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Anpassungsfähigkeit

  • März 2023

Beziehungsorientierung, Selbstreflexion und Anpassungsfähigkeit kristallisieren sich als die drei wesentliche Zukunftskompetenzen für den/die CEO von morgen heraus, stellt Egon Zehnder fest. Dies wird auch durch eine weltweite Umfrage unter knapp 1000 CEOs bestätigt. Was ist damit gemeint? Und wie können CEOs und Führungskräfte diese Zukunftskompetenzen entwickeln? Im dritten Teil widmet sich Dr. Steffen Elbert, Autor des Buches „Innere Fesseln lösen – befreit führen“ und Egon Zehnder Alumnus, dem Thema der Anpassungsfähigkeit.

Viele der wirtschaftlichen, regulatorischen und (welt-)politischen Herausforderungen wie Inflation, globales Supply Chain Management, Energieversorgungssicherheit, Disruption von Wertschöpfungsketten, Fachkräftemangel etc. sind den heutigen CEOs zwar grundsätzlich bekannt, erreichen aber eine neue Komplexität. Hinzu kommen die zum Teil noch nicht vollständig gelösten und absehbaren Herausforderungen der Digitalisierung und des technologischen Fortschritts. Eine völlig neue Komplexitätsstufe stellen jedoch die massiven gesellschaftlichen, soziokulturellen und vor allem ökologischen Herausforderungen (ESG) dar. Hier wird der Ruf nach einer wachsenden Verantwortung der Unternehmen, sich substanziell an der Lösung der Probleme zu beteiligen, ja sogar als Speerspitze zu agieren, immer lauter.
Zukünftige Herausforderungen wie beispielsweise der Klimawandel können nur in einer gemeinsamen Anstrengung aller bewältigt werden. Dies spiegelt sich auch im Motto von Egon Zehnder wider: „Leadership for a better world“ – es geht nicht mehr nur um wirtschaftliche Rentabilität. Nur durch vernetztes, funktionsübergreifendes und interdisziplinäres Umdenken und konsequentes Umsetzen von Veränderungen können diese komplexen Herausforderungen bewältigt werden, so sagt Egon Zehnder. All dies erfordert vor allem ein neues, bisher nicht gekanntes Maß an Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit, um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zu sichern.

Nun ist es selbst für erfahrene CEOs nicht immer einfach, (unternehmerisch sinnvolle) Veränderungen in dem hier erforderlichen transformatorischen Ausmaß zu managen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen oder Branchen, die sich bisher eher in „stabilen Fahrwassern“ bewegt haben, in denen die Veränderungen relativ überschaubar und gut planbar waren. Aber auch „sturmerprobte“ CEOs, z. B. aus Unternehmen mit hohen Wachstumsraten oder aus Branchen mit hohem Disruptionscharakter, scheinen zu kämpfen und an ihre Grenzen zu stoßen.

Die Frage ist also berechtigt, wo die Hebel für eine bessere Bewältigung all dieser Herausforderungen liegen. Und das führt uns zu der Frage, was die Flexibilität von CEOs prinzipiell einschränkt. Was verhindert eine Neujustierung der Balance zwischen Kontinuität und Wandel, zwischen Bewährtem und Neuem, zwischen Experimentieren und Konsolidieren? Warum fällt es vielen CEOs nicht leicht, „to embrace change“, also Veränderungen willkommen zu heißen?

In den ersten beiden Teilen der Artikelserie haben wir das Modell der Inneren Fesseln kennengelernt – mächtige, autarke und unabhängige innere Programme, die weder mit dem Verstand noch mit dem Willen gesteuert werden können. Viele CEOs sind ihnen hilflos ausgeliefert, sie laufen automatisch und selbstständig ab. Ihre Macht beziehen sie aus frühen existenziellen, traumatischen Erfahrungen in den ersten Lebensjahren, aus denen sie als Überlebensstrategien entstanden sind und die bis heute wirken.

Solche Inneren Fesseln scheinen auch bei der eingeschränkten Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von CEOs am Werk zu sein. Das Ziel und die Notwendigkeiten sind klar, und doch wirken mächtige Programme, die es den CEOs nicht erlauben, im situativ angemessenen Maß flexibel zu sein und sich und ihre Führung entsprechend anzupassen. Diese Inneren Fesseln können unterschiedliche Formen annehmen: Es wird an althergebrachten Strukturen und Prozessen festgehalten, auch wenn diese nicht mehr situationsgerecht und hilfreich sind. Entscheidungen werden hinausgezögert oder vertagt. Bestehende Strategien und Regeln werden in Stein gemeißelt. „Das haben wir noch nie so gemacht" oder „Das haben wir schon immer so gemacht" werden zu Paradigmen, zu unumstößlichen Leitsätzen. Das „Weiter so wie bisher“ wird zum Dogma, der unbedingte Konservatismus zum Credo. Oder Notwendigkeiten werden verharmlost oder bagatellisiert. Herausforderungen und Chancen werden kleingeredet und heruntergespielt, Fakten ignoriert und ungerechtfertigt angezweifelt. Oder endlose Analyseexzesse führen zu organisatorischer Lähmung („paralysis by analysis“). Die Risiken der Veränderung werden überbetont, gleichzeitig werden die Risiken des Status quo heruntergespielt. Veränderungsprojekte werden halbherzig aufgesetzt, mit unzureichenden Budgets oder Ressourcen ausgestattet und dümpeln ohne entsprechende Managementunterstützung vor sich hin.

