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Geopolitik treibt deutsche Weltmarktführer um

Geopolitik:
Zeitenwende in der
Unternehmensführung

In ungewöhnlicher Offenheit haben hochrangige CEOs und Aufsichtsratsvorsitzende deutscher Weltmarktführer in einer Umfrage von Egon Zehnder zu Protokoll gegeben, wie sich die aktuellen geopolitischen Herausforderungen auf ihre Unternehmen auswirken. Dieser seltene Einblick in die Führungsetagen zeigt: Geopolitik rückt auf der Agenda ganz nach oben. Viele von ihnen sehen die Notwendigkeit, sich stärker in die öffentliche Debatte einzumischen. Aber wie?

„Über Politik spricht man nicht!“— So ließe sich die Haltung der meisten Unternehmer:innen in Deutschland in aller Kürze zusammenfassen. Die Folge: Über die geopolitischen Kompetenzen, Strategien und Haltungen deutscher Unternehmen und ihrer Führungspersönlichkeiten ist wenig bekannt.
Ob börsennotierter Konzern oder inhabergeführtes Familienunternehmen: Klare Positionen und pointierte Kommentare zu politischen Fragen hört man von deutschen CEOs und Aufsichtsräten so gut wie nie – jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Sie halten sich und ihre Unternehmen bei politischen und geopolitischen Fragen heraus.

Doch diese Haltung stößt inmitten geopolitisch unruhiger Zeiten immer häufiger an ihre Grenzen. Eine aktuelle Umfrage von Egon Zehnder unter 185 CEOs und Chairpersons deutscher Weltmarktführer zeigt: Es rumort in den Führungsetagen. Viele Unternehmensverantwortliche (72 Prozent) halten es in der aktuellen Lage für unbedingt notwendig, sich stärker in die politische Debatte ein­ zumischen.

Der Grund: Globale Krisen und die damit einhergehenden geopolitischen Herausforderungen drängen mit Macht auf die Agenda von Unternehmens­lenker:innen. 66 Prozent der befragten Führungspersönlichkeiten geben an, dass die geopolitischen Herausforderungen für ihr Unternehmen deutlich gestiegen seien. Für 9 Prozent haben sie sogar exponentiell zugenommen. Bislang haben aber nur 27 Prozent der Befragten gezielt geopolitische Expertise in ihre Vorstands­- und Aufsichtsratsgremien geholt.

Zugleich beurteilen 42 Prozent der Befragten die Maßnahmen der Bundes­regierung zur Verbesserung von geopolitischen Handelsbedingungen als mangelhaft, 31 Prozent als ungenügend. Ganze 87 Prozent der Befragten wünschen sich bei geopolitischen Entscheidungen wie etwa in der inter­nationalen Handelspolitik mehr Pragmatismus von der Politik. Wie diese Zahl im Einzelnen zu verstehen ist, erläutern die befragten Führungspersönlich­keiten in mehreren Statements, die wir am Ende dieser Broschüre zusammen­gefasst haben.

Thorsten Gerhard, Leiter der Praxisgruppe CEO & Board Advisory bei Egon Zehnder, hat im Rahmen der Umfrage Interviews mit rund zwei Dutzend aus­gewählten CEOs und Aufsichtsratsvorsitzenden geführt.

„CEOs und Chairpersons sehen die geopolitischen Veränderungen als persönliche Challenge und strategische Herausforderung für das gesamte Führungsteam in Vorstand und Aufsichtsrat.“

Handelskrieg zwischen den Großmächten, Krieg in Europa, ein eskalierender Nahost­-Konflikt: All das wirkt sich bei deutschen Weltmarktführern auf Kern­fragen ihrer Unternehmensführung aus. „Vorstände und Aufsichtsräte müssen heute ein viel größeres und komplexeres Feld von politischen Einflussfaktoren, Risiken und Chancen im Blick behalten als früher“, fasst Gerhard zusammen. Und: „Niemand glaubt mehr, dass man auf ruhigere Zeiten hoffen kann.“ Die Schlussfolgerungen, die Unternehmenslenker:innen aus dieser Erkenntnis für ihre strategische Ausrichtung, für Investitions­- und Standortentscheidungen ziehen, sind weitreichend. Das zeigt etwa die Aussage eines mehrfachen Aufsichts­ratsvorsitzenden und Rechtsberaters im Rahmen der Umfrage:

