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Zusammen mit Forscherkollegen untersucht der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Howard Gardner seit mehr als einem Jahrzehnt, was gute Arbeit ausmacht. Nur dort, wo die drei Dimensionen Exzellenz, Engagement und Ethik zusammen verwirklicht sind, so Gardners These, wird Arbeit getan, die befriedigt und Sinn stiftet – für den, der sie leistet, und für die Gesellschaft, die davon profitiert. Von Howard Gardner
SEIT DER VERTREIBUNG aus dem Paradies ist die Menschheit dazu verdammt, ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts zu verdienen. Viele Jahrhunderte lang bedeutete Arbeit für den Großteil der Menschheit harte körperliche Anstrengung. Heute ist Arbeit nicht nur eine Last, sie kann auch eine Lust sein. Sie gibt unserem Leben Sinn und Struktur, hilft uns, unseren Platz in der Gesellschaft zu finden oder gar zu verbessern. Wenn Arbeit allerdings nur als Job und monetäre Quelle zur Erfüllung materieller Wünsche verstanden wird, dann verpflichten wir uns nur zur Ausführung dessen, was laut Arbeitsplatzbeschreibung von uns erwartet wird – nicht zu mehr.
Zunehmend aber dreht sich das moderne Leben um Arbeit, die wir gern tun, in der wir Erfüllung finden und die wir – aus persönlichen wie externen Gründen – gut machen wollen. Denn gute Arbeit fühlt sich gut an. Wir gehen dabei in unseren Aufgaben auf. Selbst große Belastungen gehen uns leicht von der Hand. Und die Ergebnisse überzeugen nicht nur uns, sondern auch andere. Aber was genau macht gute Arbeit aus, unterscheidet sie von Durchschnittsleistungen?
Das GoodWork Project
Mitte der neunziger Jahre verbrachte ich ein Studienjahr am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences (CASBS) in Palo Alto in Kalifornien. Dort traf ich zufällig auf meine Forscherkollegen Mihaly Csikszentmihalyi und William Damon. Wir hatten noch nie zusammengearbeitet, obwohl wir uns alle drei aus verschiedenen Perspektiven mit dem Phänomen menschlicher Kreativität beschäftigten. Nun entstand die Idee, gemeinsam zu untersuchen, was eigentlich gute Arbeit ausmacht.
Anfangs wollten wir verstehen, ob und – wenn ja – wie man gleichzeitig kreativ sein und menschlich verantwortungsvoll handeln kann. Gerade den kreativsten Wissenschaftlern und Künstlern wird ja oft vorgeworfen, sie betrieben ihr Geschäft selbstsüchtig, überehrgeizig und ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Folgewirkungen. Daraus entwickelte sich im Laufe unserer Überlegungen das GoodWork Project – eine empirische Untersuchung von neun verschiedenen Berufen, die unter anderem Lehrer, Künstler, Wissenschaftler, Mediziner, Juristen und Journalisten umfasste und die sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckte. Auf die Ingredienzien guter Arbeit hatten wir uns schnell verständigt. Wir nannten sie die drei großen E – Exzellenz, Engagement und Ethik. Nur dort, wo diese drei Faktoren in einem ausgewogenen Verhältnis auftreten, so unsere Überzeugung, wird wirklich gute Arbeit geleistet.
Die zentrale Frage dabei allerdings ist: Wie können Persönlichkeiten, die bereit sind, gute Arbeit zu leisten – Arbeit, die fachlich exzellent ist, persönlich fesselnd und ethisch verantwortungsbewusst –, erfolgreich agieren in einer Zeit, in der sich alles ständig und in hohem Tempo verändert. Moderne Technologien haben unser Gefühl für Zeit und Raum dramatisch verändert. Die Macht der Märkte ist gewaltig gewachsen, und es gibt heute kaum noch oder keine Faktoren ideologischer oder gesellschaftlicher Art, die die globalen Märkte lenken, ändern oder beeinflussen könnten.
Eine persönliche Entscheidung
Als wir uns in den neunziger Jahren erstmals unsere zentrale Forschungsfrage stellten, ahnten wir nicht, wie zukunftsweisend sie war. Heute, nach dem Platzen der Internet-Blase 2000 und angesichts der aktuellen weltweiten Krise der Finanzmärkte, müssen wir alle erkennen, wie gefährlich es ist, wenn das Modell des „freien Marktes“ alle anderen Sichtweisen sowohl auf die menschliche Natur als auch auf die Wirtschaft übertrumpft.
