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Von Schock-Flexibilisierung zu durchdachter Agilität der Organisation

Mut aufbringen,
Anpassungsfähigkeit erhalten

Flexible Entscheidungsfindung und anpassungsfähige Strategien und Organisationsformen standen seit dem Frühjahr 2020 selten zur Diskussion. Sie wurden Standard. Ob Recruiting, Finanzplanung, Marketing, Entwicklung oder Präsentation von Produkten – entschieden wurde situativ, wie uns verschiedene CHROs berichteten. Manche Prozesse wurden derart beschleunigt, sie schienen sich geradezu zu verselbstständigen.

Das klingt erst einmal vielversprechend: Schließlich versuchen viele Organisationen seit Jahren, agiler zu werden, um einer beschleunigten und komplexen Welt mit Schnelligkeit, Schwarmintelligenz und Dezentralität zu begegnen. Der Pragmatismus und die Geschwindigkeit, mit denen in den letzten Monaten neue Prozesse eingeführt wurden, waren beachtlich. Allerdings basierten die in der Schock-Flexibilisierung eingeführten Methoden oft auf improvisierten Lösungen. Mittelfristig gilt es nun, Dysfunktionales auszubessern, Funktionierendes zu verstetigen und eine Kultur zu etablieren, die der neuen Anpassungsfähigkeit gerecht wird.

Agile Entscheidungsprozesse

In den ersten Wochen des Lockdowns wurden vielfach Entscheidungen von einzelnen Teams oder Standorten getroffen, die zuvor mehrfache Abstimmungsrunden erfordert hätten. Zunächst aus der Not heraus geboren, sind diese mittlerweile vielfach zur Normalität geworden. Unternehmen sind nun gefordert, Prozesse für eine solche dezentrale Entscheidungsfindung zu etablieren. Dabei gilt es, verschiedene Ansprüche bzw. Erwartungen auszutarieren und eine gute Balance zwischen der notwendigen Kontrolle, dem Wunsch nach Sicherheit und Führung sowie der neu gewonnenen Autonomie und Agilität zu schaffen, berichtet ein CHRO eines global agierenden Unternehmens. Gerade die Wichtigkeit des „Loslassens“ und die Abkehr von einem Zuviel an Kontrolle wurden von CHROs als wichtige Zutaten für erfolgreiche Agilität genannt. Werte wie Kontrolle, Sicherheit, Autonomie und Führung widersprechen sich nur scheinbar. Selbstorganisierte Teams funktionieren nicht „einfach so“. Ihre Organisation erfordert Erfahrung und Führung. Ebenso verhält es sich mit Dezentralität oder iterativem Arbeiten. Gefragt sind angesichts der neuen Arbeitswelt kompetente Führungskräfte mit der Bereitschaft, End-to-End-Prozessverantwortung zu übernehmen – auch außerhalb klassischer, hierarchischer Strukturen und organisatorischer „Boxen“. Trotzdem ist es nicht trivial, berichtet ein anderer CHRO – wenn Verantwortungsbereiche und Kompetenzen bereits in einer „einfachen“ Matrixorganisation teilweise schwer zu vermitteln und zu überprüfen sind, stellt einen eine agile Organisationsform mit Blick auf Performance-Management und Incentive-Modelle vor ganz neue Herausforderungen.

Was können wir von agilen Arbeitsmethoden lernen?

Als zentrales Element der agilen Arbeitsmethode Scrum sind Sprints eine zeitlich definierte Iteration von gleichbleibender Dauer, mit ähnlichen oder sogar gleichen Handlungen und dem Ziel, eine definierte Lösung zu realisieren. Bisherige Erfahrungen mit Sprints zeigen, dass Mut und Experimentierfreude unerlässlich sind, um in kurzer Zeit innovative Projektergebnisse zu erarbeiten. Diese können sowohl hierarchieübergreifend und intern als auch extern mit Klienten oder Partnern durchgeführt werden. Gerade Kooperationen mit externen Stakeholdern sind für Sprints sehr effektiv, ermöglichen sie doch eine konsequente Ausrichtung an Kund*innen und Märkten. Zwar haben Sprints ein egalitäres Profil, dennoch verlangt diese Methode nach Führung und klarer Verantwortungsverteilung. Gerade nach Abschluss eines solchen Kurzprojektes ist es essenziell, dass sich eine Person oder ein Team für das Entwickelte verantwortlich zeigen. Gleiches muss auch für die agile Entscheidungsfindung gelten: Es braucht eine klare Verantwortungskultur in der Organisation. 

Ein CHRO erzählte uns, dass sein Unternehmen gute Erfahrungen damit gemacht hat, Produktbereiche in Form einer fachlichen Führung in Sprints zu organisieren und von der persönlichen Führungskraft bewusst zu trennen. Die Trennung von fachlicher und personeller Führung ist ein zentrales Element agiler organisatorischer Transformation. So kann sich die fachliche Führungskraft vollständig auf die Erreichung der jeweiligen Sprint-Ergebnisse fokussieren, und die persönliche Führungskraft hat verstärkt die Belange der Mitarbeitenden im Blick. Das hierdurch entstehende Spannungsfeld ist gewollt und wird genutzt, um im Falle von Konflikten eine positive Eskalation zu ermöglichen. Dieses Unternehmen baut auch seine Büros konsequent zu „Mitarbeitenden- und Kund*innen-Hubs“ um: Orte, die auch für Sprints geeignet sind.

