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Personalvorstand

Rethinking Human Resources

  • August 2016

Die Digitalisierung wirkt als Treiber der Erneuerung – mit erheblichen Auswirkungen auf die Unternehmensorganisation und -kultur. Die Chancen für HR sich als werte- und strategiekonformer Partner und Gestalter der Unternehmenszukunft zu etablieren sind heute besser als jemals zuvor.

Von Jörg K. Ritter, René Sadowski, Melanie Baier und Carsten von der Linden

Die akademische und mediale Diskussion zur Leistungsfähigkeit und zum Wertbeitrag des Unternehmensbereichs Human Resources Management (HRM) ist spätestens im Jahr 2015 auch in Deutschland entbrannt. „Jetzt reicht‘s! Langsam, bürokratisch, keine Ahnung vom Geschäft: Warum sich Personalabteilungen grundlegend ändern müssen“ titelte der Harvard Business Manager in süffisant provokanter Weise und brachte damit die Entwicklungsnotwendigkeit dieses Bereiches auf den Punkt. Gleichzeitig zeigt sich in diesem monodirektionalen, vorwurfsgeladenen Kommunikationsstil auch der Stand der in Deutschland geführten Fachdiskussion und des inhaltlichen Angebots im Sinne der perspektivischen handlungs- und ergebnisorientierten Weiterentwicklung.

Fundierte, praxisorientierte Handlungsempfehlungen sind kaum existent

Eine Analyse von uns zu Beginn dieses Jahres ergab, dass von insgesamt 32 der in den letzten fünf Jahren in Deutschland publizierten praxisorientierten Studien und Publikationen von Instituten, Fachverbänden und Beratungshäusern im Bereich HR sich nur vier mit einem ganzheitlichen Blick auf HR auseinandersetzen und zugleich konkrete HR-Strategien sowie Handlungsansätze aufzeigen und diskutieren. Alle anderen Studien und Publikationen hingegen fokussieren sich auf den jeweils erhobenen Status Quo zur Profession, thematisieren aktuelle Herausforderungen und Limitierungen oder betrachten nur einen Teilbereich (beispielsweise Recruiting und Strategic Workforce Planning) des umfangreichen Aufgaben- und Verantwortungsspektrums des HRM.

Sicherlich, die Relevanz einer notwendigen stärkeren Prozessorientierung, der Aufbau von methodischem Wissen und entsprechendem Instrumentarium sowie optimierter interner Kommunikation sind den Personalern bekannt und regelmäßig adressierte Themen. Gleichwohl attestieren die Personaler sich selbst gerade in den für die Organisations(weiter)entwicklung besonders relevanten Themen wie Change Management, Mitarbeiterführung sowie Talent Management einen hohen Weiterbildungs-, respektive Entwicklungsbedarf.

Gleichzeitig erlebt Deutschland zusammen mit vielen anderen westlichen Nationen einen dramatischen demografischen Wandel, der in Kombination mit völlig neuen Anspruchshaltungen der Mitarbeiter auftritt: Erstens werden in Deutschland bis zum Jahr 2030 bis zu acht Millionen Arbeitnehmer fehlen, zweitens möchten Arbeitnehmer sich stärker in ihrer Arbeit verwirklichen und wertgeschätzt sehen – sonst droht (innere) Kündigung beziehungsweise Resignation. Unternehmen werden sich in immer dramatischerem Wettbewerb um Köpfe finden – die stärkste Personalfunktion wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil (Rainer Strack et al., 2014).

Die Profession HR weiß um ihre Stärken, Defizite und Entwicklungspotenziale – und sucht „neue Antworten“

Jedoch bleibt zwischen Selbstreflexion sowie Handlungswunsch und dem letztlich notwendigen zielorientiertem Engagement der Pragmatismus des Faktischen. Wie dargestellt, ist das Angebot „neuer Antworten“ für die HR-Funktion sehr überschaubar, sodass fundierte und konkrete Best Practices oder gar industrie- und größenspezifische Blaupausen kaum existent sind.