Doch es gibt auch ermutigende Erkenntnisse. Eine der wichtigsten: Gute Arbeit ist auch in turbulenten Zeiten möglich, denn sie beruht immer auf einer individuellen Entscheidung. Man kann exzellente Arbeit mit großer Passion und hohen moralischen Maßstäben leisten, auch wenn alle anderen im eigenen Umfeld das nicht tun. Umgekehrt hindert ein positives Umfeld niemanden daran, sich schlampig, rücksichtslos, unengagiert und moralisch bedenklich zu verhalten.
Zweitens ist gute Arbeit leichter zu leisten, wenn die jeweilige Profession eindeutig ausgerichtet ist, das heißt, wenn alle wichtigen Stakeholder ähnliche Erwartungen in Bezug auf die Zielsetzung haben. So ein Umfeld fanden wir zum Beispiel bei Genforschern in den USA vor, wo alle Beteiligten sich von erfolgreicher Wissenschaft die Heilung bisher tödlicher Krankheiten, eine bessere Gesundheit und ein längeres Leben erwarten. Alle von uns interviewten Genetiker waren hochmotiviert. In scharfem Gegensatz dazu steht etwa die Medienlandschaft, wo die Interessen von Journalisten, Redakteuren, Verlegern, Anzeigenkunden, Investoren und Lesern oft diametral entgegengesetzt sind. In der Konsequenz wollte rund ein Drittel der Journalisten, mit denen wir sprachen, den Beruf wechseln.
Harmonische Balance
Ethik und Moral sind unverzichtbare Bestandteile guter Arbeit. Eine ethisch denkende Persönlichkeit wird sich immer fragen: Welche Verantwortung trage ich in dieser Rolle? Es ist einfach, verantwortlich zu handeln, wenn es auch den eigenen Interessen dient. Der Lackmustest verantwortungsbewussten Handelns ist es aber, das Richtige zu tun, wenn es dem Eigennutz widerspricht. Ein Rücktritt von einer Führungsposition, der man nicht gerecht geworden ist, oder der Verzicht auf einen Bonus könnten so eine Haltung ausdrücken.
Wenn die Grundprinzipien guter Arbeit – Exzellenz, Engagement und Ethik – in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen, so führt das nach meiner Überzeugung zu einem persönlich erfüllenden und sozial geachteten Leben. Doch diese Balance ist kaum je vollkommen zu erreichen, sondern jeder sollte sich bemühen, sie immer wieder herzustellen. Die Herausforderung des GoodWork-Konzepts ist es, alle drei E gleichermaßen lebendig zu erhalten, also nicht nur fachlich Hervorragendes zu leisten oder sich zu engagieren, sondern alle Dimensionen einschließlich eines ethischen Verhaltens zu berücksichtigen. Dazu bedarf es ständiger Nachjustierungen, denn niemand handelt immer ethisch vollkommen. Aber eine moralisch verantwortungsvolle Persönlichkeit reflektiert ihre Fehler, lernt aus ihnen und unternimmt alles, um beim nächsten Mal rechtzeitig den Kurs zu korrigieren. Das gilt vor allem für Führungskräfte.
Dabei ist es nicht leicht, gerade in Zeiten schneller Veränderungen, wie wir sie augenblicklich erleben, ständig gute Arbeit im eben beschriebenen Sinn zu leisten. Dazu bedarf es meiner Meinung nach eines gefestigten persönlichen Moral- und Wertkodexes, von dem man sich auch unter Druck und widrigen Umständen nicht abbringen lässt. Niemand sollte sich dabei allerdings nur auf das eigene Urteilsvermögen verlassen, sondern auch auf Freunde, Kollegen und Kritiker hören, um sich nicht selbst zu täuschen.
Für die Führungskräfte der Wirtschaft bedeutet dies nach Meinung vieler Experten, dass sie nicht in erster Linie ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen sollten, sondern die des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Ein guter Executive handelt seinen Worten entsprechend, ohne eine zu hohe Aufmerksamkeit für die eigene Person einzufordern. Persönliche Bescheidenheit ist in diesem Zusammenhang eine wichtige charakterliche Qualität. Gleichzeitig braucht es ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und die Fähigkeit, schnell und entschieden zu handeln, wenn es schwierig wird. Studien des Organisationsexperten Warren Bennis und anderer weisen darauf hin, dass solche persönlichen Eigenschaften von Führungskräften sich offenbar besonders dann herausbilden, wenn die Betreffenden früh in ihrer Karriere in eine Krisensituation geraten sind, diese gemeistert und daraus gelernt haben. Entscheidende Wirkung scheint auch die Atmosphäre in der ersten wichtigen Karriereposition von Führungskräften zu haben. Wenn dort nur schwammige ethische Botschaften vermittelt wurden, prägt diese zweifelhafte Erfahrung offenbar das moralische Verhalten für das gesamte Berufsleben.
