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Katalysator einer radikalen Verbraucherorientierung

Der Chief Marketing Officer verbindet Marktanforder­ungen und Geschäfts­strategie.

  • Januar 2017

Märkte verschmelzen, Verbraucher vernetzen sich und melden sich selbstbewusst zu Wort – Unternehmen, die aus diesen Veränderungen Nutzen ziehen wollen, müssen statt des Produkts künftig die Wünsche der Konsumenten zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Geschäftsstrategie machen. Als Stimme des Verbrauchers in der Firmenleitung übernimmt der CMO die Aufgabe, im gesamten Unternehmen eine strategisch verstandene, langfristige Konsumenten- und Kundenorientierung zu etablieren.

„UNTERNEHMEN, die nicht begreifen, dass ihre Märkte jetzt von Person zu Person vernetzt sind, dass sie auf diese Weise intelligenter werden und sich in Gesprächen verbinden, versäumen ihre beste Chance.“ Mit Thesen wie dieser rief das Cluetrain-Manifest 1999 das Ende der Einweg-Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Kunden aus. In der Hochphase des Dotcom-Booms brachte das Manifest von Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger damit eine Diskussion in Gang, die derzeit aktueller erscheint denn je.

Denn der Wandel, den die Thesen verkünden, hat inzwischen den Alltag der Unternehmen erreicht, und er setzt sich in rasantem Tempo fort: Konsumenten nehmen ihren Einfluss wahr und fordern selbstbewusst Gehör. Die digitalen Technologien der neuen Sozialen Medien ermöglichen es ihnen, sich auszutauschen und zu vernetzen. Aus Konsumenten werden Produzenten, die Inhalte kommentieren, bewerten, empfehlen und gleichberechtigte Beziehungen untereinander aufbauen. Dabei zählen Werte wie Offenheit, Transparenz, Authentizität und Glaubwürdigkeit.

Wie mit all dem umzugehen sei, darüber herrscht in den Unternehmen vielfach noch Unsicherheit. Vor allem scheint unklar, was die Entwicklung für die klassischen, am Einzelhandel orientierten Verkaufskanäle bedeutet. Selbst große Markenhersteller haben hierauf noch keine befriedigende Antwort gefunden.

Gleichzeitig stehen die Unternehmen vor einer weiteren Herausforderung. Angetrieben durch das Internet lassen neue Technologien und Anwendungen Märkte mitein­ander verschmelzen, die bisher scharf voneinander getrennt waren. So wird beispielsweise durch die Konvergenz von Computertechnologie, Telekommunikation und digitalen Medien ein völlig neuer Markt entstehen – der größte weltweit. Ein weiteres Beispiel finden wir in der Automobilbranche: Im Zuge der Entwicklung elektrischer Antriebe eignen sich die Hersteller Kompetenzen und Kapazitäten der Batterieherstellung an, die bislang allein in der chemischen Industrie zu finden waren. So werden ganze Produktionsabläufe an den (End-) Kundenwünschen ausgerichtet, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und sozialen Verantwortung.

Motor für mehr Kundennähe

All dies verlangt von den Unternehmen eine neue Ausrichtung der Geschäftsstrategie – und letztlich ein neues Selbstverständnis. Statt des Produkts müssen künftig die Wünsche der Konsumenten Dreh- und Angelpunkt aller Unternehmensentscheidungen sein. Damit aber wächst dem Marketing eine zentrale, strategische Bedeutung zu. Immer mehr Unternehmen erkennen dies heute und werten die Marketingfunktion auf. Denn keine andere Funktion besitzt eine so intensive und weitreichende Sicht auf den Markt – und vom Markt aus auf das Unternehmen.

Aufgabe des Chief Marketing Officers ist es, diesen Blick aufs Ganze, in dessen Brennpunkt immer der Verbraucher steht, im Unternehmen zu etablieren, so dass er in allen Entscheidungen zur Geltung kommt. Als Stimme des Kunden in Geschäftsführung oder Vorstand unterstützt und beschleunigt er die Konvergenz von Marktanforderungen und Geschäftsstrategie.

So zum Beispiel bei Philips. Der Elektronikkonzern wandelte sich in den letzten zehn Jahren vom technologiegetriebenen Hightech-Anbieter zu einem strikt am Konsumenten orientierten Unternehmen. Der scheidende CEO Gerard Kleisterlee wies dem Marketing eine Schlüsselrolle zu und schuf die Funktion eines CMOauf Vorstandsebene. Andrea Ragnetti, der die neue Position 2003 übernahm, etablierte ein Marketingkonzept, das die Perspektive des Marktes und der Konsumenten in jede Unternehmensentscheidung einfließen lässt.