„Ich habe in diesem Jahr so viele Anfragen zum Thema Stiftungs­gründung im Ausland bekommen wie in den gesamten zehn Jahren zuvor zusammengerechnet. Da braut sich etwas zusammen.“

Es zeichnet sich eine Zeitenwende in der Unternehmensführung ab. Die Ant­worten der CEOs und Aufsichtsratsvorsitzenden in der Umfrage lassen in ersten Umrissen das Ausmaß der Veränderungen und Herausforderungen erkennen, die diese Zeitenwende mit sich bringen wird.

Die Polykrise wird zum Normalzustand

„Wir sind auf dem Weg in eine neue Phase der Geschichte, in der geopolitische Auseinandersetzungen wieder zum Alltag gehören – unser ‚Holiday from History‘ ist vorbei. Kaum ein Unternehmen ist darauf vorbereitet“, fasst der CEO eines großen Familienunternehmens aus der Technologiebranche die Lage zusammen. Dicht aufeinanderfolgende geopolitische Krisen, die einander in ihren Auswirkungen verstärken, werden zum New Normal. Eine Multi­-Aufsichtsrätin formuliert den Anspruch, der daraus erwächst: „Geopolitik muss jetzt jeder können.“ Das betont auch ein weiterer Multi­-Aufsichtsrat, der die Debatten in vielen Unternehmen hautnah mitverfolgt:

„Auch Branchen, die bislang nicht in einem politischen Umfeld unterwegs waren, werden jetzt notgedrungen politischer. Sie haben damit aber wenig Erfahrung.“

Geopolitik ist Chefsache

Vorstände und Aufsichtsräte quer durch alle Branchen ringen daher mit der Frage, wie sie sich als Führungspersönlichkeiten in dieser politischen Zeiten­ wende positionieren. So berichtet ein Multi­-Aufsichtsrat:

„Im Aufsichtsrat großer, börsennotierter Konzerne diskutieren Fachleute über die geopolitischen Risiken und Herausforde­rungen. Sie gründen eigene Stäbe für diese Themen, und es gibt Sondersitzungen zur geopolitischen Strategie.“

Das bestätigt ein DAX­-CEO:

„Einen Bericht zur geopolitischen Lage gibt es aktuell in jeder Aufsichtsratssitzung, hinzu kommt eine monatliche Befassung mit dem Thema im Vorstand.“

In Familienunternehmen und in Branchen, die bislang weniger von politischen Risiken betroffen waren, fehlt hingegen oft noch die Erfahrung mit strate­gischen politischen Fragen in den Entscheidungsgremien.

„Lobbyarbeit war bei uns bislang eher schwach ausgebaut. Das ändern wir aber gerade und treiben das Thema im Aufsichtsrat und Vorstand voran“, berichtet etwa der CEO eines großen Familienunter­nehmens in der Umfrage von Egon Zehnder.

Nur 27 Prozent der Befragten haben aus der gestiegenen Bedeutung der Geo­politik bislang die Konsequenz gezogen, ihr eigenes Topteam um geopolitische Expertise zu erweitern. Einer der befragten Chairs erklärt, warum:

„Gefragt sind in den Aufsichtsräten jetzt nicht Volkswirt:innen oder Diplomat:innen, sondern unternehmerische Generalist:innen mit globaler Perspektive, die sich glaubhaft für Geopolitik interessieren und den Vorstand challengen können. Geopolitik-­Expert:innen kann man sich gezielt als Berater:innen einladen.“

Geopolitik ist Teil der Purpose-Debatte

Geopolitik ist also nichts, was sich einfach an eine Expertenrolle wie etwa einen Chief Political Officer delegieren ließe. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil die CEOs eine Vorbild-­ und Orientierungsfunktion für ihre Mitarbeitenden und andere Stakeholder einnehmen – und diese auch in geopolitischen Fragen ausfüllen müssen.