Was hindert CEOs daran, anpassungsfähiger zu werden? 
Antworten auf diese Frage kommen, wie schon in den ersten beiden Teilen des Artikels erläutert, auch hier aus der modernen Traumaforschung. Dieser Perspektivenwechsel mag, wie gesagt, zunächst irritieren und Skepsis, Ablehnung oder zumindest Stirnrunzeln hervorrufen. Denn Trauma steht doch im allgemeinen Verständnis für schwere Krankheiten und hat scheinbar wenig mit Führung zu tun. Dem ist keineswegs so. Zwar ist die Psychotraumatologie zunächst aus der Erforschung schwerer und schwerster Krankheitsbilder entstanden. Heute geht sie aber weit über den medizinisch-therapeutischen Bereich hinaus und liefert Modelle, die auch für viele CEOs – und alle, die führen – eine hilfreiche Perspektive eröffnen.

Wo also liegen die Wurzeln der Inneren Fesseln, die die Anpassungsfähigkeit der CEOs so drastisch einschränken? Eingeschränkte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit haben ihre Wurzeln oft in frühen existenziellen Erfahrungen von Unsicherheit. Sicherheit ist eines der Grundbedürfnisse von Kindern. Auch bei Erwachsenen gehört das Streben nach Sicherheit zu den wichtigsten Motiven, wie die Forschungen von Maslow bereits im letzten Jahrhundert gezeigt haben. Erleben Kinder ein besonders hohes Maß an Unsicherheit, z. B. weil sie nicht die entsprechende emotionale Zuwendung oder ein Gefühl von Zugehörigkeit erfahren, weil die Eltern schwer krank, häufig abwesend oder alkohol- oder substanzabhängig sind, weil sie unkontrollierbare Gewaltausbrüche, Hunger oder Armut ertragen müssen, oder weil sie mit einem Gefühl von Nichtgewolltsein und Wertlosigkeit aufwachsen, können sie traumatisiert werden. Das Kind kann diese Erlebnisse mit einem Gefühl fundamentaler Unsicherheit und damit als existenzielle Bedrohung wahrnehmen. Den gleichen Effekt kann z. B. das Desinteresse der Eltern an ihrem Kind haben, ggf. verbunden mit einem Gefühl der Schutzlosigkeit oder des Ausgeliefertseins. Auch die früher nicht seltenen Erziehungsmethoden, die mit einer Kopplung von Liebe und Zugehörigkeit an bestimmte Verhaltensweisen des Kindes arbeiten, („Du darfst heute nicht mitessen, weil du nicht brav warst“ oder „Du bist nicht mehr mein Sohn, wenn Du Dich so verhältst“), können grundlegende Gefühle der Unsicherheit erzeugen und damit traumatisieren. Es gibt viele weitere Beispiele.

Wenn es früher keine ausreichende Sicherheit gab und das Kind dadurch traumatisiert wurde, entwickeln sich Überlebensstrategien, deren wesentliches Ziel es ist, diese Sicherheit zu simulieren und einen Schein von Sicherheit zu erzeugen. So konnte das – unerträgliche – Gefühl der existenziellen Bedrohung abgewehrt werden. Es entstanden Innere Fesseln, die verzweifelt und teilweise zwanghaft versuchten, Stabilität herzustellen und Veränderung zu verhindern – und die bis heute wirken. Denn mit diesen Traumatisierungen erscheinen Veränderungen auch in der Gegenwart bedrohlich, ja existenziell gefährlich – obwohl sie es in der heutigen Realität oft gar nicht sind. Das Festhalten an Strukturen, Prozessen und Regeln vermittelt scheinbare Sicherheit, da diese in der Regel historisch erprobt sind und verlässlich funktionieren.

Die Inneren Fesseln, die der mangelnden Anpassungsfähigkeit zugrunde liegen, sind veränderbar. Es geht darum, sie zu entdecken und diese frühen, existenziellen Unsicherheitsgefühle zu bearbeiten. Denn heute ist es sicher oder zumindest viel sicherer als damals. Der Erwachsene als CEO ist nicht mehr ausgeliefert, sondern kann gestaltend aktiv werden und selbst ein sicheres Umfeld schaffen. Wirkt eine Innere Fessel, dann suggeriert diese, dass es immer noch so unsicher und existenziell gefährlich ist wie früher, dass man immer noch so ausgeliefert und bedroht ist wie damals. Die Realität und das Empfinden stimmen dann nicht überein. In gewisser Weise diktiert dann das kindliche, verängstigte und sich bedroht fühlende kindliche Ich das Denken und Handeln im Hier und Jetzt. 

Das ist der Schlüssel zur Traumabearbeitung, zur „Ent-Fesselung“: dem psychischen System des Erwachsenen zu ermöglichen, das zu erkennen und zu tun, was es als Kind nicht tun konnte.
 

Mehr dazu finden Sie in der neusten Publikation des Autors: Innere Fesseln lösen – befreit führen. Führungspotenziale entwickeln (Schäffer-Poeschel 2022)

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