Dabei eröffnet die Digitalisierung HR jetzt die Möglichkeit, sich als werte- und strategiekonformer Partner und Gestalter der in logischer Konsequenz innewohnenden organisationalen, führungsbezogenen und unternehmenskulturellen Prozesse zu etablieren. Die aktuelle Debatte im Kontext des Themenfeldes Digitalisierung dreht sich primär darum, wie der Produktionsfaktor Information – in Gestalt von Big Data, Mobile- und Cloud Computing, Internet der Dinge, E-Commerce oder Industrie 4.0 – Geschäftsprozesse grundlegend verändert. Hierbei wird jedoch der Eindruck gewonnen, dass sich HR eher mit technisch-operativen Themen als mit der kontextual-methodischen Weiterentwicklung und messbarem ganzheitlichen Wertbeitrag für die Organisation und letztlich der Kunden beschäftigt.

Die Digitalisierung ist der Treiber der Veränderungen – und Chance für ein „neues HR“

Die digitale Transformation, die in umfassender Konsequenz bei gleichzeitig hohem zeitlichen Momentum tradierte Geschäftsmodelle infrage stellt und traditionelle Branchengrenzen auflöst, bewirkt jedoch Veränderungen in der Organisationsstruktur, in der Art der Zusammenarbeit, der Kommunikation sowie der Unternehmens- und Führungskultur, woraus unmittelbar die Frage resultiert, welche Potenziale, aber auch Herausforderungen durch die Digitalisierung für das Human Resources Management resultieren (Jörg K. Ritter, 2015). Denn die Umsetzung der technischen Infrastruktur spielt nur eine Rolle (zum Beispiel Nutzung von Big Data). Viel mehr ist aber die Frage nach der Zukunft der Arbeit zu diskutieren. Wie kann Technologie so in Arbeitsabläufe integriert werden, dass der Mensch einen Sinn in der Tätigkeit hat? Welche Methoden der Zusammenarbeit sind geeignet vor dem Hintergrund von virtueller Omnipräsenz? Wie können auch ältere Mitarbeiter mit den technischen Entwicklungen Schritt halten und einen lohnenden Beitrag leisten?

Auch für die HR-Profession geht es um die Frage, welche beruflichen Erfahrungen und Kompetenzen das HR-Management selbst zukunftsfähig machen und zum Treiber digitaler Transformationen in Organisationen werden lassen. Ist HR beispielsweise mit den Profilen von Digital Natives oder Data Scientists (Brigitte Lammers & Mark Krymalowski, 2016) vertraut und hat HR selbst die Kompetenz zur Nutzung analytisch-technologischer Möglichkeiten?

Auch organisationsstrukturell und -kulturell ist in der Praxis die Frage, wie neue sogenannte agile und fluide Organisationsformen mit klassisch strukturierten Organisationseinheiten zusammengeführt werden, das heißt wie das Spannungsfeld zwischen Erneuerung und Professionalität gemeistert werden kann, noch nicht beantwortet. Dies stellt Führungskräfte und ihre Führungskultur zwar vor erhebliche Herausforderungen, bietet HR aber gleichzeitig die Chance, Arbeitskulturen und Organisationsstrukturen zusammenzuführen und somit einen wesentlichen Beitrag zur Innovationsfähigkeit von Organisationen zu leisten.

