurde 1985 Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Salzburg, weil ich eine Frau war – weibliche Dekoration war plötzlich Mode. Aber ich wurde 1988 Präsidentin der Wirtschaftskammer, obwohl ich eine Frau war (denn eine Frau an der Spitze wollten die meisten dann doch nicht). Und auch, dass ich als erste Frau Präsidentin der Festspiele wurde, hat vielen nicht gefallen.

Egon Zehnder: Wie gehen Sie auf Frauen zu, die ihre Karrieren noch vor sich haben?

Helga Rabl-Stadler: Als Mutmacherin, damit qualifizierte Frauen sagen: »Ich will das, ich kann das!« Hier sind Frauen oft noch viel zu zurückhaltend. Selbstbewusstsein ist wichtig und hat nichts mit Überheblichkeit zu tun.

Egon Zehnder: Der Wandel ist ein immerwährendes Thema – auch in einem Kunstbetrieb. Wie gehen Sie damit um?

Helga Rabl-Stadler: Wenn man 23 Jahre ein Unternehmen führt, erlebt man von außen viele Veränderungen. Dem kann man nur begegnen mit dem Willen zu gestalten, mit der Freude an Veränderung. Gerade in einem so erfolgreichen Betrieb wie den Festspielen gibt es natürlich auch Menschen, die sagen: »Wir sind die erfolgreichsten Festspiele der Welt, warum müssen wir jetzt einen neuen Kollektivvertrag haben? Warum ist es jetzt plötzlich nötig, dass wir bilanzieren, Rückstellungen machen und nicht das alte System der Kameralistik beibehalten, nur Einnahmen und Ausgaben?« Für jeden Betrieb gilt aber: Nur der überlebt, der sich stets wandelt. Und für jeden Menschen gilt, lebenslanges Lernen ist die einzige Möglichkeit für ein sinnerfülltes Leben. Wichtig für mich ist, immer die positiven Aspekte des Wandels zu sehen. Der Österreicher neigt dazu, im Wandel nur die Gefahr der Änderung zum Schlechten zu sehen und nicht auch die Möglichkeit der Änderung zum Besseren.

Egon Zehnder: Gilt das auch für die Digitalisierung?

Helga Rabl-Stadler: Viele haben befürchtet, mit den digitalen Möglichkeiten wie Streaming und Musik-Downloads würde sich niemand mehr die Mühe machen, zu den Festspielen zu pilgern. Das Gegenteil ist der Fall. Das Live-Erlebnis wird immer wichtiger. Die Salzburger Festspiele haben 97 Prozent Auslastung, 260.000 Menschen waren im Sommer hier.

Egon Zehnder: Also zurück in die Konzertsäle?

Helga Rabl-Stadler: Ja, und in die Opernhäuser, aber auch in die Stadien. Musik ist live einfach unvergleichbar. Ich habe im vergangenen Jahr in München ein Rolling Stones Konzert besucht, weil ich sehen wollte, ob sie mir noch so gut gefallen wie früher. Ich war überwältigt.

Egon Zehnder: Die Festspiele feiern 2020 ihr 100-jähriges Jubiläum – wie gehen Sie das an?

Helga Rabl-Stadler: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Festspiele ihre Raison d'Être, die Rechtfertigung ihrer Existenz, jedes Jahr aufs Neue beweisen müssen. Also kein Jubiläum, mit dem wir unsere ruhmreiche Vergangenheit feiern, sondern eines, mit dem wir aufzeigen, dass die Festspiele auch im nächsten Jahrhundert einen wichtigen Beitrag zu Kultur- und Geistesleben erbringen wollen und können. Wie sagt Markus Hinterhäuser so richtig: »Festspiele müssen ein Epizentrum des Besonderen sein, keine bloße Aneinanderreihung von Events.« Gerade in der Kunst ist Innovation oder auch der neue Blick auf Bekanntes besonders wichtig. Wir fangen jede Saison wieder quasi von Null an, budgetär wie programmatisch. Dadurch sind wir ständig unter Hochspannung. Mit ständig neuen Fragestellungen wollen wir zum Mitdenken, zum Mitfühlen anregen.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir nur überleben können, wenn wir beweglich bleiben! Für mich ist lebenslanges Lernen die einzige Möglichkeit für ein sinnerfülltes Leben. Wichtig ist für mich, immer die positiven Aspekte des Wandels zu sehen.