„Wir sprechen in den Aufsichtsrats­- und Vorstandsgremien viel darüber, dass wir zu einem Stakeholder­-Management kommen müssen, dass unsere Unternehmen purpose­-driven sind, dass wir soziale Dividenden für die Gesellschaft erarbeiten wollen“sagt der CEO eines großen Familienunternehmens aus der Technologiebranche.

„Gleichzeitig fällt es uns aber schwer, nach außen hin mit einer klaren Positionierung zu den großen geopolitischen Themen unserer Zeit aufzutreten. Das passt nicht zusammen.“

Politik und Wirtschaft müssen in einen echten Dialog treten

Dabei sehen die CEOs und Aufsichtsräte vor allem eine große Hürde: Sie haben den Eindruck, dass die Politik nicht zuhört, die Interessen der Unternehmen nicht ausreichend im Blick hat. Viele sehen den Wirtschaftsstandort akut gefährdet.

„Deutschland hat große Probleme, vor die Welle der geopolitischen Entwicklungen zu kommen. Es ist mindestens 1 vor 12 – die wirtschaft­liche Situation ist so kritisch wie noch nie“, sagt etwa der ehemalige Vorstand eines Industrieunternehmens, der heute in mehreren Aufsichtsräten tätig ist.

Ein ehemaliger CEO, der heute als Aufsichtsrat für ein Private­-Equity-­geführtes Unternehmen arbeitet, ergänzt: 

„Die Diskussionen in den Branchenverbänden sind zehnmal politischer als früher. Viele sind sehr besorgt, die Debatten werden schärfer geführt.“

Öffentliche Debatte

Unternehmer:innen suchen noch nach Wegen, sich stärker in die öffentliche Debatte einzubringen – sind sich aber auch der Risiken bewusst. Viele Führungspersönlichkeiten fragen sich in dieser Lage: Wird es Zeit, die Perspektive der Unternehmen lauter zu vertreten? Ist es an der Zeit, jetzt aus der Deckung zu kommen, und in den öffentlichen Debatten mitzumischen?

Hier sind in der Umfrage auch selbstkritische Stimmen zu hören:
„Trotz der großen Bedeutung des Themas fällt es mir schwer, mich dazu öffentlich zu positionieren. Als Familienunternehmen halten wir uns grundsätzlich öffentlich zurück“, sagt etwa ein CEO.

Und der CEO eines großen Unternehmens aus der Technologiebranche erklärt:
„Ich habe keine Angst vor einem Shitstorm gegen meine Person, wenn ich mich positioniere – aber ich will keinen Shitstorm gegen mein Unternehmen riskieren.“

Fast Dreiviertel der Befragten sind überzeugt, dass sie sich stärker in die öffentliche Debatte zu geopolitischen Fragen einmischen sollten. 55 Prozent tun das allerdings bislang noch nicht. CEOs börsennotierter Unternehmen verweisen auf Gefahren für den Aktien­kurs, CEOs von Familienunternehmen auf die traditionelle Verschwiegenheit der Inhaber:innen.

„Es gibt zudem keinen gesellschaftlichen Grundkonsens mehr darüber, wie die Zukunft des Landes aussehen soll“, sagt der CEO eines börsennotierten Unternehmens. Eine Situation also, in der man eigentlich nur das Falsche sagen und tun kann.

Bleibt die Frage: Was tun?

„Viele der befragten Unternehmen arbeiten an einer klaren geo­politischen Strategie und Haltung – und sie sind deutlich stärker als früher bereit, sich in politische Debatten einzubringen“, sagt Thorsten Gerhard. Aus vielen Unternehmen komme auch der Wunsch nach einem stärkeren und lauteren Auftreten der Verbände und nach einer „gemeinsamen Kraftanstrengung, einer Agenda 2040“ mit der Politik. Ein wichtiger Impuls, findet Gerhard:

„Die Debatte darüber, wie der Wandel in den Unternehmen und in der Wirtschaftspolitik insgesamt gelingen kann, muss jetzt Fahrt aufnehmen.“

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