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Beratung von Familienunternehmen

Ein Moment der Reflexion

Wie eine Familien-Governance entsteht

  • Mai 2021

Schon vor 250 Jahren schrieb Jean-Jacques Rousseau im Buch „Vom Gesellschaftsvertrag“: „Die Familie ist die älteste aller Gemeinschaften und die einzige natürliche.“ Familie ist das soziale Umfeld, das uns Menschen am stärksten prägt, unsere Werte definiert und uns Vorbild sein kann. Aber nicht nur persönlich zeigt sich der Stellenwert der Familie, sondern auch wirtschaftlich lässt sich die Bedeutung von Familie plakativ belegen: 2,4 Billionen Euro. So hoch ist der Gesamtumsatz, den in Deutschland die 5.000 größten Familienbetriebe im Jahr 2019 generiert haben. Zur Einordnung: Das Bruttoinlandsprodukt belief sich 2019 auf 3,4 Billionen Euro. Es wirkt nahezu wie ein Understatement, wenn Familienunternehmen hierzulande immer wieder als der treibende Motor des Mittelstands bezeichnet werden. Allein 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen werden in Deutschland von Familien geführt – und das schon seit Jahrzehnten. Statistisch gesehen liegt das Durchschnittsalter der erfolgreichsten Familienunternehmen bei 86 Jahren. Besonders traditionsreiche Unternehmen können sogar Jahrhunderte zurückblicken: Bis in das 15. Jahrhundert lassen sich Gründungen datieren.

Nur 30 Prozent aller Familienfirmen schaffen es in die zweite Generation

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Deutschlands Familienunternehmen auf eine Erfolgsgeschichte dieser Tragweite zurückschauen können: Nur 30 Prozent aller Familienunternehmen weltweit schaffen es nämlich bis in die zweite Generation. Zwölf Prozent der Gründungen bleiben bis in die dritte Generation geschäftsfähig und nur drei Prozent darüber hinaus. Die Gründe hierfür sind immer vielfältig, lassen sich in den meisten Fällen aber auf zwei entscheidende Komponenten zurückführen: Familie und Unternehmen. Diese Unterscheidung erscheint trivial und einleuchtend zugleich. Sie wird aber oft nicht vorgenommen. Denn tatsächlich zerbrechen Familienbetriebe meist dann, wenn Konflikte über unternehmerische Machtfragen innerhalb der Familie entstehen.

Eine der grundlegenden Herausforderungen eines jeden Familienunternehmens ist es, die Balance zwischen Familie und Unternehmen zu ergründen und zu stärken. Obwohl es sich bei beiden Konstrukten um soziale und ökonomische Systeme handelt, stimmen die Grundprinzipien, nach denen diese funktionieren, selten überein. Im System Familie haben Emotionen einen weitaus höheren Stellenwert, während im System Unternehmen faktenorientiertes Entscheiden im Vordergrund steht.

Vor Tatkraft und Ausdauer stehen Ruhe und Reflexion

Das Führen eines Familienunternehmens bedeutet also, zwei mitunter gegenläufige Systeme miteinander zu verbinden. In jedem Fall braucht es eine wegweisende Kultur, klare Vorgaben sowie Regeln, die Form geben und Prozesse abseits von emotionalen Beweggründen definieren. Damit eine solche Struktur und Kultur entstehen können, sind nicht nur Tatkraft und Ausdauer, sondern vor allem erst einmal Ruhe und Reflexion gefragt. Familienunternehmen sind typischerweise durch starke Gründerpersönlichkeiten geprägt. Oft nimmt das Familienoberhaupt eine Multifunktionsrolle im Unternehmen ein: Er ist CEO, Innovationsmotor, HR-Leitung und Finanzchef in einer Person. Vor allem aber steht er oder sie in einem aktiven und von unternehmerischer Tätigkeit geprägten Leben – und damit die gesamte Führungsmannschaft. Mit dem Erfolg entsteht auch Wachstum. Mit dem Wachstum reift die Erkenntnis, dass es auf Dauer „mehr braucht“. Oft fällt dann das Zauberwort der Governance. Klare, verbindliche Regeln sollen vorschreiben, wie das Unternehmen zu führen ist und besonders, wie Nachfolge und die Integration von externen Managerinnen und Managern gelingen kann.