Jedes Unternehmen muss den eigenen Weg zu Flexibilität und Agilität finden und definieren, wo welche Methode einen Mehrwert schafft. Allerdings ist Agilität als Methode nicht für jede Organisation das Richtige, so die Erfahrung eines HR Directors. Agilität als Haltung jedoch bringt jedem Unternehmen etwas. Schließlich wird ihm zufolge Agilität im Sinne von Anpassungsfähigkeit der Schlüssel sein, um Organisationen zukunftsgerecht aufzustellen. Agile Arbeitsweisen und Räume zum Experimentieren und Innovieren sollten dabei mit zuverlässigen, soliden Produkten und Dienstleistungen verbunden werden.

Neben dem Was, also dezentraler Entscheidungsfindung oder Sprints, ist auch das Wie entscheidend. Ein anderer HR Director berichtete von einer gemeinsam mit dem Betriebsrat durchgeführten Befragung unter den Mitarbeitenden, um deren Bedürfnisse besser zu verstehen. Das Unternehmen blieb allerdings nicht bei einer einmaligen Abfrage, sondern führte ein neues Intranet und einen Podcast ein. Neben der verstärkten Involvierung der Mitarbeitenden und einer gestärkten internen Kommunikation geht das Unternehmen auch die Flexibilisierung von Arbeitsmodellen auf diese Weise an. 

Keine Organisation muss morgen perfekt sein, wichtig ist vielmehr, sich auf den Weg zu machen.

 

Dr. Sebastian Harrer, Director Human Resources bei der ING in Deutschland, über die Management-Auswirkungen von Corona: „Das Management-Paradigma von ‚Command and Control‘ gibt es nicht mehr. Dies führte uns zu einem neuen Verständnis von Leadership: Führungskräfte sind nicht für das Managen von Arbeit im Sinne von Planen oder Organisieren zuständig. Stattdessen befähigen sie Teams zu selbstständigem Handeln mit End-to-End-Verantwortung. Sie müssen als ‚Ermöglicher‘ und Multiplikatoren eines agilen Mindsets agieren.“

Jörg Staff, Vorstand und Arbeitsdirektor bei Fiducia & GAD, über Büros in der Post-Covid-19-Zeit: „Zukünftig werden sich durch hybrides Arbeiten und neue (digitale) Arbeitsmethoden/-formen die Büroräume in ‚Activity-based‘-Plattformen für Mitarbeitende und Kund*innen verwandeln. Sie müssen sich den neuen spezifischen Arbeitsanforderungen anpassen und Flexibilität bieten, etwa durch Desk-Sharing, Kreativitäts-Spaces oder Räume zur Förderung sozialer Interaktionen oder der Unternehmensmarke. Es sind erhebliche Investitionen in den physischen und digitalen Workspaces erforderlich, um die heutigen Büros umzugestalten. Ausgeglichen werden könnten diese immerhin teilweise durch Kostensenkungen aufgrund von weniger benötigten Büroflächen.“

Markus Maiwald, Senior Vice President HR/Organizational Development/Corporate Branding & Communication bei Vetter Pharma: „Für uns kann es keine Schwarz-oder-Weiß-Entscheidung geben, da die hohe Regulierung unseres Geschäfts in vielen Bereichen Präsenzarbeit erfordert. Das bedeutet, dass die meisten unserer Mitarbeitenden nicht die Möglichkeit haben, flexibel zu arbeiten, sie sind aber häufig durch die Arbeit in hybriden Teams von mobilem Arbeiten betroffen. Das Arbeiten in hybriden Teams verlangt aus Business-Sicht ein hohes Maß an Transparenz und Achtsamkeit in der Zusammenarbeit – ein sensibles Thema, das sensible Lösungen erfordert.“

Dr. Elke Frank, CHRO & Member of the Executive Board for Legal, IT & Transformation bei Software AG: „Die alte Denkweise ‚Anwesenheit ist der Maßstab für die Leistung der Mitarbeiter‘ ist nicht mehr zeitgemäß. Man kann unabhängig vom Ort einen guten Job leisten und produktiv sein. Fakt ist aber auch, dass man sich aufgrund der räumlichen Distanz zu 100 Prozent auf sein Team verlassen muss. Eines sollten Führungskräfte dabei nicht vergessen: Sie müssen lernen loszulassen. Vertrauen und eine offene Kommunikation spielen hier ganz klar die Hauptrollen.“

Der Beitrag ist Teil unserer Artikelserie „Wie weiter, wenn alles anders ist? HR und das neue Arbeiten“, die zentrale Einsichten aus regelmäßigen Zoom-Calls mit HR-Führungspersönlichkeiten wiedergibt.

Die Autor*innen

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