Um „neue Antworten“ für diese umfangreichen Herausforderungen und Chancen von HR zu erarbeiten, wurde das Forschungsprojekt Rethinking Human Resources initiiert. Denn wie der Bundesverband der Personalmanager im kürzlich verabschiedeten Leitbild Personalmanagement 4.0 trefflich beschreibt, geht es „nach dem traditionellen Personalwesen mit einem stark administrativen und sozial-fürsorglichen Charakter (...) nun darum, die digitale Transformation nicht nur zu begleiten, sondern zu ermöglichen und aktiv zu gestalten“ (BPM 2016, S.9). Im Rahmen der empirischen Untersuchung (siehe Infokasten) wird die Klärung zukünftiger Anforderungen, die aus Sicht der CEOs an HR gestellt werden, thematisiert:

  1. HR muss sich strategisch und organisatorisch neu aufstellen und eine integrative Rolle bei der Mitverantwortung für das gesamte Unternehmen der Zukunft spielen.
  2. HR muss über cross-funktionale Erfahrungen verfügen sowie neue Positions- und Kompetenzprofile definieren, die zu einem hohen Grad an Erfahrungen und Diversität in der HR-Funktion selbst führen.
  3. HR muss ein durch die Möglichkeiten der Digitalisierung verändertes strategisches Talent Management etablieren und Personalentwicklungen gewährleisten, die auf individuelle Lerntypen eingehen und neue (digitale) Lernformate anbieten.
  4. HR muss ein neues potenzial- und zukunftsorientiertes Performance-Measurement-System einführen, das eine veränderte und flexible Anwendung von positionsspezifischen Kompetenzen zulässt einschließlich veränderter Incentivierungen über Compensation & Benefits.
  5. HR muss zukunftsorientierte Organisationsmodelle konzipieren und flexible Rahmenbedingungen für Themen wie Demografie, Arbeitsformen, Arbeitsumfelder, Arbeitsrecht und ähnliches schaffen.
  6. HR muss notwendige Transformationen und Innovationsprozesse messbar machen und an „eigenen“ KPIs gemessen werden, die durch HR unmittelbar beeinflussbar sind.
  7. HR muss eine maßgebliche konzeptionelle und strukturelle Handschrift bei der Etablierung hierarchiefreier, netzwerkfokussierter und agiler Team- und Projektstrukturen entlang aller Wertschöpfungsfunktionen gestaltend erkennen lassen.
  8. HR muss für die Gesamtorganisation eine identitätsstiftende Kultur und Sprache definieren, die auf Unternehmenswerten basiert und eine intern nachhaltige sowie extern erkennbare Unternehmenskultur prägt.

Die Studie

Wie entwickelt sich die HR-Funktion in Zeiten dramatischer Umwälzungen und Transformationen? Wie kann sie sich besser strategisch verankern? Welche Kompetenzen und Potenziale zeichnen eine HR-Funktion aus, die strategisch relevante Veränderungsprozesse aktiv gestaltet? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt einer Studie, die gemeinsam vom Bundesverband der Personalmanager (BPM), Egon Zehnder, der Boston Consulting Group (BCG) und der Quadriga Hochschule Berlin in einem zweiphasigen Studiendesign durchführt wird. Im Rahmen der qualitativen ersten Phase („Blick auf HR“) werden circa 50 ausgewählte Führungspersönlichkeiten von Sommer bis Herbst 2016 aus unterschiedlichen Funktionsbereichen, Organisationsgrößen und Sektoren interviewt, um die aktuelle und perspektivische Erwartungshaltung an HR herauszuarbeiten. Darauf aufbauend werden in der quantitativen zweiten Phase („Blick von HR“) die mehr als 4.000 Mitglieder des BPM im Frühjahr 2017 zu den Rahmenbedingungen und individuellen Konstitutionen von HR befragt, die eine zukünftige Professionalisierung der HR-Profession ermöglichen. Insgesamt erfolgt über dieses Vorgehen die Analyse, Priorisierung und Erarbeitung der erforderlichen Inhalte und Kompetenzen, die es HR ermöglichen sollen, sich als Motor von Transformation in Unternehmen respektive Organisationen zu etablieren.