Egon Zehnder: Jedes Unternehmen steht in der Verantwortung – welche Verantwortung haben die Festspiele?

Helga Rabl-Stadler: Die Festspiele haben von Anfang an eine doppelte Verantwortung getragen, eine künstlerische und eine ökonomische. Künstlerisch: Laut Hugo von Hofmannsthal »Oper und Theater von beidem das Höchste«, in die heutige Sprache übersetzt, »das Beste«. Qualität als Programm. Und ökonomisch: Schon Max Reinhardt versuchte mit Erfolg, den Salzburger Landeshauptmann für die Festspiel-Idee zu begeistern, indem er auf die großen wirtschaftlichen Vorteile des Kulturtourismus hinwies. Dass die Festspiele einmal der ökonomische Motor von Stadt und Land Salzburg mit Auswirkungen auf ganz Österreich werden würden, wagte allerdings auch der Theatermagier Reinhardt nicht zu hoffen.

Und eine dritte Verantwortung ist mir auch ganz wichtig. Mit dem öffentlichen und privaten Geld sorgsam umzugehen. »Freiheit der Kunst« meint sicher nicht lockeren Umgang mit dem Geld. Maximale künstlerische Ergebnisse bei sparsamstem Mitteleinsatz. Dafür braucht man nicht unbedingt eine Compliance-Abteilung, da genügt der gesunde Menschenverstand oder, wie ich ihn nenne, »Hausverstand«. Ich finde es schockierend, dass am Anfang von Compliance-Vorschriften immer steht, man hat die Gesetze einzuhalten und darf den Betrieb nicht schädigen. Das sind lauter Selbstverständlichkeiten, und in Wahrheit werden die Leute damit mehr verunsichert als bestärkt.

Egon Zehnder: Ihr Enthusiasmus und Ihre Leistungsbereitschaft sind immer gleich geblieben. Woher nehmen Sie Ihre Energie?

Helga Rabl-Stadler: »Du bist ein Kind des Glücks, dass du das gestalten darfst«, hat mein Vater immer gesagt. Er hatte Recht. Aus dieser Freude am Gestalten schöpfe ich viel Energie. An der Spitze eines Weltunternehmens zu stehen, ist ein Privileg. Dessen muss man sich würdig erweisen. Da kann und will ich mich nicht auf Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Da muss und will ich an der Zukunftssicherung dieser wunderbaren Festspiele arbeiten. Dass 2020 die Festspiele 100 Jahre jung werden und ich ein Viertel dieses Jahrhunderts mitgestalten durfte, erfüllt mich mit einem großen Glücksgefühl, nicht mit Stolz. Ich hasse den Begriff »stolz auf etwas sein«, denn das klingt so nach satter Selbstzufriedenheit. Und das ist sicher nicht das Gefühl, aus dem man Neues schafft.

Egon Zehnder: Frau Rabl-Stadler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Kurzbiografie

Helga Rabl-Stadler ist mit Leib und Seele Salzburgerin. Schon seit 1995 steht sie an der Spitze der Salzburger Festspiele, ihr »Engagement« läuft noch mindestens bis 2020. Ihre Leidenschaft, die unterschiedlichsten Menschen zu einem konstruktiven Diskurs zusammenzubringen, zieht sich durch ihre gesamte Karriere: Zuvor stand sie der Wirtschaftskammer Salzburg vor und vertrat die Österreichische Volkspartei (ÖVP) im Parlament. Die promovierte Juristin studierte außerdem Publizistik und Politikwissenschaften und leitete über 20 Jahre lang einen Familienbetrieb in der Textilbranche. Begonnen hat sie ihre berufliche Laufbahn als politische Journalistin.

 

Interview: Egon Zehnder ∙ Fotos:  Freunde von Freunden / FvF Productions

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