Gemeinsamer Blick zurück und voraus dient der Familie und dem Unternehmen

Doch die Entwicklung einer Governance springt zu kurz, wenn sie sich ganz allein auf das Wer, Was und Wann von Entscheidungen fokussiert. Erfolgskritisch ist die sehr viel fundamentalere Frage: „Wofür sind wir da, und wofür stehen wir?“ Diese Besinnung, die sowohl einer Rückbesinnung als auch eines Blickes in die Zukunft bedarf, gilt genauso für die Familie wie für das Unternehmen. Sie erzeugt nicht selten Irritation. Verständlicherweise, denn sie zwingt die Familie dazu, das aktive Managen für einen Moment hintanzustellen und miteinander tiefgehend zu reflektieren. Dabei sind Antworten gefragt auf folgende Fragen: „Wohin steuern wir als Unternehmen?“, „Was wollen wir als Familie?“ und „Passt das überhaupt zueinander?“. Vielfach ist dies ein sehr emotionaler Moment, in dem unausgesprochene, lange vermiedene Konflikte an die Oberfläche kommen. Auch weil der Anlass des Austausches oft ein emotionaler ist: starkes Wachstum, verbunden mit der Sorge, ein Unternehmen in der Balance zu halten. Oder auch Krankheit, Alter sowie schwierige wirtschaftliche Situationen zwingen zum Umlenken und Nachdenken. Nicht selten ist es das ungeklärte Verhältnis zwischen dem Gründer oder der Gründerin und der nachfolgenden Generation, welches in Diskussionen starke Reibungen erzeugt: Auf der einen Seite die Juniorengeneration, die um ihre Freiheiten, Einflussnahme und neue Strukturen kämpft. Auf der anderen Seite die Seniorengeneration, die als „Hidden Force“ indirekt weiterregiert.

Konfliktbewältigung verbessert Governance

Wichtig ist, dass die Familie diesen Konflikt frühzeitig zu lösen versucht, ihn erst ausspricht und dauerhaft (durch-)lebt. Je mehr unausgesprochene und gegeneinanderstehende Haltungen und Einsichten auf den Tisch kommen – selbst wenn dies ein schmerzlicher Prozess ist –, umso besser kann die Governance werden. Im Idealfall entsteht sie im Übergang von der ersten auf die zweite Generation und enthält die Werte, die über Generationen wegweisend sein werden. Darum ist dieser Moment des Innehaltens so entscheidend, weil er ein verbindendes Leitbild schafft, das die tief verankerte Haltung einer Familie zeigt, die sich nicht ändert, selbst wenn sich Strategien und Geschäftsmodelle wandeln.

In den meisten Familien ist die reibungslose Führungsübergabe eine Mammutaufgabe

Die reibungslose Übergabe der Führung an eine Nachfolge ist in den meisten Fällen eine Mammutaufgabe. Das Innehalten ist in jedem Fall eine zwingende Voraussetzung. Der anschließende Diskussionsprozess kann zu einem Familienkodex führen oder zur Etablierung eines Familienrats. Mehr als solche konkreten Ergebnisse eröffnet der Prozess neue Strukturen, die mit Leben zu füllen sind, was mitunter ein noch anspruchsvollerer Prozess ist. Aber nur so wecken Familien und Familienunternehmen heilende Kräfte, die jeder Organisation innewohnen. Sie müssen an ihrer gegenwärtigen und künftigen Standortbestimmung hart arbeiten. Eine große Hilfe dabei, als Familie die richtigen Schritte zu identifizieren, ist ein tiefes Verständnis der verschiedenen Formen von Familienunternehmen. Die Autoren der „Family Gravity Studie“ des globalen Leadership Advisors Egon Zehnder haben vier Archetypen von Familienunternehmen bestimmt: „Personality-driven Families“ mit markanten Unternehmerpersönlichkeiten, „Flourishing Families“ mit starkem Fokus auf der nächsten Unternehmergeneration, geschäftsgetriebene „Business first Families“ sowie „Fading Families“ mit schwindenden Unternehmenswerten.

Die Essenz des Mythos

Ganz gleich, um welchen der vier Typen es sich handelt: Die neuen Strukturen sind von der gesamten Familie zu tragen und schriftlich zu fixieren, transparent zu kommunizieren sowie verbindlich umzusetzen. Sie sind mehr als eine Vorgabe, wie Entscheidungen gefällt werden sollten. In ihren Strukturen lebt die Essenz des Mythos, der seit der Gründung das Familienunternehmen prägt. Und aus dem im „Family Business“ – allen künftigen Höhen und Tiefen zum Trotz – immer wieder Zukunft neu entsteht.

Veröffentlichung auf unserer Website mit freundlicher Genehmigung des return Magazins: „Moment der Besinnung“, 02/21, S. 54 – 56

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