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Erste Lehren aus der Zeit der Pandemie

Mentale Gesundheit und psychologische Sicherheit als Erfolgsfaktoren

Psychische Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren ihr Stigma verloren. Endlich. Ob Depressionen oder Burn-out-Betroffene suchen sich heute eher Hilfe, da sie seltener Benachteiligungen fürchten müssen. Gleichzeitig achten mehr und mehr Menschen auf Präventivmaßnahmen, die ihrer psychischen Gesundheit förderlich sind. CHROs bestätigen, dass diese Themen auch aktiver in der Personalarbeit in Unternehmen anerkannt, besprochen und adressiert werden.

Die Pandemie verstärkt diese Trends, auch weil sie die Verletzlichkeit der Psyche deutlich macht, so verschiedene CHROs. HR-Führungskräfte berichten davon, dass das Arbeiten im Homeoffice negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden vieler, vor allem kommunikativer Menschen hat. Abhängig auch vom individuellen Umfeld fühlten sich viele von ihnen einsam – nicht nur physisch, sondern auch emotional weit entfernt von ihren Mitmenschen. Die Pandemie entwickelt sich zu einer Dauerkrise, in der die einzigen Konstanten Unsicherheit und ständige Veränderung sind. Hier ist persönliche, aber auch organisatorische Resilienz gefragt. CHROs berichten, dass viele Mitarbeitende um ihre Jobs fürchten, auch weil gewohnte gesellschaftliche Deutungsmuster wegfallen. In einer britischen Studie gaben Ende März 40 Prozent der Befragten an, an ausgeprägten Angststörungen zu leiden. In den USA war die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Erwachsenen eine psychische Erkrankung festgestellt wird, im April 2020 achtmal höher als zwei Jahre zuvor. In manchen Branchen oder Ländern hat sich an dieser dramatischen Situation bis heute nichts geändert. Dieser Dauerstress geht weder am Top-Management noch an den Angestellten spurlos vorbei.

Die Rolle der Unternehmenskultur

Unternehmen wie Google haben mentale Gesundheit und psychologische Sicherheit schon längst als wichtige Faktoren für höhere Leistungsfähigkeit von Teams identifiziert. Führungskräfte, die beide Elemente als Erfolgsfaktor erkannt haben und in ihren Teams stärken wollen, müssen Rahmenbedingungen für ein Klima der psychologischen Sicherheit schaffen. Hierzu gehören z. B. eine entsprechende Kommunikations- und Diskussionskultur und wirtschaftliche Sicherheit oder Offenheit gegenüber unterschiedlichen Meinungen und Ansichten. Ziel muss es sein, ein Umfeld und eine Kultur zu schaffen, in der „ich mich so zeigen kann, wie ich bin“. Eine Umgebung, welche psychologische Sicherheit unterstützt, fördert nicht nur das psychische Wohlbefinden der Mitarbeitenden, sondern schafft laut Amy Edmondson von der Harvard Business School auch eine Atmosphäre, die Kreativität und Innovation stärkt sowie Lernräume eröffnet. Dies zu erkennen ist vielen Unternehmen bereits gelungen. Allerdings fällt es noch vielen schwer, auch die richtigen Maßnahmen zur Unterstützung anzustoßen – berichten HR-Führungskräfte in unserem Netzwerk: „Hier braucht es mehr psychologische Vorbildung, als ich und mein Team heute haben – die HRler der Zukunft werden auf diesem Gebiet viel besser geschult sein müssen“, so einer der befragten CHROs.

Individuelle Rahmenbedingungen

Wichtig ist, dass diese Rahmenbedingungen integrativer Teil der Unternehmenskultur werden und mit individuellen und organisatorischen Veränderungen einhergehen bzw. verstärkt werden. Frisches Obst, Tischtennisplatte im Meetingraum, Schlafboxen oder höhenverstellbare Schreibtische machen in diesem Kontext durchaus Sinn – sind aber nur ein Anfang. Auch das Einhalten von Arbeitszeiten, digitale Pausen, das Angebot von Achtsamkeitskursen und das Unterstützen von Initiativen der Belegschaft hat langfristige positive Auswirkungen auf die Psyche der einzelnen Mitarbeitenden. Wer zusätzlich die Teamkultur stärken will, sollte dem Einzelnen Raum geben, sich mitzuteilen – auch über den Job und das Berufliche hinaus. Hier können regelmäßige persönliche Check-ins sowohl bilateral als auch im Team helfen – dies schafft Nähe und Transparenz untereinander. Führungskräfte haben dabei eine wichtige Vorbildfunktion, aber auch Tandems oder Lernpartnerschaften zwischen verschiedenen Teammitgliedern können eine sinnvolle Möglichkeit darstellen, sich gegenseitig zu unterstützen und das Miteinander im Team oder aber auch cross-funktional oder cross–regional zu fördern. Dabei geht es nicht allein um Selbstbefähigung, sondern auch um Selbstwirksamkeit und zwischenmenschlichen Austausch. Den meisten Menschen macht diese Form des bilateralen Lernens weit mehr Spaß, als eigenhändig Foren zu durchforsten oder Erklärvideos zu schauen. Auch gemeinsame Team-Work-outs oder Playlisten auf Spotify können die physische Distanz zu einem gewissen Teil auflösen und den Teamzusammenhalt stärken. 