Funktionsübergreifendes Verständnis für ein neues HRM

In der Literatur und aktuellen Diskussionen zeichnet sich ab, dass wir in eine neue Ära eines möglichen starken Trios der Unternehmenssteuerung einsteigen könnten: CEO, CFO und CHRO – wobei sich die Rolle des CHROs weiter entwickeln wird. Aber welche Kriterien können Akzeptanz und Image des CHRO im Dreiklang mit CEO und CFO besonders stärken? Hierzu wurden über 240 Teilnehmer des Personalmanagementkongresses 2016 befragt. Dabei zeichnete sich ein deutliches Bild ab: Über 53 Prozent sagten, dass „Funktionsübergreifende Berufserfahrung des CHRO“ dieses wesentliche Kriterium sei – ein starker Wunsch nach mehr General-Management-Fähigkeiten in der Rolle. 34 Prozent gaben an, dass es der Rolle eines CHRO zu mehr Akzeptanz helfen würde, andere „fremde“ Funktionen wie zum Beispiel IT, Kommunikation oder Corporate Audit mitzuverantworten – also in die Breite zu gehen. 13 Prozent gaben hingegen an, dass die stark kennzahlenorientierte Messung des HR-Beitrages die Akzeptanz am meisten steigern würde.

Bei einer weiteren Einschätzung zu der Frage, welche Unternehmensbereichserfahrung sich für zukünftige HR-Führungskräfte besonders eignen würde, antworteten 39 Prozent mit „Sales, Services und Marketing“, 28 Prozent mit „Operations“ und 22 Prozent mit „Finanzen, Controlling und Rechnungswesen.“ Nur 7 Prozent nannten „R&D, Technology und Information Services“ beziehungsweise 4 Prozent „Supply Chain Management und Purchasing“.

Das Bild ist klar: Die Personaler sollen näher an den Vertrieb und damit die Umsatzrealisierung eines Unternehmens besser kennenlernen, sie sollen bei Operations lernen, wie man Prozesse effizient und effektiv gestaltet und steuert und sie sollen im Finanz- und Controlling-Bereich analytisch und quantitativ arbeiten – wichtige Meilensteine für eine Personalkarriere von morgen.

Diese ersten Ergebnisse zeichnen ein tiefgreifend anderes Bild von der HR-Funktion von morgen und seinen Führungskräften und Mitarbeitern. Die innewohnenden Herausforderungen, aber auch die Gestaltungs- und Profilierungspotenziale für HR sind erheblich.

Ausblick

Unsere Gegenwart ist durch stetige Veränderungen im Sinne veränderter Wettbewerbs- und Wertschöpfungsprozesse gekennzeichnet. Hierbei sollte HR nicht nur dieses Tempo halten, sondern idealerweise einen Schritt voraus sein, um erfolgreich strategiekonform agieren zu können. Letztlich bleibt jede Unternehmensstrategie ohne die Umsetzung durch die richtigen Mitarbeiter und Führungskräfte nur Theorie. Hier muss HR eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung von organisationalen Entwicklungs- und Transformationsprozessen einnehmen und ist als Taktgeber gefordert, die Unternehmensziele mit einem proaktiven und auf die Unternehmensstrategie abgestimmten HR-Management mit klarer Business-Relevanz maßgeblich zu unterstützen. Dies sollte Anspruch und Selbstverständnis von HR sein.

JÖRG K. RITTER ist Professor für Personalmanagement an der Quadriga Hochschule Berlin sowie Partner und Global Co-Leader „Family Business Advisory“ bei Egon Zehnder.

RENÉ SADOWSKI ist Engagement Leader und Global Practice Specialist „Family Business Advisory“ bei Egon Zehnder.

MELANIE BAIER ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Studiengangsmanagerin des „MBA Leadership & Human Resources” an der Quadriga Hochschule Berlin.

CARSTEN VON DER LINDEN ist Principal im Münchner Büro von The Boston Consulting Group (BCG) und einer von BCGs weltweiten Experten für Personalthemen. Er berät zahlreiche Konzerne bei Fragestellungen hinsichtlich zukunftsorientierter Personalarbeit.

Dieser Artikel erschien im Sommer 2016 zuerst im Human Resources Manager und wird mit freundlicher Genehmigung des Magazins hier nochmals veröffentlicht.

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