Sein Nachfolger als globaler CMO, Geert van Kuyck, und sein Team untersuchen in umfangreichen Befragungen, wie die Konsumenten die Leistungen wahrnehmen. Daneben liefert die Auswertung von Online-Daten fortlaufend aktuelle Informationen. Der Vertrieb über Internetkanäle wie Amazon ist für Philips zur wertvollen Quelle aktueller Verkaufs- und Kundendaten geworden. So nutzt der Konzern etwa die Vorbestellungszahlen für neue Elektronikprodukte im Internet als verlässliche Indikatoren für den zu erwartenden Verkaufserfolg im Einzelhandel. Auch hinsichtlich der hierarchischen Positionierung zeigt Philips, wie wichtig diese Funktion ist. Künftig berichtet bei Philips der globale CMO direkt an den neuen CEO Franz van Houten, der wiederum selbst das Marketing Board des Konzerns leiten wird.

Auch für viele andere Konsumgüterhersteller sind Internethändler wie Amazon oder auch Walmart heute wichtige Partner bei der Datenerhebung. In Sekundenschnelle erhalten sie über diesen Weg differenzierte Informationen, die früher in aufwendigen Kundenbefragungen erhoben werden mussten. Doch Kundendaten gehen weit über reine E-Commerce-Transaktionen hinaus und besitzen eine ungeheure Sprengkraft: Die neue Qualität von Kundenerkenntnissen dient nicht nur der Quantifizierung oder Charakterisierung, sondern kann die gesamte Ausrichtung eines Unternehmens durch Einblicke in innerste Kundenbedürfnisse verändern.

Neben den neuen Datenanalyse-Methoden setzen deutsche Unternehmen zunehmend auf digitale Kommunikations- und Absatzwege. So zum Beispiel hat der Konsumgüterkonzern Henkel kürzlich einen Digital-Marketing- Leiter für seine Haarpflegesparte eingesetzt, um mit neuen Online-Marketingwegen zu experimentieren und Standards zu schaffen. Marken agieren heute in einem hochtransparenten und komplexen digitalen Umfeld, das jedem Konsumenten die sofortige Rückmeldung über Blogs, Twitter oder soziale Netzwerke zu einem Produkt oder Unternehmen ermöglicht. Diese Kommunikationsprozesse gilt es proaktiv und zielgerichtet in den Marketing-Mix einzubauen. CMOs benötigen diese Fähigkeiten selbst und können digitales Marketing nicht outsourcen.

„7 km – Field of Wonders“

Sieben Kilometer vor den Toren von Odessa befindet sich der größte Marktplatz Europas. 1989 wurde aus dem berühmtesten Trödelmarkt der Sowjetunion nach und nach Europas größtes Einkaufszentrum. Anfangs nur vier Hektar groß, umfasst er heute mehr als 70 Hektar – Konsumgüter, so weit das Auge reicht.

Der Fotograf Kirill Golovchenko, 1974 in Odessa geboren, studierte von 2002 bis 2007 Kommunikationsdesign an der Hochschule Darmstadt. Für seine Diplomarbeit „7 km – Field of Wonders“ erhielt er den Förderpreis Dokumentarfotografie der Wüstenrot-Stiftung 2007/08 sowie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Seine Fotoarbeiten sind in Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland und im Ausland zu sehen.

„7 km – Field of Wonders“ von Kirill Golovchenko ist erschienen im Snoeck Verlag, Köln 2009.

Brückenbauer und Innovationstreiber

„Ein Unternehmen hat zwei – und nur zwei – Grundfunktionen: Innovation und Marketing.“ Diese Feststellung von Management-Vordenker Peter Drucker aus den fünfziger Jahren ist treffender denn je. Denn in der Tat: In seiner Funktion als Bindeglied zwischen den kritischen Konsumenten und der Wertschöpfung im Unternehmen wird das Marketing heute mehr und mehr zum Gewinn- und Wachstumsmotor.