Organisatorische Rahmenbedingungen

Wer das erhöhte Stresslevel, das Gefühl von Sinnlosigkeit oder Vereinsamung allein mit Yoga- oder Meditationskursen bekämpfen möchte, erreicht bestenfalls kurzfristig positive Ergebnisse. Vielmehr ist eine ausgewogene Mischung aus Lösungen auf individueller und organisatorischer Ebene gefragt. Auf persönlicher Ebene ist Unterstützung beim jeweiligen Arbeitsmodus hilfreich wie auch der Hinweis auf die Basis des Wohlbefindens: ausreichender Schlaf, richtige Atmung, gute Ernährung und Bewegung, positive soziale Interaktion – um nur einige wichtige Faktoren zu nennen. Nicht zuletzt ist es von zentraler Bedeutung anzuerkennen, dass jeder Mensch seine eigenen Herausforderungen hat – Gesundheit, Kinder oder Familie. „Wir sollten vermeiden, etwas anzunehmen und stattdessen danach fragen“, so eine CHRO.

Auf organisatorischer Ebene lohnt der kritische Blick auf die Grenzen von Abteilungen und Verantwortlichkeiten. Wie sicher sich die oder der einzelne Mitarbeitende fühlt, so bestätigt eine Organisationspsychologin, hängt überproportional von der direkten Umgebung, der Führungskraft, den Mitarbeitenden und Kolleg*innen ab. Gerade in stark hierarchie- und silogeprägten Unternehmen prägen nur einige wenige Personen das Umfeld bzw. das Miteinander, das die psychische Gesundheit maßgeblich beeinflusst. Dezentrale, heterogene Organisationen hingegen erweitern das soziale Netz Einzelner und ermöglichen einen größeren „sicheren Hafen“. Mitarbeitende haben in einer solchen Organisation eher die Möglichkeit, sich ihr Umfeld selbst zu gestalten und sich die Rahmenbedingungen zu suchen und zu schaffen, die ihnen guttun und Halt geben, berichtet ein CHRO aus einem Unternehmen, das verstärkt auf eine agile Aufbauorganisation setzt. Um trotz der Dezentralität nicht die Orientierung zu verlieren, ist ein Kompass unerlässlich. Eine CHRO merkte dazu an: „Wir haben uns schnell auf eine neue Norm eingestellt, mit unseren Kund*innen und unseren Mitarbeitenden als einzigem Kompass.“

Neben der Organisationsform ist ihr Zweck, der Purpose, entscheidend für das Wohlbefinden. Wer versteht, welchen Beitrag die Organisation, das Team und das eigene Tun leisten, steht am Morgen motivierter auf. Diesen Purpose zu identifizieren und zu kommunizieren, ist eine elementare Aufgabe der Unternehmensführung. Auch die Definition gemeinsamer Ziele und das konsequente Feiern von (Zwischen-) Erfolgen schaffen regelmäßige und motivierende Erfolgs- und Glücksmomente sowohl auf individueller als auch auf Teamebene.

Covid-19 ist selbstredend kein einfacher Anlass, sich mit der eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz bietet gerade die Pandemie die Chance, sich als Unternehmen Gesundheitsthemen noch umfassender und verantwortungsbewusster zu widmen. Da bereits gesamtgesellschaftlich ein Rückgang der Stigmatisierung psychischer Krankheiten feststellbar ist und die Pandemie den Umfang dieser Erkrankungen deutlich macht, ist nun ein guter Moment, eine angemessene Antwort vonseiten des Personalmanagements zu formulieren.

Birgit Oßendorf-Will, Group HR Director bei Ströer Gruppe, über die Lektionen der Covid-Krise: „Wir lernten, schnell zu entscheiden, in der Kommunikation klar zu sein und auch offen zu kommunizieren, dass wir auf Sicht fahren – und dennoch in dieser Situation der Unsicherheit und Angst Orientierung zu geben. Das war von größter Wichtigkeit.“

Ulrich Bensel, Chief Human Resources Officer bei Deutsche Hospitality, über Erkenntnisse seiner Organisation: „Es wurde deutlich, wie essenziell es ist, jedem Mitarbeitenden das lebenslange Lernen zu ermöglichen. Dafür müssen wir uns Zeit nehmen, auch außerhalb dieser Krise. Es ist die Basis, um gemeinsam mit den Mitarbeitenden neue Lösungen zu erarbeiten – um bestehende Prozesse zu optimieren oder auch neue Produkte zu entwickeln“.

Anabel Fall, Group Head of People Innovation and Transformation bei Zurich Insurance, über Teamdynamiken virtueller Zusammenarbeit: „Der Aufbau virtueller und gemischter Teams war einfacher als gedacht, denn wir hatten eine positive Ausgangslage, in der jede und jeder sich als wichtiges Teammitglied verstand. Auch haben wir Vertrauen aufgebaut, indem wir uns einfach von zu Hause aus einwählen und die private Sphäre unseres Lebens zeigten.“

Der Beitrag ist Teil unserer Artikelserie „Wie weiter, wenn alles anders ist? HR und das neue Arbeiten“, die zentrale Einsichten aus regelmäßigen Zoom-Calls mit HR-Führungspersönlichkeiten wiedergibt.

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Die Autor*innen

Elke Hofmann

Elke Hofmann

München Office Leader

Elke Hofmann leitet das Münchner Büro von Egon Zehnder sowie die deutsche Praxisgruppe CEO & Board Advisory. Mehr erfahren

Dirk Mundorf

Dirk Mundorf

München

Dirk Mundorf berät schwerpunktmäßig globale sowie nationale Unternehmen im Konsumgüter- und Industriesektor sowie Familienunternehmen. Mehr erfahren

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