Widersprüche in Einklang bringen
Es mag sich die Frage stellen, ob ein Unternehmen überhaupt das Ziel ständigen profitablen Wachstums realisieren kann, wenn seine Manager nicht wenigstens tendenziell zu Gier und Rücksichtslosigkeit neigen, ja, ob sie dies nicht sogar müssen. Benjamin Heineman Jr. war viele Jahre Rechtsberater für General Electric. Er überwachte dort mehr als 1000 Juristen. In dem kürzlich veröffentlichten Buch „High Performance with High Integrity“ zeigt Heineman detailliert, dass und wie man Geschäftserfolg und einen ausgeprägten Sinn für Integrität miteinander vereinen kann.
Das ist nicht leicht und auch nicht immer erfolgreich. Aber nur, wenn sich jeder Einzelne und die Organisation insgesamt immer wieder darum bemühen, diese offensichtlich konträren Ziele zu kombinieren, wird das Unternehmen auf Dauer erfolgreich sein – nicht nur viele Tage lang, sondern viele Dekaden.
Fraglos sind in den vergangenen ein oder zwei Jahrzehnten junge Führungskräfte bewusst oder unbewusst zu Gier und Rücksichtslosigkeit erzogen worden, insbesondere im angelsächsischen Raum. Dazu hat auch eine Politik beigetragen, die die Macht des Marktes glorifiziert hat. Wir haben zum Beispiel Collegestudenten einen Spielfilm über den Fall Enron gezeigt. Unsere Studenten fanden am Tun der Enron-Händler überhaupt nichts Verwerfliches; selbst als diese massiv die Energiepreise manipulierten. Diese verbreitete Verantwortungslosigkeit zeigt, dass wir einen langen Weg vor uns haben, um angehenden Executives einen ethischeren Verhaltenskodex zu vermitteln.
Aber es gibt Ansätze zur Veränderung. Wir haben festgestellt, dass junge Führungskräfte – Frauen und Männer – sich zunehmend Gedanken über ein ausbalanciertes Leben machen. Zudem könnte die derzeitige Kernschmelze im Finanzsektor mit ihren katastrophalen Folgen für die gesamte Weltwirtschaft auch dazu führen, dass immer mehr Menschen die Art, wie in der Vergangenheit manche Unternehmen geführt worden sind, kritisch beurteilen und künftig anders arbeiten und leben wollen. So hätte denn die Krise auch ihr Gutes.
Howard Gardner
Howard Gardner, Jahrgang 1943, ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Harvard Graduate School of Education, außerordentlicher Professor für Psychologie an der Harvard University und außerordentlicher Professor für Neurologie an der Boston University School of Medicine. Gardner ist mit seiner Theorie der vielfältigen Intelligenzen bekannt geworden, die die Auffassung kritisiert, es gäbe nur eine einzige Form von Intelligenz. Zudem beschäftigte er sich mit Fragen der Neuroethik. Mitte der neunziger Jahre initiierte Gardner zusammen mit Mihaly Csikszentmihalyi und William Damon das GoodWork Projekt. Die Ergebnisse erschienen in „Good Work – When Excellence and Ethics Meet“ und „Responsibility at Work – How Leading Professionals Act (or Don’t Act) Responsibly“. Heute arbeitet Gardner vor allem mit Schülern und College-Studenten, die er zum Nachdenken über die Ingredienzien guter Arbeit anleitet. Dazu hat der Wissenschaftler das GoodWork Toolkit entwickelt.
Die Arbeiten der Düsseldorfer Fotokünstlerin Claudia Rogge (Jahrgang 1965) sind Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Masse und Individuum. Mitte Mai 2009 eröffnet im Museum of Modern Art Moskau eine erste groß angelegte Retrospektive ihres Werks.
FOTO: CLAUDIA ROGGE, COURTESY: GALERIE VOSS