Der Chief Marketing Officer übernimmt damit eine Schlüsselrolle. In immer mehr Firmen ist er es, der das Unternehmen auf eine umfassende, strategisch verstandene Verbraucherorientierung einschwört. Er muss alle Abteilungen für diesen Kurs gewinnen, Gräben zwischen ihnen zuschütten und Veränderungsprozesse dirigieren. So wird er zum Mittler, der neue Wege und Formen der Zusammenarbeit im Unternehmen voranbringt. CMOs der Zukunft müssen daher nicht nur ihre auf vielfältige Art und Weise gewonnenen Markterkenntnisse zusammenfassen und im Unternehmen kommunizieren, sondern die strategischen Auswirkungen gegen oftmals vehementen Widerstand durchsetzen, und dies entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Einem umfassenden Verständnis von Marketing folgend, sucht der CMOdabei alle Prozesse – von der Idee über Forschung, Entwicklung und Produktion bis hin zur Lieferkette und zum Vertrieb – auf die Konsumentenbedürfnisse aus­zurichten. Damit fällt dem CMO immer mehr auch die Aufgabe zu, Produktinnovationen oder innovationsorientierte Unternehmensstrategien zu entwickeln und umzusetzen – eine Herausforderung, die kaum im Alleingang zu meistern ist. Auch hier ist er mithin gefordert, zu vermitteln und die Zusammenarbeit zu fördern. Vor allem in Europa setzt sich heute diese umfassend verstandene Rollendefinition des CMO durch, der im Idealfall als langfristig orientierter Business-Treiber fungiert.

Kompetenzen für die digitale Zukunft

Welche Kompetenzen zeichnen damit einen erfolgreichen CMO aus? Eine Untersuchung, für die wir anonymisierte Daten aus weltweiten Management-Bewertungen von Egon Zehnder analysiert haben, gibt darüber Auskunft. Sie zeigt, dass führende CMOs gegenüber ihren weniger erfolgreichen Kollegen am deutlichsten in den Kompetenzen der Ergebnisorientierung und des Veränderungsmanagements brillieren.

Wer heute die Position eines CMO anstrebt, sollte über Basiskompetenzen wie Kundenorientierung und Führungsqualitäten hinaus demnach vor allem ausgeprägte Fähigkeiten in den Bereichen Ergebnisorientierung, Veränderungsmanagement, Marktkenntnis und Team­orientierung mitbringen. Angehende CMOs benötigen außerdem umfangreiche Fähigkeiten in der Organisationsentwicklung.

Die genannten Kernkompetenzen werden auch in Zukunft unerlässlich sein. Doch mit der wachsenden Bedeutung der Sozialen Medien kommen weitere hinzu. Die digitalen Märkte stellen eine enorme Fülle wertvoller Markt- und Konsumentendaten zur Verfügung, die es zu nutzen gilt. Gleichzeitig eröffnen die Mediendienste und sozialen Netze im Internet dem Marketing vielfältige neue Wege, mit den Konsumenten in Kontakt zu treten. Allerdings zeichnen sich hier durchaus auch Risiken ab. Je stärker die Konsumenten die Möglichkeiten interaktiver Medien nutzen, desto selbstbewusster und informierter werden sie und desto wirkungsvoller setzen sie ihre Möglichkeiten zur Mitwirkung und Kontrolle ein – auch dann, wenn sie kritisch eingestellt sind. Mit möglichen hieraus erwachsenden Gefahren muss der CMOumzugehen wissen.

Erfolgreiche CMOs müssen somit die Bedingungen und Möglichkeiten, aber auch die Herausforderungen der digitalen Welt genau kennen. Und sie müssen in der Lage sein, mühelos mit komplexen Daten und Analyseverfahren umzugehen. Bei der Suche nach fähigen Managern für die Position des CMO stellt sich hier ein Problem: Kandidaten, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, zugleich aber auch als erfahrene Führungspersönlichkeiten überzeugen, sind rar – noch.

Der CMO der Zukunft wird demnach ein medienkluger Change Agent sein, der über umfassende Kompetenz und persönliche Autorität verfügt. Als strategisch denkender Mediator hört und versteht er, was Märkte und Konsumenten erwarten, und richtet die Geschäftsstrategie an diesen Anforderungen aus. Weil er in den Verbrauchern Partner sieht, gehören in der Marketingkommunikation Monologe und vorgefertigte Verkaufsformeln für ihn der Vergangenheit an. Stattdessen folgt er dem Leitspruch des Cluetrain-Manifests: „Märkte sind Gespräche.“

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